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Ulrike Piecha

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Vom Zauberlehrling zur Bistrochefin

Irgendwo bekam ich das Stadtteilmagazin Der Wedding in die Hand, über 100 Seiten. Erster Eindruck: Keines jener billig-bunten Werbeblättchen, die es in Berlin haufenweise gibt – kaum gesehen, schon vergessen. Der Wedding will Maßstäbe setzen.

Die U-Bahn-Fahrt vom Gesundbrunnen zum Alexanderplatz reicht für das Impressum. Kurze Lebensläufe der Autoren und Fotografen, die erwartete Ansammlung junger Intellektueller der Generation Projekt.

Eine Vita ist anders. „Ulrike Piecha“, lese ich, „geboren 1979, Kochlehre im Sternerestaurant, Bachelor in Gastronomic Sciences an der Slow Food Academy Pollenzo / Italien. Konzipiert und projektiert international feine Restaurants und Delikatessenläden.“

Ich treffe die 30jährige in der Kreuzberger Marheinekehalle: Jeans, T-Shirt, Schürze, dunkelhaarig, braungebrannt, ein südländischer Typ. Sie steht in einer offenen Küche, links ein Wok mit frischem Gemüse, rechts ein Grill mit einem halben Dutzend Rumpsteaks, vor ihr ein Teller, den sie vorsichtig mit Suppe füllt. Nebenbei unterhält sie ihre Gäste, die auf Barhockern rund um das Küchenkarree sitzen – Bau- und Geschäftsleute, Studenten und Oma Gerda, Stammgast an Ulrike Piechas Bio- Buffet. „Hast Du die Suppe wieder so scharf gewürzt?“ „Nein, nur kräftig, damit Du stark bleibst.“

„Cos’é questo?“, fragt ein junger Mann mit dem Blick auf einen Vegi-Burger mit gegrilltem Gemüse und frischen Kräutern. „Specialitá della casa“, antwortet die Köchin und erklärt in fehlerlosem Italienisch ihr Bio-Buffet-Burger-Konzept. Sie wäre auch in der Lage, das gleiche in Englisch oder Portugiesisch zu tun.

Geboren in Erfurt, Umzug der Familie nach Saßnitz auf der Insel Rügen als Ulrike Piecha drei ist. Schlüsselkind. Ihre Eltern, Mutter Ärztin, Vater Ingenieur für Verkehrskybernetik, engagieren sich am Runden Tisch ihrer Heimatsstadt, Diskussion für die Demokratie, manchmal 16, 18 Stunden am Tag. Nie wieder Diktatur.

Ulrike, damals 10, versorgt sich und ihre fünfjährige Schwester Elisabeth. Der frühe Küchenstart beeinflußt die Berufswahl entscheidend. Abitur und der Wunsch, Köchin zu werden. „Zu Hause spielten sich Dramen ab“, sagt sie und fügt hinzu: „Mein dicker Kopf siegte.“

Ulrike Piecha geht nach Düsseldorf und beginnt im Restaurant Victorian eine Kochlehre. Das Haus Nr. 3 an der kleinen Kö gilt schon damals als die kulinarische Institution in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Chef am Herd: Günter Scherrer, ein Mann der klassischen Grande cuisine. Auf Scherrer, der im Dezember 2001 das Victorian verlässt, folgt Bobby Bräuer. „Bessere Lehrmeister kannst du dir nicht wünschen“, resümiert Ulrike Piecha ihre Ausbildung.

Im Sommer 2002 absolviert sie die zweitbeste Abschlussprüfung aller Düsseldorfer Kochlehrlinge. Günter Scherrer, der inzwischen im sonnigen Galizien sein Privatiers-Dasein genießt, schreibt ihr: „Liebe Frau Piecha, verehrter Zauberlehrling, ich freue mich, dass Sie in Düsseldorf Ihre Ausbildung mit so großem Erfolg beendet haben. Es würde mich ebenso freuen, wenn Sie weiterhin am Ball blieben.“

Ulrike Piecha nimmt ihren Lehrer beim Wort, fliegt ins brasilianische Salvador da Bahia und organisiert für den Schweizer Gastronomen Andreas Maag die Küche seines Restaurants Caranguejo. Nach gut einem Jahr, Konzept, Kalkulation und Einkauf funktionieren, hört sie von einer italienischen Geschmackshochschule, die im Oktober 2004 in Pollenzo, einem Dorf gut fünfzig Kilometer südlich von Turin, den Lehrbetrieb aufnehmen soll. Sie bewirbt sich, kratzt die Studiengebühr von 19 000 Euro jährlich zusammen und schreibt sich an der Università del Gusto ein.

Dreieinhalb Jahre lang beschäftigte sich Ulrike Piecha hier mit der gastronomischen Wissenschaft. Universitätsgründer und Slowfood-Papst Carlo Petrini definiert sie als „die Wissenschaft, welche die Kultur der Nahrung erforscht“. Die junge Köchin lernt also Dinge, von denen auf ihrer Düsseldorfer Berufsschule keine Rede war: Geschichte des Kochens, Grundlagen der Nahrungshygiene, Physiologie des Geschmacks, Semantik des Weintestens…
Unterrichtssprachen englisch und italienisch. Ein anspruchsvoller Abschluss als Bachelor of Gastronomic Sciences und Petrinis Botschaft im Gepäck, in der Welt für die Verbreitung der Genussfähigkeit und der kulinarischen Kultur zu sorgen.

Gut, sauber und fair, das sind für Carlo Petrini, der vor zwanzig Jahren mit Slow Food die Gegenbewegung zur kulinarischen Beschleunigung und Industrialisierung nach amerikanischem Muster gründete, die wichtigsten Kriterien zur Beurteilung von Lebensmitteln.

Diese Attribute hat sich auch Ulrike Piecha für ihr Bio-Buffet in der Marheinekehalle auf die Fahne geschrieben. „Alles bio, alles frisch, alles schnell“, heißt ihr Motto. Sie hätte auch schreiben können: Spaß, gepaart mit Fantasie und handwerklichem Können. Marktfrische Produkte von Biohöfen der Region kommen in Töpfe, Pfannen oder auf den Grill, Convenience ist tabu. Ihre Bio-Cheesburger beispielsweise verhalten sich geschmacklich zu den Produkten der Fast-Food-Konkurrenz wie ein sorgfältig affinierter Camembert von Maître Antony zu einem anonymen Industriekäse aus der Kühltheke eines Billigheimers. Ihre Frühstücksjoghurte sind nicht mit künstlichen Aromen aufgeplustert, und ihre Suppen lügen nicht.

Kein Wunder, dass Ulrike Piecha von Berlinale-Chef und Slow-Food-Deutschland-Mitgründer Dieter Kosslick gebeten wurde, beim „Kulinarischen Kino“ mitzuspielen – als „Scharnier zwischen Filmemachern und Köchen“. Sie tat’s, und nichts quietschte.

Und wenn wir irgendwann in den nächsten Jahren von Ulrike Piecha als Betreiberin des ersten Berliner Slow-Food-Restaurants und noch ein paar Jahre später als Sterneköchin hören, wäre das auch kein Wunder. Sie hat das Zeug dazu.

Bio-Buffet

in der Marheinekehalle
Marheinekeplatz 15
10961 Kreuzberg

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