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Brits Bücher – Brit Lippold

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Es gibt so‘ne und solche: Eine Berliner Binsenweisheit. Brit Lippold handelt mit Kochbüchern und gehört zur zweiten Kategorie. In ihrer Branche sind das die, die zuhören können und deren Arsenal an flotten Sprüchen eher bescheiden ausfällt. Keiner fragt, wir antworten trotzdem – das Motto umsatzgeiler Verkäufer ist ihr ein Graus. Bescheiden fragt sie nach den Wünschen ihrer Kunden, sachkundig gibt sie Auskunft.

Beides, die zurückhaltende Art und die außerordentliche Kompetenz machen Berlins einzige Kochbuchhändlerin zur gefragten Ansprechpartnerin kulinarisch Interessierter. Kennengelernt habe ich Brit Lippold Mitte September 2001. Damals gab es noch den SFB (für Zugezogene:  das war der Sender Freies Berlin,  gegründet 1953, aufgelöst 2003) und jeden Montagabend das TV-Magazin „Wochenmarkt“, für das ich als Reporter tätig war.

Wöchentlich berichteten wir über kleine und große Geschichten, die sich in der Hauptstadt zutrugen. Besonders spannend waren Existenzgründerpoträts – Storys über Menschen also, die das Abenteuer Selbstständigkeit wagten. Die meisten brachten viel Mut und wenig Geld in ihr neues Geschäft mit, dafür aber den unbändigen Willen, es allen zu zeigen.

Ich weiß nicht, was beispielsweise aus den Bio-Händlerinnen Anja Rosenow und Astrid Schierloh, aus Steffi Lehmanns Schrippendienst, dem Gartenbaubetrieb Kaliebe und Mensch oder aus dem Gründerchampion Jens Hanke geworden ist.
Anders bei Brit Lippold. Seit meinem Film über die Kochbuchhändlerin, der am ersten Oktobermontag 2001 ausgestrahlt wurde, bin ich Kunde ihrer kulinarischen Buchhandlung in der Alten Schönhauser Straße, nahe des Hackeschen Marktes. Brit Lippold informierte regelmäßig über Neuerscheinungen, lud zu Lesungen, wir sprachen über den Sinn und Unsinn des  gefühlten 499. Buches zum Thema Gewürze, über die Macht der Weltfirma Ramsch und Partner auf den Kochbüchermarkt und – dafür bin ich ihr besonders dankbar – sie organisierte für mich ein Exemplar der ersten Auflage meines Lieblingskochbuches – Alfred Walterspiels „Meine Kunst in Küche und Restaurants“, sogar mit einem Autogramm des Autors.

Brit Lippold, Jahrgang 1961, ist Berlinerin. Man hört es aber nicht. Ihre Eltern, die Mutter Französischlehrerin, der Vater Sportlehrer, legten Wert darauf, dass die Tochter hochdeutsch spricht. „Ick“, „dit“, „wat“ oder gar das Berliner Plusquamperfekt „war jewesen“ fanden in ihrem Elternhaus nicht statt.

Abitur und der Wunsch, in Leipzig Gastronomie zu studieren. Immatrikulation an der Handelshochschule, aber für die Fachrichtung Binnenhandel. Studienabbruch nach einem Semester. Die Freude fehlte. Brit Lippold arbeitete zwei Jahre als Jugendklubleiterin und ergatterte schließlich einen Studienplatz an der Humboldt-Universität, Fachrichtung Kulturwissenschaften. Diplom im Herbst 1989. Ein halbes Jahr später unterschrieb sie im Roten Rathaus einen Arbeitsvertrag, zog in eine Dachkammer und nannte sich fortan Sachbearbeiterin Arbeitsmarktpolitik für Frauen.

Bis 1999 blieb sie im öffentlichen Dienst. Dann der Start in die Selbstständigkeit. In London hatte sie Books for Cooks entdeckt, den 1983 gegründeten Kochbuchladen um die Ecke von Portobello Market. Keine Frage, das war ihre Welt. Brit Lippold absolvierte einen Buchhandels-Crashkurs, investierte ihre Abfindung und eröffnete 2001 „Kochlust – die kulinarische Buchhandlung und Kochschule“.

Der Start glich dem einer Rakete, vor allem dank Jamie Oliver. Mit dem charismatischen Engländer – oft kopiert und nie erreicht – eroberte der Pop die Küche. Kochen für Freunde galt bei jungen Leuten plötzlich als „in“. Dementsprechend verkauften sich seine Bücher und nicht nur die.

Sechs Jahre später schreibt Brit Lippold für den Kulinarischen Report des Deutschen Buchhandels schon mit einem Anflug von Resignation: „Ich würde behaupten, der Boom ist vorüber, auch wenn nach wie vor jeder Fernsehsender seine Kochsendung hat. Unsere Umsätze sprechen eine andere Sprache. Die Zahlen sind nicht weiter gestiegen, sondern sie stagnieren, ja gehen teilweise sogar zurück.

An einem sonnigen Augustdonnerstag sind wir wieder mal verabredet, um 12 Uhr mittags, da öffnet Brit Lippold die Kochlust. Zweieinhalb Stunden später hat sie drei Postkarten verkauft, später kommen noch acht Kochbücher hinzu – zweimal Sarah Wiener, einmal Jamie Oliver plus Original schwäbisch, Backen mit Leila und Satt durch alle Semester. Nicht viel für acht Stunden.

Ist es die Wirtschaftskrise, die Tatsache, dass viele inzwischen lieber googeln als blättern oder der Fakt, dass heute jeder Discounter in Kassennähe einen Berg kulinarischen Sondermülls gestapelt hat, Rezepthefte, bunt und billig?

Irgendwo habe ich gelesen, Kochbücher seien was für Romantiker. Wenn das stimmt, erklärt sich das Phänomen der sinkenden Nachfrage schnell. Romantiker werden eben in einer Zeit laptopbewaffneter Pragmatiker immer seltener. Und so subventioniert Brit Lippolds Kochschule inzwischen die Buchhandlung.

Der Berliner Südosten. Müggelsee, Flakensee, Dämeritzsee, Friedrichshagen, Wilhelmshagen, Hessenwinkel, Rahnsdorf. Hier wohnt Brit Lippold, geschieden mit ihrem neuen Partner. Ihre zwei Kinder sind erwachsen – Judith, 25, arbeitet als Tontechnikerin, der 22-jährige Ludwig ist Fußballprofi und studiert Sportmanagement. Kleines Haus am Wald. Vier Zimmer und eine kuschelige Küche, in der ein alter Küchenschrank den Blick fängt.

Wie viele Kochbücher braucht der Mensch? Brit Lippold hat 120 Bände in einem Regal verstaut. „Für einen, der damit handelt, eigentlich viel zu wenige“, sagt die blonde Berlinerin. Aber mehr Platz bietet die Küche nicht. In ihrem Laden in der Alten Schönhauser Straße stehen rund 2500 verschiedene Titel.

Ihre Mutter, die pensionierte Französischlehrerin, ist zum gemeinsamen Kochen gekommen. Es gibt Artischocken, für Brit Lippold ein besonderes Gericht, eins mit Geschichte. Die hat mit dem Mangel in der DDR zu tun, in deren Gemüseläden die Artischocke genauso selten war wie Räucheraal im Fischgeschäft. Also bat ihre Mutter, wenn mal Freunde aus Frankreich die Familie besuchten, um l’artichaut. Die Distelpflanze stand jedoch nicht auf der Einfuhrliste der DDR-Zöllner und so blieb es bei den Begehrlichkeiten bis die Mauer fiel.

„Was bedeutet Freiheit für Sie?“

fragte ein Reporter Ende 1989 Brit Lippold. Deren Antwort muss den ARD‑Mann total verblüfft haben, denn sie lautete kurz und bündig: „Artischocke!“

Kein Wunder, dass die Pflanze später Briefpapier und Visitenkarten der Kochlust‑Buchhandlung und ihrer Kochschule zierte. Die Artischocke als Markenzeichen.

Das wird auch so bleiben, wenn Brit Lippold im kommenden Jahr die Kisten packt. Ihr Mietvertrag in Mitte läuft aus, die neue Miete für ihren kleinen Laden wird sich vervielfachen. Genügend Interessenten sind längst auf dem Sprung. Bekannte Modedesigner zahlen sowas aus der Portokasse. Deshalb zieht die Kochlust nach Kreuzberg.

Im ehemaligen Bechstein- und jetzigen Aufbau-Haus wird Brit Lippold gemeinsam mit dem Haushaltswarenhändler Andreas Langholz, dem Gastronomen Volker Rüger und dem Ex‑Süßwaren ‑Manager Wolfgang Schuhmacher Anfang April 2011 eine Kulinarik‑Manufaktur eröffnen – Kochbücher, Küchenwerkzeuge, Backwaren, Feinkost, Wein, ein Bistro und eine Kochschule auf rund 400 Quadratmetern. Mit im Boot sind auch die Essbaren Landschaften – deren Mitgründer Ralf Hiener als Küchenchef in der Kulinarik‑Manufaktur angeheuert hat. Gut für Brit Lippold und sicher auch für die Berliner Feinschmeckergemeinde.

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