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Sornziger Gartenspaziergang – Wilde Pflaume

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Das Neue ist oft besonders gründlich vergessenes Altes. Für die Wildobstgehölze aus der Sammlung Umbreit, die heute vorgestellt werden sollen, gilt das allemal. Denn wenn Fernsehköche oder „regionale“ Speisekarten“ von Gourmet-Restaurants dem staunenden Publikum heute Kreten, Maloncken, Kriechen, Kreeken, Spillinge, Spillichte oder Ähnliches offerieren – und das nicht nur in flüssiger Form –, dann verbergen sich dahinter weder Erfindungen der Molekularküche, noch botanische Neuentdeckungen aus fernen Gefilden. Es sind vielmehr Fruchtgehölze der Gattung Pflaume (Prunus), die bereits vor Jahrhunderten die menschliche Ernährung bereicherten, mit dem Siegeszug des Edelobstes jedoch zunehmend in Vergessenheit gerieten. Sie überdauerten an Feldrainen und Waldrändern, in verwilderten Gärten und auf Brachen: unbeachtet, unbekannt, schlimmstenfalls gar als vermeintlich giftig gemieden. Für ihre „Rehabilitation“ musste die Zeit, vielleicht besser: der Zeitgeist erst reif werden – Öko und Bio sei Dank.

Doch selbst heute sind die Wege, die zur Wiederentdeckung und erneuten Nutzung dieser oft unter „Primitivpflaumen“ zusammengefassten uralten Prunus-Arten führen, nicht selten verschlungen. Bei den Sornziger Wilden begann alles damit, dass Hannelore und Volker Umbreit in der Niederlausitz Zibarten (Prunus domestica subsp. prisca) fanden und erstaunt feststellten, dass sich – entgegen der landläufigen Meinung, Zibarten seien als reine Brennfrüchte nur für einen hochpreisigen „Zibärtle“ gut – aus den gelblichgrünen kugeligen Pfläumchen ein charaktervoller Fruchtaufstrich bereiten lässt. Das verlangte nach mehr, außerdem wollen unverbesserliche Wildgehölznarren eben doch alles selbst besitzen. Kurzum, Umbreits bestellten bei diversen deutschen und österreichischen Baumschulen sukzessive 5 Zibarten – natürlich alle „echt“!

Nachdem die Bäumchen mehrere Jahre lang unscheinbar ohne eine einzige Frucht dagestanden hatten (und bereits zu den „Rodungskandidaten“ zählten), bog sich eines Tages „Zibarte“ Nr. 1 unter der Last der Früchte. Die allerdings honigfarben waren, an bedornten Zweigen hingen, süßwürzig schmeckten und sich bei näherer Betrachtung als Kreten (Prunus domestica subsp. insititia) entpuppten. Noch dazu einer seltenen gelben Varietät, nämlich des österreichischen „Waldviertler Kriecherls“.

Nr. 2 der fünf vermeintlichen Zibarten überraschte die Sornziger Wilden wenig später mit großen, kugelrunden, leuchtend purpurrosa Früchten: ein Spilling (Prunus domestica subsp. pomariorum), erkennbar an den fehlenden Dornen. Weitere Recherchen ergaben, dass es sich um einen Wildfund vom Elbufer bei Riesa handelte, weshalb der ertragreiche, kompakte Baum bei Umbreits nun nach seinem Fundort Bobersen-Spilling heißt. Der Bobersen liefert das Rohmaterial für einen frisch pinkfarbenen, cremigen Fruchtaufstrich, in dessen Pflaumenaroma sich eine feine Gewürznote mischt.

„Zibarten“ Nr. 3 und 4 waren Kirschpflaumen (Prunus cerasifera): Eine uralte Prunus-Spezies, deren früh und in Unmengen reifende, in einem breiten Farbspektrum anzutreffende Früchte am besten frisch vom Baum schmecken, für die Zubereitung von Fruchtaufstrichen von den Sornziger Wilden aber für zu unspezifisch süßlich-fade befunden wurden. Im Sinne der botanischen Vollständigkeit der Darstellung der Ur- und Primitivpflaumen behaupten die ansehnlichen, weit ausschwingenden kleinen Bäume jedoch ihren Platz in Umbreits Garten.

Dafür sollte sich Bestellung Nr. 5 als echter Volltreffer erweisen: Zwar wieder keine Zibarte, dafür aber eine Große Grüne Reneklode (Prunus domestica subsp. rotunda), eine uralte Reneklodensorte, deren tatsächlich grüne, oft berostete, dickschalige Früchte sich im Vergleich zu spektakuläreren Schwestern wie ‚Oullins‘ oder ‚Graf Althans Reneklode‘ eher unscheinbar im großen Blattwerk des gedrungenen Baumes ausnehmen. Aber was für ein Aroma! Das ebenfalls grüne Fruchtfleisch ist so intensiv gewürzt, dass es fast pfeffrig erscheint.

Und die Zibarte, mit der alles begann? Der cremigfeine Fruchtaufstrich mit dem Bittermandel-Anklang? Keine Angst, die Ernte 2013 am Niederlausitzer Standort ist zwar nicht üppig, aber hinreichend ausgefallen. Und eigene Zibarten besitzen Umbreits seit diesem Herbst nun gleich in 15-facher Ausführung, gewonnen aus Edelreisern der Lausitzer Mutterbäume und aufgepflanzt als Knick an der Grundstücksgrenze. Denn solche Knicks – heckenartige Gehölzstreifen als Windschutz und Markierung des Feldrains – waren einst natürliche Habitate vieler Primitivpflaumen.

Damit ist die Geschichte allerdings längst nicht zu Ende

Die „Fehlkäufe“ lenkten den Blick der Umbreits erst recht auf die in ihrer botanischen Taxonomie reichlich verworrenen, in der Vielzahl der lokalen volkstümlichen Benennungen aber geradezu unüberschaubaren wilden Prunus-Spezies. Und ließen sie noch manches Kleinod  – wie beispielsweise die überaus seltene baschkirische Süßschlehe (Prunus spinosa subsp. baschkiriensis) entdecken. Aber das ist bereits Stoff für eine neue Folge.

Erst einmal möchten die Sornziger Wilden mit ihrer 4-er Edition aus Spilling, Gelber Krete, Zibarte und Großer Grüner Reneklode eine Lanze dafür brechen, das ‚primitiv‘ der Primitivpflaumen nicht als minderwertig zu missdeuten, sondern vielmehr als ursprünglich und unverfälscht zu begreifen, den Geschmacksnerven zuzumuten, „Pflaume 4 x  anders“ wahrzunehmen.

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