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Taste of London

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Sorry Berlin, aber immer, wenn ich aus London zurückkomme, wird mir der Unterschied zwischen Groß- und Weltstadt klar.

In Berlin gilt: nur keinen Streit vermeiden. London ist freundlicher, höflicher und toleranter. Permanent entschuldigen sich die Leute für irgendetwas. So sorry, Sir. Selbst, wenn man jemanden versehentlich anrempelt, in die Hacken tritt oder gedankenlos auf die Füße latscht, folgt die verbale Vergebung.

Während der Berliner von der Weisheit beseelt ist, dass, wer zu spät kommt, vom Leben bestraft wird, hält es der Londoner mit der Ruhe. Gelassen und ohne Murren steht er Schlange, an der Bushaltestelle, am Geldautomaten, am Taxistand ebenso wie vor der öffentlichen Toilette. Selbst hier riskiert er lieber einen feuchten Fleck in der Hose als sich vorzudrängeln.

London ist sauberer – keine Graffities an Häuserwänden, kein Hundekot auf Bürgersteigen, und die Zeitungen auf Bus- und U-Bahn-Sitzen sind nicht weggeworfen, sondern werden abgelegt – for the next. Der letzte entsorgt dann Daily Express, Evening Standard oder das Revolverblatt The Sun.

„Reisen ist tödlich für Vorurteile“, spricht Mark Twain. Das Vorurteil lautet: Soviel die Briten vom Gärtnern verstehen, so wenig haben sie Ahnung vom Kochen. Die Journalistin Patricia Clough legt noch eins drauf: „In der Sammlung moderner Vorurteile stellt die englische Küche neben deutschen Polizisten und italienischer Bürokratie einen Bestandteil der Hölle Europas dar.“

Die kulinarische Wirklichkeit in London jedoch sieht anders aus, vielleicht vom traditionellen englischen Frühstück in meinem (und vielen anderen) Hotels mal abgesehen. Es gibt „egg, bacon, sausage, hash brown, tomato“ und die Frage: „With beans?“ „Yes, with beans“, dazu Toast und Orangenkonfitüre, die in England „Seville Orange Marmalade“ heißt, weil sie aus den bitteren südspanischen Sevilla-Orangen hergestellt wird. Wer danach seinem Magen noch eine Schüssel Porridge zumutet, das ist ein grober Brei aus Hafermehl, Wasser und Salz, kann getrost auf ein Mittagessen verzichten.

Aber, so sagen mir Londoner Gastronomen, diese Art zu frühstücken sei eher ein touristischer Gag als kulinarischer Alltag. Längst ist die Stadt an der Themse zu einer  Feinschmeckermetropole geworden. 41 Sterne-Restaurants gibt es, das ist definitiv. Wie viele nicht besternte, das können selbst Branchenkenner nur schätzen. Die Rede ist von 30 – 40 000, keine Küche der Welt, die in London nicht vertreten wäre. Allein während eines Sonntagabend-Spazierganges von meinem Hotel in der Nähe der Baker Street über Marylebone Road, James Street, Oxford Street, Gloucester Place – einmal im Karree, rund 2,5 Kilometer, zähle ich über 80 Bars, Pubs und Restaurants, und alle sind mehr oder weniger überfüllt (unser Bilderbogen auf der folgenden Seite zeigt eine kleine Auswahl).

Leuten, die Lust haben, herauszufinden, wie London kulinarisch tickt, empfehle ich erstens den Besuch an der Basis, einiger der über 60 Londoner Märkte also – etwa des Portobello Food Markets, des Borough Markets mit seinen Bioangeboten oder des Brixton Markets mit seinem Multikulti-Mix.
Zweitens ist das jährliche Food-Festival Taste of London im Regent’s Park eine gute Gelegenheit, die aufregende und vielfältige Gastro-Szene der St adt an einem Ort und für vergleichsweise wenig Geld zu erleben und zu probieren, was die Küchenchefs dort so drauf haben.

Und wem das nicht reicht, der sollte sich für 9,99 Pfund das Büchlein „Eat London“ besorgen und sich auf den Weg machen. Dieser Führer ist keine Jubelorgie aus bezahlten Restauranttipps, sondern eine Insiderliste der 150 angesagtesten Londoner Lokalitäten. Zusammengestellt wurde sie von 84 Kennern der Szene, darunter die Gastrokritiker Fay Maschler (Evening Standard), Giles Coren (The Times), Tracy MacLead (The Independent) und Zoe Williams (The Sunday Telegraph). Das sind hochbezahlte und über jeden Bestechlichkeitsverdacht erhabene Autoren, vor deren Federn die meisten Köche zittern, ob sie nun Tom Aikens, Heston Blumenthal, Philipp Howard, Gordon Ramsay oder Michel Roux heißen.

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