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Alte Gemüsesorten – Eine Spurensuche

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Welchen Platz haben alte Gemüsesorten in Ihrer Küche? Und wie steht es um deren Verfügbarkeit? – Fragen, die wir bereits vor Wochen 22 Berliner Spitzenköchen sowie acht ihrer Kollegen in anderen Bundesländern und im Ausland per E-Mail gestellt haben.

Mit Hilfe der Antworten wollten wir zeigen, dass Butterkohl, Maiswirsing, Spargelsalat, und Co. wieder einen festen Platz in den Küchen guter Restaurants haben. Denn sie bringen eine besondere Qualität auf den Teller: Geschmack. Die wenigen Antworten, die wir erhielten, lassen uns jedoch an dem viel beschriebenen Trend zweifeln.

Tino Speer, Küchenchef in Sarah Wieners Restaurant Hamburger Bahnhof: „Zwei Jahre lang hatten wir Roten Meier, eine uralte Spinatpflanze, auf der Speisekarte. Viele Gäste fanden das Historiengemüse gewöhnungsbedürftig, vielleicht auch wegen der feinen Bittertöne.“ Ähnlich erging es Köchen, die mit alten Spargelsorten aufwarteten. Häufige Gästereaktion: „Zu bitter“. Längst haben Züchter dem Spargel – ebenso wie vielen Chicorée- und Gurkensorten übrigens auch – die bittere Seele genommen (oder Radieschen und Knoblauch die Schärfe) und damit Essgewohnheiten geprägt.

„Der Verbraucher von heute bevorzugt Gemüse, das kein starkes, eigenwilliges Aroma hat“, sagt Michel Pitrat, Biologe am Französischen Institut für Agrarforschung in Avignon und Autor des Standardwerkes „Histoires de légumes“. Also – zurück zur Vielfalt – nur ein kurzlebiger Hype und eigentlich keine Chance für Gemüse mit Charakter und dem etwas anderem Geschmack?

Der Südtiroler Karl Volgger gehört zu den „Gemüsepionieren“ unter Europas Köchen. Als viele seiner Kollegen noch meinten, Karottenperlen und Spargelspitzen seien das Nonplusultra vegetabler Küchenkunst, setzte Volgger schon auf „ganze Früchte“, vor allem aber auf alte Sorten.

Was vor über 20 Jahren als Selbstversorgung begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit und mit Hilfe ambitionierter Bauern und engagierter Händler zu einem Netzwerk, in dem Südtiroler Saatgutspezialisten, Vertriebsexperten, Landwirte und Köche unter Volggers Leitung zusammenarbeiten.

Herr Volgger, wer sind ihre Kunden?

In Zusammenarbeit mit „Ahrntal Natur“ und „Gastro Fresh“ vertreiben wir alte Gemüsesorten hier in Italien, aber auch in Österreich, der Schweiz und bei Ihnen in Deutschland. Unsere Kunden sind vor allem Sterne- und Haubenköche, also Kollegen, die um den Wert und den Geschmack dieser Sorten wissen und deshalb bereit sind, dafür auch einen höheren Preis zu zahlen.

Können Sie uns einige deutsche Kunden nennen?

Gerne. Hans Haas , Küchenchef im Münchener Tantris, kauft seit Anfang an Gemüse bei uns. Außerdem Martin Fauster vom Königshof, ebenfalls in München sowie  Heinz Winkler, Inhaber der Residenz in Anschau. Zu unseren Kunden in Deutschland gehören auch die Drei-Sterne-Köche Christian Jürgens in Rottach-Egern und Harald Wohlfahrt in Baiersbronn. Wir haben übrigens unsere alten Gemüsesorten auch schon nach Norddeutschland geliefert, nach Hamburg, in Cornelia Polettos Restaurant.

Was bieten Sie an?

Rund 60 alte Kartoffelsorten, über 30 Wurzelgemüsesorten, dazu Salate und andere Blattgemüse. Darunter sind zum Beispiel Gemüsemelde, Hirschzunge, Hirschhornwegerich, Hafer- und Kerbelwurzel, Behms Steckrübe, Große Klette, Lobbericher Möhre, Erdmantel, Knollenziest sowie Mashua, Cubio und Oca, ursprünglich in den Anden beheimatete Urkartoffelsorten mit eigenem Geschmack. Das ist, wie gesagt, aber nur eine kleine Auswahl.

Verarbeiten Sie diese Sorten auch in Ihrem eigenen Restaurant?

Natürlich, und ich bin immer wieder erstaunt über deren vielfältige Geschmacksbilder. Dazu müssen sie allerdings schonend verarbeitet werden, jede Verfremdung schadet ihrer feinen Aromatik.

Das Majestic Hotel & Spa

Im Gelände 20
39031 Reischach/Bruneck (Südtirol)
Tel. 0039 0474 – 41 09 93
www.hotel-majestic

 

Vor 14 Jahren zog es Johannes King vom Ufer des Berliner Hundekehlesees an die Gestade der Nordsee. Das ohnehin schon reichlich vorhandene Gourmet-Lametta vermehrte sich im Laufe der Zeit weiter und zwar in dem Maße, wie aus der Grand Cuisine die King Cuisine wurde.

Deren Basis sind regionale und saisonale Sylter Produkte – Hühner von den Salzwiesen, Meerschnecken aus dem Watt, Nordseefische, Inselaustern, die Sylter Royal also. Wildkräuter und Gemüse vom eigenen Bauernhof in Morsum, darunter auch viele alte und in allen Fällen samenfeste Sorten.

Was bauen Sie in Morsum an?

Jede Menge. Fenchel, Kohlrabi, Kürbis, Rosenkohl, Rote Bete, Spinat, Zwiebeln, Gartenkräuter, Wurzelgemüse.

Was davon kommt in der Söl´ring-Küche zum Einsatz?

Alles, was wir anbauen, verarbeiten wir auch.

Welche alten Gemüsesorten haben in den letzten Monaten Ihre Gerichte begleitet?

Diese Formulierung gefällt mir überhaupt nicht, weil sie unterstellt, dass Gemüse, gleich, ob alte Sorten oder nicht, eine Nebenrolle in der Küche spielt. Das Gegenteil ist der Fall. Gemüse, Salate, Kräuter bereichern jedes Gericht.

Welche alten Sorten waren das denn nun in der letzten Zeit in der Söl´ring Küche?

Hier nur eine kleine Auswahl: Römischer Ampfer, Fette Henne, Rote Melde, Etagenzwiebeln, Hirschhornwegerich, verschiedene Sommerbete und Meerkohl, dessen Geschmack übrigens entfernt an Blumenkohl erinnert, aber viel feiner ist.

Stichwort Geschmack. Was bieten da solche Sorten?

Erstmal eins: Alle im Kreislauf der Natur gewachsenen Produkte – Gemüse und Obst – haben während einer kurzen Zeitspanne besondere geschmacklichen Stärken. Und, das sollten wir nicht vergessen, auch den höchsten ernährungs-physiologischen Wert.

Viele alte Sorten weisen zudem einen ganz eigenen Charakter auf, bieten eine hohe geschmackliche Intensität und damit viel mehr Identität. Das gilt nicht nur für die Sorten, die ich schon genannt habe, sondern zum Beispiel auch für die Echte Brunnenkresse, für Sauerampfer, Strandportulak, Mairübchen, Teltower Rübchen, Topinambur, Kerbelrüben, weiße und gelbe Mohrrüben, Steckrüben, Knollenziest und noch einer Menge anderer, inzwischen leider selten gewordener Gemüsesorten.

Dorint Söl´ring Hof

Am Sandwall 1
25980 Rantum/Sylt
Tel, 04651 – 83 62 00
www.soelring-hof.de

 

Sarah Wieners Restaurant im Hamburger Bahnhof gehört zweifellos zu jenen Berliner Lokalen, in denen alte Gemüsesorten kein Dann-und-wann-Dasein führen, sondern zum kulinarischen Konzept gehören.

Kein Wunder aber, dass Küchenchef Tino Speer neben Daniel Achilles und Michael Hoffmann als ausgewiesener Auskenner in dieser Materie gilt.

Speer, gebürtiger Berliner, wuchs in Rahnsdorf, am Ufer des Müggelsees auf und bekam von seiner Großmutter schon früh Einblicke in die Geheimnisse des Gemüseanbaus und der Gemüseverarbeitung. Sie zu lüften, das blieb dem 36-Jährigen auch später ein Anliegen, erst recht, seit er vor elf Jahren zu Sarah Wiener kam.

In Ihrem Restaurant sind alte Sorten Programm?

Absolut. Alte und samenfeste Sorten. Das hat etwas mit unserer Unternehmensphilosophie zu tun. Wir wollen den Geschmack wieder zur Geltung bringen, und uns liegt die Vielfalt am Herzen, die von wenigen Saatgutkonzernen mit ihren Hochleistungs-Hybridsorten kaputt gemacht wird.

Woher beziehen Sie ihr Gemüse?

Wir werden von einer Brandenburger Bio-Bäuerin beliefert, einiges bauen wir in einem kleinen Garten selbst an, und wenn wir sonst noch was brauchen, bestellen wir es beim Bio-Großhandel.

Können Sie uns einige Sorten nennen, die derzeit auf Ihrer Speisekarte stehen?

Ja sicher. Den Brandenburger Hirsch beispielsweise servieren wir mit einer alten Topinambursorte und zum Wiesenkalb gibt es Haferwurzel und roten Spitzkohl der Sorte Kalibos. Außerdem verarbeiten wir  Ochsenherz-Tomaten, Hinrichs Riesen, das sind grüne Bohnen, Helianthi, also Sonnenblumenwurzeln und einige andere alte Gemüsesorten, die zur Zeit Saison haben. Zum Beispiel die Chinesische Keule.

Was ist das?

Ein Salatgewächs, das im Frühjahr und im Herbst zur Verfügung steht, seinen Ursprung in China hat und vor rund 70 Jahren nach Europa kam. Wir benutzen sowohl die Blätter als auch die dicken, fleischigen Stengel. Sie sind sehr aromatisch, haben aber leichte Bittertöne.

…die Ihre Gäste akzeptieren?

Einige schon. Das ist ja das Problem aller Köche, die auf alte Gemüsesorten setzen. Vieles ist erklärungsbedürftig, weil nur noch der süßliche Mainstream-Geschmack dominiert. Mit der Sortenvielfalt geht auch die geschmackliche Vielfalt verloren. Dagegen anzutreten, betrachten wir auch als unser Credo.

Haben Sie eigentlich ein Lieblingsgemüse?

Das Glückskleerübchen. Die Knollen dieser Sauerkleeart haben eine wunderbar knackige Konsistenz. Sie schmecken am besten, wenn man sie nur kurz in Butter anschwenkt.

Sarah Wiener im Hamburger Bahnhof

Invalidenstraße 50-51
10557 Berlin-Mitte
Tel. 030 – 70 71 36 50
www.sarahwiener.de

 

Manchmal vergeht ihr das Lachen. Meistens dann, wenn sich mal wieder ein Besucher in das verschlafene Nest Hasenfelde, irgendwo zwischen Müncheberg und Fürstenwalde verirrt und über ihre wunderbaren Tomatensorten schwadroniert. Oder die malerischen Boretschblüten lobt oder den – „Ist das auch Rotkohl?“ – roten Spitzkohl auf ihrem Acker bestaunt.

„Wenn mit der Zahl solche Hymnen auch die meiner Kunden stiege, wäre ich glücklich“, sagt Stephanie Kratzsch. Einmal in der Woche beliefert sie Sarah Wieners Berliner Restaurants. Einen Friedrichshainer Bio-Laden und die Eggersdorfer Gärtnerei Apfelbaum mit alten Gemüsesorten, das war´s dann auch schon.

Natürlich kennt Stephanie Kratzsch die vielen euphorischen Berichte über ausgefallenes, ungewöhnliches und geschmacksstarkes Gemüse auf den Tellern vieler Restaurants. Glauben kann sie daran nicht so recht. „Es ist schwer, beispielsweise alte Salatsorten wie Forellenschluss, Indianerperle, Rehzunge oder Teufelsohr zu vermarkten“, zuckt sie mit den Schultern. Sie verweist auf den höheren Arbeitsaufwand sowie das größere Anbaurisiko gegenüber den hybriden Allerweltssorten. Diese wachsen normiert und können maschinell geerntet und verpackt werden. „Nur wenige Gastronomen sind bereit, einen entsprechenden Preis für mein Gemüse zu zahlen“, bemerkt sie.

Die 45-jährige Diplom-Agraringenieurin, Studium in Witzleben, Fachrichtung ökologischer Landbau, begann vor vier Jahren im Brandenburger Landkreis Oder-Spree, Gemüse anzubauen. 80 bis 100 Sorten wachsen heute auf drei Hektar Land und in zwei Folienzelten – darunter, um nur weitere Beispiele zu nennen – der rote Rosenkohl Rubine, dessen eher kleine Röschen mit feinem Nussaroma aufwarten und die Fleischtomate Berner Rose, die zwar nur eine dünne Haut hat, diesen Transportnachteil aber mit ihrem feinen, süßlichtomatigen Geschmack mehr als aufwiegt.

Wie ihre Zukunft aussehen wird, das will Stephanie Kratzsch, die Frau mit dem Klitschko-Händedruck und dem fröhlichen Lachen, noch in diesem Jahr entscheiden. Vom Staunen der Besucher ihres Hofes und der Gemüsebeete darüber, was es in der Welt der Kulturpflanzen alles zu entdecken und zu erschmecken gibt, kann die Gemüsebäuerin schließlich nicht leben …

Gemüsebau Steph Kratzsch

Buchholzer Weg 3
15518 Steinhöfel
Tel. 033637 – 38 297

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