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Höllenjob Spüler

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Diese Geschichte hat eine Vorgeschichte. Die begann am 3. Mai 2002 gegen 18.00 Uhr im Charlottenburger Alpenlandrestaurant Schweighofer’s. Ich arbeitete damals als Reporter für das SFB-Fernsehmagazin „Berliner Wochenmarkt“ und kam an diesem Freitag mit einem Kamerateam zu Dreharbeiten in das kleine Lokal. Alles war zuvor besprochen, doch Helga Schweighofer, die Wirtin, erklärte nun, dass Filmaufnahmen in der Küche nicht möglich seien.

Begründung: Der Spüler habe sich krank gemeldet. Um nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen, schlug ich vor, den Job zu übernehmen. Die Küchenbrigade war einverstanden, ich bekam eine Einweisung, die Aufnahmen konnten stattfinden, die Beschreibung meiner Tätigkeit am Spülbecken erspare ich mir. Das Ergebnis sechsstündiger Arbeit als Küchensklave jedenfalls war niederschmetternd: Hemd und T-Shirt patschnass, die Hände aufgequollen, die Unterarme mit mehren Brandblasen verziert.

Küchen- und Souschef grinsten hämisch, ich trank eine Flasche Mineralwasser auf ex und wusste von nun an, dass die Profi-Spülerei so gar nichts mit der mehr oder weniger kontemplativen Tätigkeit in der heimischen Küche zu tun hat. Eine Pfanne, zwei Töpfe, ein paar Teller, Schüsseln, Gläser, Besteck – dazu ein bisschen Brahms oder Freddy Quinn – das ist, verglichen mit dem Höllenjob in einem Á-la-carte-Restaurant, wie Rhein und Rinnsal.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Spüler in Frankreich die stolze Berufsbezeichnung „Casserolier“ oder gar „Chef-Casserolier“ trägt und in England „Steward“ oder „Chef-Steward“. Spülen im Akkord ist eine der härtesten Arbeiten in der Gastronomie. Eine, die Hochachtung verdient.

Wir haben neun Gastronomen angerufen und gefragt, ob wir ihre Spüler kennenlernen könnten. Sechs stimmten zu. Von den sechs Spülern waren vier bereit, sich befragen zu lassen. Dass es uns dafür ausschließlich in Berliner Spitzenrestaurants treiben würde, war nicht geplant.

Wir sind also unterwegs ins Reinstoff, zu jenem jungen Mann, der in Berlin einen gastronomischen Bilderbuchstart hingelegt hat. Kommen, kochen, Michelinstern. Selbst die kritischsten Berliner Köche sprechen mit Hochachtung von Daniel Achilles. Der einzige Schwachpunkt, frozzeln sie, sei seine Ferse. Na ja.

Wir lernen Destiny Ugbesia kennen, den Nigerianer, der seit neun Jahren in Berlin lebt. Er spricht deutsch, aber da die meisten Köche englisch mit reden, bleibt’s dabei. Er war zwei Jahre im first floor, „by Buchholz“, sagt er. Seit einem Jahr arbeitet er im Reinstoff.

Wenn er um 16.00 Uhr seine Schicht beginnt, stapeln sich Pfannen, Töpfe, Sauteusen und andere Gerätschaften bereits meterhoch. Destiny bewältigt das Chaos locker, nach einer halben Stunde sieht er wieder Land. Knochenarbeit – gibt es das Wort im Englischen? Wir versuchen es mit „bone job“. Destiny lächelt und korrigiert: „hard graft“.

Wieder dieses Lächeln. „Nein“, sagt er, „für mich ist Spülen Sport.“ Er wundert sich allerdings, dass kein Deutscher diesen Job haben will. Weshalb eigentlich nicht? Auch Küchenchef Daniel Achilles ist ratlos. Vermutungen: Es ist wie beim Spargelstechen – zu hart, zu dreckig, in der Hierarchie zu weit unten. Ich bin Spüler, wie klingt das? Dann lieber Hartz IV. „Es ist eine Einstellungssache“, sagt Achilles. Aber er will auch kein Risiko. „Lieber Destiny Ugbesia als irgendein Max Mustermann, der nach drei Tagen das Handtuch wirft.“

1000 bis 1200 Euro netto verdient der Spüler im Reinstoff, dazu kommt Trinkgeld, das nach der Devise „für jeden das Gleiche“ verteilt wird. „Wenn Destiny mal nicht kommen sollte, bricht der Laden zusammen“, resümiert Achilles.

Mohammed Muntaka
Um 16.00 Uhr ist im Margaux Rasch-Hour. Der Spüler kommt mit dem Fahrrad aus Neukölln. Rasch heißt er, flink ist er und ebenfalls ein Afrikaner. Sein richtiger Name: Mohammed Muntaka, geboren in der ghanaischen Hauptstadt Accra, seit 2003 in Berlin, seit 2004 im Margaux. Sein Deutsch ist perfekt. Den Spitznamen Rasch hat er sich selbst verpasst, nachdem es im Abendservice immer wieder hieß: „Mohammed, pots, rasch!“ „Mohammed, bowls, rasch!

Vor ein paar Jahren machte ihm die Küchenbrigade dann ein Weihnachtsgeschenk: sechs blütenweiße Kochjacken mit der eingestickten Aufschrift „Rasch“. Die trägt Mohammed Muntaka mit Stolz. „Er weiß, dass er gebraucht wird, und er wird tatsächlich gebraucht.“ Michael Hoffmann, der erfahrene Küchenchef, achtet seinen Mann in der Rasch‑Corner. 2,50 Meter mal 2,50 Meter, ein Handspülbecken, eine Profispülmachine und ein halbes Dutzend Spender – Fettlöser, Grill- und Spezialreiniger, Desinfektionsmittel.

Hoffmann und seine Leute achten nicht nur Raschs Arbeit, sondern auch seine Religion. Der 30-Jährige ist Moslem, betet dreimal täglich im Umkleideraum und bekommt das „Perso“, das Personalessen, mit Respekt für seine geschmacklichen Vorlieben und kulturell bedingten Besonderheiten.

Mohammed Ali
Auch Rasch verdient rund 1200 Euro netto – „ein bisschen mehr als ein Commis“, erklärt Michael Hoffmann und wird natürlich am Trinkgeld beteiligt. Wie lange er den Job noch machen will, wollen wir wissen. „Irgendwann möchte ich studieren“, erwidert Muntaka und macht sich über einen unglaublichen Berg diverser Edelstahl‑Behältnisse her, die sich in seiner Ecke stapeln.

„Wisst ihr eigentlich, dass Ferran Adrià mal als Spüler angefangen hat?“, mit dieser Frage empfängt uns Josef Eder im Grand Hyatt am Potsdamer Platz. Wir blättern in der Autobiografie des Küchenkünstlers – tatsächlich, 1980, mit 18, Tellerwäscher im Hotel Playafels auf Ibiza. Sechs Jahre später der erste Michelin-Stern, vier Jahre darauf der zweite und weitere acht Jahre danach der dritte. Das war 1998.

2002 wurde sein elBulli als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet. Davon weiß Mohammed Ali, Spüler im Restaurant Vox, nichts, aber den Spruch „vom Tellerwäscher zum Millionär“, den kennt er. „Ich habe es doch schon geschafft“, grinst Ali, „ich habe einen festen Job, verdiene ordentlich und bin in einem Superteam“.

Seit sechs Jahren arbeitet der fröhliche Mann mit dem Boxernamen schon im Grand Hyatt. Einen anderen Job? Taxifahrer oder Bauhelfer? „Arbeit ist Arbeit“, sagt der Ägypter. Und eine Festanstellung in diesem Haus sowas wie ein Traum. Der Service bringt schmutziges Geschirr. Ali lacht, schmeißt die riesige Spülmaschine an und singt ein arabisches Lied. „Ich mache das gerne, Good bye!“

Üstum Altmöz
Das gleiche Bild, die gleichen Argumente im Restaurant Gabriele. Üstun Altmöz stammt aus Balikesir, einer Stadt in  der Nähe von Izmir, im Westen der Türkei. Seit zwei Jahren arbeitet er inzwischen hier und ist glücklich mit seinem Job. Rund 80 Berliner Restaurants suchen derzeit einen Spüler – anpassungsfähig, flexibel, zuverlässig. Küchenchef Björn Alexander Panek: „Wir hatten im Gabriele – große Ausnahme – auch einen deutschen Spüler. Der hat die Marktlücke erkannt und macht sich jetzt mit einer Spülerfirma selbstständig.“

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