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Stilbruch auf der Insel Eiswerder

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J. w. d., sagt der eingeborene Berliner, janz weit draußen. Damit meint er nicht etwa Gegenden jenseits des Polarkreises – nein, j. w. d. ist in der Berliner Übertreibungsrhetorik das Synonym für Blankenfelde, Hermsdorf, Konradshöhe, Müggelheim oder Wannsee. Je weiter von der City entfernt, desto mehr j. w. d. Und je mehr j. w. d., desto weniger interessant.

My Kiez is my castle – außer, wenn dem Mitte-Menschen die Sonne ins Herz scheint. Dann geht’s raus nach j. w. d. – zum Beispiel nach Eiswerder. Zwei Möglichkeiten gibt es, die Insel in der Havel – an dieser Stelle ist der Fluss zum Spandauer See erweitert – zu erreichen: Entweder man fährt über die Straße am Juliusturm, dem Falkenseer Platz, die Neuendorfer Straße und die Eiswerderbrücke oder man benutzt den Saatwinkler Damm, die Gartenfelder Straße, die Daumstraße und die kleine Eiswerderbrücke. Die zweite Variante hat den Vorteil, dass man das Restaurant Stilbruch nicht lange suchen muss; es befindet sich gleich hinter der Brücke.
Der Nachteil: Besagte Kleine Eiswerderbrücke ist einspurig und ampelfrei. Hight-moon also, wenn einem plötzlich in Brückenmitte ein Auto gegenübersteht.

Wer legt jetzt den Rückwärtsgang ein? Der Kleinwagen-Fahrer oder der Kraftprotz-Lenker? Der Berliner oder der Spandauer? „Der Klügere“, sagt Peter Pelz salomonisch. Der 47-jährige Restaurantmeister – Kellnerlehre im Ostberliner Palasthotel, nach dem Fall der Mauer im bayerischen Rothenburg ob der Tauber, in Zermatt im Kanton Wallis und für die Berliner Weincompagny tätig – ist seit 2008 Stilbruch-Inhaber und kennt sich aus – was die Insel im Allgemeinen und die kleine Eiswerderbrücke im Besonderen betrifft.

„Eigentlich müsste das Restaurant ja ‚Zum Stellwärterhäuschen‘ heißen“, erzählt er, „denn als solches wurde es vor 125 Jahren mal gebaut.“ Das war die Zeit als des Kaisers Generäle die Insel entdeckten und hier Geschütze bauen, Pulver mischen und Patronen herstellen ließen. Die Rüstungsfabriken bekamen einen Gleisanschluss, den später, als auf Eiswerder kein Kriegsgerät mehr hergestellt wurde, die Siemens AG nutzte. Heute gibt es dort, wo einst die Gleise lagen, einen Uferweg und aus dem Stellwärterhäuschen wurde eine idyllische Wirtschaft mit Haus- und Havelterrasse.

Pelz und sein Team servieren hier, was müden Wanderern guttut: eine gutbürgerliche Wirtshausküche, größtenteils lokal verankert und verbunden. Bestätigt wird das beispielsweise mit einem deftigen Blutwurststrudel zu einem Apfel-Zwiebel-Ragout und dem erstklassigen Wiener Schnitzel, das mit sensationeller Fleischqualität punktet. Garnelenfreaks finden eine spezielle Garnelenkarte, der Kaiserschmarrn ist zum Niederknien, der Blechkuchen hausgemacht und die Weinkarte sucht in Spandau ihresgleichen.

Graf Adelmann, Georg Breuer, Dr. Bürklin-Wolf Diel, Fürstlich Castell’sches Domänenamt, Huber Graf Neipperg, Mayer-Näkel, Reichsgraf von Kesselstadt, dazu etliche gute offene Gewächse und die kenntnisreiche Beratung des Inhabers – nicht schlecht, Herr Pelz.
Übrigens: Auf Eiswerder tut sich auch sonst jede Menge. In denkmalgeschützen Gemäuern entstehen Wohnungen, Künstler und Medienleute siedeln sich an, ein Oldtimer-Zentrum ist in den Startlöchern…

Restaurant Stilbruch

Eiswerderstrasse 22
13585 Berlin
www.stilbruch-restaurant.de

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