Das Genussnetzwerk für Essen, Trinken & Lebensart

Schokoriegel aus der Candy Farm

6.722

Die Markthalle Neun in der Kreuzberger Eisenbahnstraße ist immer für eine Entdeckung gut. Nirgendwo anders bieten so viele Klein- und Kleinstmanufakturen ihre hausgemachten Kreationen an, und so ist die Halle sowohl ein Spiegelbild dieser Branche als auch ein Testlabor für deren Produkte. Was hier ankommt, hat auch anderswo eine Chance.
Die gefüllten schokoladigen Kreationen von Ulrike Jung und Reto Brunner hatten es bei mir allerdings schwer. Da waren sofort die Bilder im Kopf von all diesen Industrie-Schoko-Riegeln, die ich schon als Kind nicht mochte. Zu süß, zu klebrig. Mars, Snickers und Co. waren einfach nicht mein Ding. Wäre die Tortenkönigin der Markthalle, Annette Zeller, nicht gewesen, ich hätte Retos Candy Farm keine Beachtung geschenkt. Die Süße-Spezialistin allerdings ermutigte mich, zu probieren. Also gut, Figaro. Außen dunkle Schokolade, innen eine Feigenfüllung. Und was soll ich sagen? – ein Schokoriegel kann tatsächlich schmecken, fruchtig, einige feine Bittertöne, einfach lecker. Sicher auch ein paar Kaloriechen, aber sei´s drum.

Wir kommen ins Gespräch!

Ulrike Jung ist 49, stammt aus Garmisch-Partenkirchen, hat Fotografin gelernt und als Kulturmanagerin gearbeitet. Reto Brunner, 44, ist Westfale aus Hagen, Verpackungstechnicker, Grafiker, Webdesigner. Vor zwei Jahren begannen sie mit ersten Experimenten am heimischen Herd. „Uns hat genau das gefehlt, was wir heute herstellen“, so Brunner. Die Ergebnisse ihrer Versuche damals waren, was die Form betrifft, ernüchternd – „die Torrone ist einfach weggelaufen“ – aber der Geschmack überzeugte die testenden Freunde und so war der Entschluss schnell gefasst: Wir probieren es weiter. Einen Masterplan hatten sie nicht, lediglich 500 Euro Budget und diesen Drang, einen perfekten Schokoriegel hinzukriegen.

Inzwischen produzieren sie 16 verschiedene Riegel-Sorten, kleine, handgemachte Freuden. Die eigene Küche haben sie längst verlassen, sie arbeiten jetzt in professionellen Produktionsräumen am Kreuzberger Spreeufer.

Wir dürfen dabei sein, wie der Torrone entsteht – das ist ein bisschen wie beim Zuckerbäcker und ein bisschen wie beim Apotheker. Alle Zutaten müssen grammgenau abgewogen werden, die exakte Temperatur beim Kochen entscheidet über das Gelingen. „Früher haben wir die Mischung aus Zucker, Sirup, Honig und Wasser bei 140°C gekocht. Später haben wir herausgefunden, dass bei 138°C genau jene Grenze liegt zwischen Zähnekiller und softem Nougat“, erläutert Reto Brunner die technischen Feinheiten der Produktion der vermutlich ältesten Süßspeise der Welt. Normalerweise kommen in die weiche weiße Masse Mandeln, Pistazien und Orangeat, jetzt gibt es in Retos Candy Farm auch eine Neuentwicklung – Pinienkerne mit Rosmarin. „Vergessen sie bitte nicht zu erwähnen, dass unsere Zutaten, bis auf ganz wenige Ausnahmen, bio sind“, bittet Ulrike Jung. Das ist ihr wichtig, weil es den Kunden wichtig ist.

Langsam nimmt der Torrone Gestalt an und – das ist keine Übertreibung – selbst die stolzesten Cremoneser, die die Erfindung des Torrone für sich beanspruchen, würden neidisch werden, wenn sie diese weiße Nougatkreation probierten. Feine Honigaromen, ein Hauch Würze durch die gerösteten Mandeln, wenig Süße, es ist schon erstaunlich, dass Seiteneinsteigern in dieses schwierige Geschäft der Süßigkeitenherstellung ein solcher Treffer gelungen ist. Reto Brunner: „Die Erfahrung macht´s, viele kleine Tricks, die wir nach und nach herausgefunden haben, sind qualitätsentscheidend.“ Und genau darum geht es ihnen auch bei allen anderen Kreationen. Die Farmer-Schnitten mit Datteln, geröstetem Sesam und Haferflocken, sind eine Geschmacksexplosion. Und jedes Bounty wirkt neben ihrem Kokosriegel mit Ananas wie ein Stück Dämmstoff.
Trotzdem bleibt für mich der Figaro das Maß aller Dinge. Feigengefüllt mit einer perfekten Harmonie von Süße und Säure, durch eine feine Balsamicoreduktion ist er mein Favorit. Zwischen dieser Kreation und irgendwelchen Schokoriegeln aus dem Supermarkt liegen Welten – süßer Himmel, süße Hölle.

Übrigens: Der Erfolg macht sich auch in einer Maschine bemerkbar, die sich Reto Brunner und Ulrike Jung in diesem Jahr leisten konnten. Stolze 16.000 Euro hat ihre italienische Temperier- und Schokoladenüberzugsmaschiene gekostet, das Geld muss man erstmal verdienen.

Inzwischen arbeiten sie auch an einer neuen Verpackung. „Ein bisschen zeitgemäßer und mit Papier aus Kreuzberg“, so Reto Brunner. Ich gestehe – mir ist, ehrlich gesagt, die Verpackung ziemlich egal, wenn in ihrem Innern solche Geschmacksbomben stecken. Sicher ist es nicht übertrieben, wenn es heißt: „Retos Candy Farm hat dem Schokoriegel seine Seele zurück gegeben.“

www.candyfarm.org

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Cookies, um Ihre Erfahrung zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, Sie können diese jedoch abmelden, wenn Sie dies wünschen. Akzeptieren Mehr erfahren