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Restaurant Taverna le Gradole

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Ja, Aele Cabiddus Hirschrippchen sind wunderbar würzig, die Kapauncousommé ist fein abgeschmeckt und das mit Ahornsirup zubereitete Schweinskotelett kriegt man so nicht oft – aber was ist das alles gegen einen Teller Polenta mit Stockfisch! Lange war ich der Meinung, dass dieses italienische Traditionsgericht, das eigentlich aus dem Veneto stammt, nicht besser zubereitet werden kann als im Restaurant Toni del Spin in Treviso, aber seit ich Cabiddus Baccalà marinato con Polenta gegessen habe, bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Ohnehin ist das zwar eigenwillige, aber geschmacklich bemerkenswerte Gericht von den meisten Speisenkarten verschwunden – zu viel Aufwand, zu viel Arbeit für ein Arme-Leute-Essen. Gleiches gilt für die Trippa alla Fiorentina, die toskanische Art der Kalbskutteln. Bei Aele Cabiddu stehen sie nicht nur auf der Karte, sondern werden auch dermaßen perfekt zubereitet, dass man glatt eine zweite Portion ordern könnte.

Drittes Beispiel aus der Rubrik 100 Prozent Toscano: Lardo die Colomata e Mousse die Cardi al Tartufo. Auch dieses Gericht ist ein Beispiel kulinarischer Regionalität, wie man sie leider selten findet, nämlich selbstbewusst und zeitgemäß – allerdings auch ziemlich oft Mainstream. Dort jedenfalls, wo die Touristen strömen, wird sowas nur selten serviert – zu eigen, zu fremd, und teuer verkaufen kann man solche Sachen auch nicht.

Damit kein falsches Bild entsteht – Cabiddu gehört nun nicht zur Brigade der Radikal-Regionalisten, er holt lediglich die Toskana-Küche ohne jegliche brachiale Kreativität in die Gegenwart. Und das ist aller Ehren und mir immer wieder einen Besuch in Seravezza wert.

 

Zum urtoskanischen Gusto gehört im Winter auch ein Gemüse, das von Dezember bis Februar auf den Feldern rechts und links der Landstraßen geerntet wird – Kardy, mit der Artischocke verwandt und der Distel ähnlich. Von den anderthalb Meter hohen imposanten Pflanzen mit ihren bizarren silbrig-grünen Blättern bleiben nach dem Schnitt nur noch die gelblichen Stiele, die in Super- und auf Wochenmärkten in den kalten Monaten allgegenwärtig sind.

Aiele Cabiddu, dessen kulinarischer Feuereifer sich nicht nur in einer ausdrucksstarken Regionalküche, sondern auch in einer immensen Produktkenntnis manifestiert, spricht darüber, dass bereits die Römer Kardy als Gourmet-Gemüse schätzen. Im 17. Jahrhundert gelangte er mit den Hugenotten – viele von ihnen waren erfahrene Gärtner – aus dem Süden Frankreichs auch in die Mark Brandenburg, verbreitete sich dort rasch und bereicherte viele Gemüsegärten. Vor allem wegen des feinen, leicht bitteren, nussigen Geschmacks galt Kardy auch in Mitteleuropa lange als Delikatesse, verlor jedoch wegen seines arbeitsintensiven Anbaus in den letzten Jahrzehnten hierzulande zunehmend an Bedeutung. Nicht so in der Toskana, deren Küche seit jeher von der Bescheidenheit des Bäuerlichen geprägt ist.

In ihrer edelsten Ausführung hat sie sogar Eleganz. Deftiges etwa wirkt selten schwer und selbst beim einfachsten Gericht offenbart sich die Güte der Zutaten. Beispiel: Mousse di Cardi, eine regionale Spezialität, die auch auf der Speisenkarte von Aiele Cabiddu nicht fehlt. Dafür kocht der Küchenchef zwei Kilogramm geschälte Kardystiele, vier Kartoffeln und 300 Gramm Lauch, montiert das Ganze mit Butter und Milch, püriert es und würzt mit Salz und Pfeffer. Das Mousse di Cardi serviert Cabiddu zum Lardo sowie zu Fleisch und Fisch oder gibt damit klassischem Risotto eine besondere, pikant-würzige Geschmacksnote.

Aele Cabiddu – Küchenchef

Ein Sarde in der Toskana. Der 45-Jährige stammt aus Ghilarza, absolvierte eine Kochlehre und ging auf Wanderschaft. Amsterdam, Aosta, Barcelona, Cagliari, Fünchal. Zwei Jahre Privatkoch des italienischen Modeschöpfers Valentino Garavani in Paris, Gstaad und auf dessen Yacht T. M. Blue One. Seit Anfang April 2014 Inhaber und Küchenchef der Taverna Le Gradole in Seravezza, einem kulinarischen Geheimtipp in der nördlichen Toskana.

TAVERNA LE GRADOLE
Via Campana 10
55047 Seravezza (LU)

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