Die Windmühlen-Lady
Messer sind keine Männersache
Lady, das liest sie garantiert nicht gern. Keine Spur von vornehmer Dame. Das Auffälligste an Giselheid Herder ist ihre Unauffälligkeit, das Aufregendste ihre Unaufgeregtheit. Die 48-jährige Unternehmerin ist Geschäftsführerin der Robert Herder GmbH & Co. KG in Solingen. Hinter dem spröden Firmennamen verbirgt sich eine Messermanufaktur, die unter dem Zeichen der Windmühle Messer herstellt, die so nirgendwo mehr produziert werden. „Anachronistisch“, nennen Modernisten die aufwendige Handarbeit beispielsweise für ein einfaches Schälmesser. Die großen grauen Augen in Giselheid Herders markantem Gesicht blitzen einen Moment auf. Dann sagt sie betont spöttisch: „Wir sind eben die Traditionalisten.“
Eigentlich wollte sie Hotelmanagerin werden, aber die Hotelfachschule in Lausanne lehnte ab. Es folgte eine Banklehre in Düsseldorf. „Es schadet nicht, wenn man mit Geld umgehen kann“, kommentiert sie heute die damalige Entscheidung. Devisenhändlerin, Aufstieg in die „Auslandsreserve der Bank“, den Traum von der großen weiten Welt immer noch vor Augen. Die Heirat eines langjährigen Schulfreundes. Mitte der 70er Jahre beschloss ihr Vater, die Nachfolge im Unternehmen zu regeln. Giselheid Herders Ehemann, Industriekaufmann von Beruf, sollte die Firma führen. Dessen plötzlicher Tod machte das Vorhaben zunichte. Sie sieht sich in der Pflicht und ihr Vater sieht es genauso, die drei älteren Schwestern haben in ihren Berufen längst Karriere gemacht. Fünf Jahre lang lernt Giselheid Herder an der Seite ihres Vaters, ein Traditionsunternehmen zu führen. „Es war nicht leicht, aber lehrreich.“, mehr sagt sie zu dieser Zeit nicht.
Wir sitzen im Ausstellungsraum des Herderschen Verwaltungsgebäudes. Ein grausiger Zweckbau, der im vorigen Jahr – „vor der Krise“ – sagt Giselheid Herder, saniert wurde. Man sieht es dem Haus nicht an, dafür kann man jetzt die Fenster öffnen. Sie bleibt noch zwei, drei Gedanken bei dem teuren Baupfusch der 60er Jahre, dann kommt sie wieder zu Ihrem Thema, den Messern. Giselheid Herder zeigt eine große Klinge mit sanft geschwungenem Griff: „Ich mache gerade ein neues Kochmesser.“
Herder werkelt schon seit vier Jahren an einem Prototypen
Gerade, das meint, dass sie bei Herder schon vier Jahre an diesem Prototyp arbeiten. „Es soll ein Botschaftsträger werden“, erklärt Giselheid Herder. Die Botschaft lautet: In der Manufaktur, die das Zeichen der Windmühle trägt, wird zwar auch Edelstahl verarbeitet, das wichtigste Klingenmaterial allerdings ist der anlaufende und sogar rostende Karbonstahl, weil er schnitthaltiger ist. Alle Messer werden mit dem Solinger Dünnschliff versehen, einer zwar aufwendigen, aber traditionellen Methode, den Messern eine besondere Schärfe zu verleihen. Immer wieder Tradition, traditionelle Produktionstechniken, traditionelle Formen, traditionelles Handwerk. Giselheid Herder schaut auf das Messer in ihrer Hand: „In einer Welt, in der so viel Schund produziert wird, muss es Menschen geben, die gute Dinge bewahren.“Sie spricht vom Flachschmieden, auch so ein Verfahren, das es irgendwann nicht mehr geben wird. „Die meisten Messer werden im Gesenk geschmiedet“, erläutert sie, „das ist zwar wirtschaftlich, aber gewaltsam. Das Schmieden mit dem Flachhammer ist komplizierter, handwerklicher, verdichtet das Material weniger…“ Sie gibt Anschauungsunterricht mit den Händen. Ohne beide Verfahren jemals gesehen zu haben, ahnen wir nur, was Giselheid Herder meint. Sie lächelt: „Flachschmieden ist eben etwas Besonderes.“ Und das Besondere, das liegt ihr am Herzen.
Rund 70 Arbeitsgänge sind nötig, damit aus dem Rohstahl ein fertiges Messer wird – ein einfaches Schäl- oder Gemüsemesser, die urdeutsche Buckelsklinge, das von einer arabischen Säbelform abstammende Mini-Yatagan oder das Hartkäsemesser Parmoulin. „Wir machen handwerkliche Gebrauchsmesser“, fasst Giselheid Herder zusammen. Wer ihr zuhört ahnt, was es heißt, wenn die Rede vom „inneren Kompass“ eines Unternehmers ist. Wenn ein Unternehmer und sein Unternehmen ihren Kern aus den Augen verlieren, die Identität, dann verlieren beide ihren Sinn. Bei Giselheid Herder besteht diese Gefahr nicht.
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