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Currywurst und Piep

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Seit es sie gibt, ist die Currywurst ein Streitobjekt. Die frankophilen Feuilletonisten der Nouvelle Cuisine verspotteten sie. „Boudin vom Landschwein an Curry-Tomaten-Coulis“. Die Jünger der gebratenen Schweinewurst mit Ketchup und Curry hielten dagegen: „Keine Lust auf Wachtelbrust.“

Das einzig wahre deutsche Fast food wurde 1949 in Berlin erfunden. Und zwar an dem Herta Heuwers Charlottenburger Imbissstand Kant-/Ecke Kaiser-Friedrich-Straße. Kaum hatten deren Berliner Fans dort eine Danktafel angeschraubt, widersprachen die Hamburger. Lena Brückner habe in der Hansestadt bereits 1947 die erste Currywurst serviert. Beweis: Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“.

An einer Bude auf dem Hamburger Großmarkt wurde ebenfalls eine Tafel aufgehängt. Eine Ortsbesichtigung Mitte August ergab, dass dieses Schild wieder weg ist. „Im vorigen Jahr sang- und klanglos verschwunden“, erklärte die Blumenhändlerin, die jetzt im Kiosk steht. Offenbar haben die Hamburger eingesehen, wohin die Currywurst wirklich gehört: nur echt, wenn aus Berlin.

Currywurstkönigreich Berlin. Das klingt zwar ganz nett, trifft es aber nicht wirklich. Denn die Stadt ist, was das Berlinischste alles Essbaren betrifft, in diverse Fürstentümer aufgeteilt, deren Herrscher sich in der Regel auch nicht in die Quere kommen. Charlottenburg und Wilmersdorf z. B. werden currywurstmäßig vom Kudamm 195 aus regiert. Und in Kreuzberg trägt Curry 36 am Mehringdamm die Krone, in Wedding gebietet Spießi’s Imbiss an der Osloer/Ecke Prinzenallee. Nicht zu vergessen in Prenzlauer Berg „Currywurst und Piep“ auf dem Samstagsmarkt am Kollwitzplatz.

Currywurst und was? Eine Erklärung ist nötig. Seit 5 Jahren betreibt Roland Albrecht, Inhaber des Restaurants Zander, einen Imbissstand auf dem Kollwitzmarkt: „Currywurst und Schampus“. Das klingt gut und bringt Kohle in die Kasse, weil die neureichen Neuprenzlberger zur Currywurst lieber Champagner trinken als Flaschenbier.

Vor ein paar Wochen nun kam der typische Fall von „Denkste“ in Form eines eingeschriebenen Briefes. Per Anwalt drohte das Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne, die Vereinigung der französischen Champagnerhäuser und -winzer mit Geldstrafe. Ja, wenn Albrecht nicht sofort den Begriff Schampus auf seinem Imbiss und dem Kleintransporter beseitigt. Devise: Schampus (umgangssprachlich für Champagner) trinken darf jeder, damit werben, das dürfen nur Moët und Co.

„David gegen Goliath, da haste keine Chance“, sagte sich Albrecht und gab klein bei. Nun nennt der Gastronom seinen Wurstverkauf also erst mal Currywurst und Piep und hofft, dass SAT 1 oder RTL nicht als nächste mit Strafe drohen. Dort nämlich werden in diversen Nachmittagstalks Wörter der Fäkalsprache, die nicht öffentlich werden sollen, durch einen Piep-Ton eliminiert.

Ansonsten aber – so versichert der 55-jährige Gastronom Roland Albrecht – ist alles beim alten. Die Würste kommen weiter aus der Spandauer Metzgerei Mischau und der Ketchup bleibt hausgemacht (das Rezept hat er uns übrigens verraten). Ob Albrecht allerdings statt Champagner nun bockig Winzersekt in die Gläser füllen wird, das weiß er noch nicht.

Am 3. Oktober 2008 übrigens vertritt Roland Albrecht das kulinarische Berlin auf dem Zentralen Fest zum Tag der Deutschen Einheit in Hamburg mit Currywurst schwarz-rot-gold. Ob ihm in der abservierten Currywursthauptstadt auch Ungemach droht? Albrecht hofft auf die verbindende Kraft seiner neuen Kreation.

Currywurst & Piep

jeden Samstag auf dem
Wochenmarkt am Kollwitzplatz
10435 Berlin-Prenzlauer Berg
Wörther Straße
9.00 Uhr – 16.00 Uhr

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