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Coledampf’s Küchenkolumne – Lakritz

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Nicht nur Herr Sarrazin, auch die Hersteller von Gummibärchen neigen dazu, Statistiken zu missbrauchen, um ihre Kundschaft unabhängig von Geschlecht, Konfession, Alter, Gewicht, Gendefekten oder Reproduktionsverhalten in Schubladen zu stecken – ausschließlich nach einem einzigen Kriterium: mögen sie Lakritz oder nicht? Und siehe da, auch wenn der völlig migrationshintergrundfreie Ur-Berliner mit „Lakaritze“ für die Leckerei eine eigene Bezeichnungsvariante entwickelt hat, in Bezug auf den Verzehr der selben gehört er in einen Topf mit Bayern, Schwaben, Hessen oder Thüringen.

Bei Hans Riegel in Bonn wird die Rhein-Main-Linie auch als Lakritz-Äquator bezeichnet. Mit einer Exklave: Berlin. Ganz anders beispielsweise in Schleswig-Holstein. Dort gehört Lakritz zu den Grundnahrungsmitteln. Naheliegen, dass die Nordlichter es zu einer gewissen Kennerschaft gebracht haben. Mein Großvater beispielsweise hatte immer eine Schachtel Lakritz in der Jackentasche. Er kaufte sie in der Apotheke („die sind nicht so süß, Junge“) und setzte sie regelmäßig zur Abhärtung seiner Enkel ein, die Dinger waren nämlich ziemlich scharf.

Auch der Hinweis „die sind aus Eselsblut“ fehlte fast nie. So hatten wir wenigstens auch was gruseliges, die armen Bayern hatten damals nur Franz Josef Strauß. Das mit dem Blut ist natürlich eine Legende, nur wir hatten damals noch kein Wikipedia, um Opa zu überführen. Dort steht nämlich: „Bei der Herstellung (von Lakritz) werden die Inhaltsstoffe aus den Wurzeln (Süßholz oder Glycyrrhiza) extrahiert und eingedickt. Zusätzlich werden Zuckersirup, Mehl und Gelatine zugesetzt, um daraus die üblichen Lakritzformen herzustellen. Vermischt mit Stärke, Agar, Anis, Fenchelöl, Pektin und teilweise Salmiak werden die üblichen Lakritzvariationen hergestellt.

Auf die Rezeptur kommt es an

Angeblich hat Lakritz je nach Anbaugebiet einen unterschiedlichen Geschmack. Kenner sollen den Geschmacksunterschied zwischen den in Spanien, Italien, der Türkei und Frankreich angebauten Pflanzen herausschmecken können.“ Die Zutaten kennen wir jetzt, aber wie bei allen guten Produkten kommt es natürlich auf die Rezeptur an und – da können Sie mir glauben – ist mir so ein Aroma wie es die Lakritz-Spezialitäten von Johan Bülow aus Bornholm haben, noch nie vor den Gaumen gelaufen.

Ob klassisch salzig, scharf mit Chili, süßsauer mit Preiselbeeren oder in einer Hülle aus edler Schokolade: lecker. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht gelingt, die Berliner in den Norden zurück zu holen, hat wenigstens mein Personalnachtisch eine großartige Heimatgefühl-Komponente. Apropos Komponente, Johan Bülow macht auch Lakritz Sirup in süß für Desserts und in salzig für Saucen.

Na, liebe Küchenchefs, was sagt die Fantasie?

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