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Liebling Roulade – Notizen zu einer Umfrage

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Cornelia Poletto mag sie klassisch mit Speck und Zwiebeln, aber ohne Gurke. Tim Mälzer bevorzugt sie mediterran, das heißt mit einer Paste aus angerösteten Pinienkernen, getrockneten Tomaten und Olivenöl. Den Speck ersetzt der Hamburger Küchenbulle durch Pancetta, der sie durch seinen hohen Fettanteil besonders saftig hält. Alfons Schuhbeck wiederum füllt sie am liebsten mit einer Mischung aus Kalbsbrät, Karotten, Knollensellerie, Trompetenpilzen, Essiggurken, Sardellen, Speck und Zwiebeln.

Die Rede ist von einem edlen Fleischwickel, den nicht nur Deutschlands Fernsehköche immer wieder gern zubereiten, sondern der auch der Stolz jeder guten Hausfrau ist. Deutschlands unaufgeregteste (Kompliment!) TV-Service-Sendung, das ARD-Buffet, fragte Ausgang des vorigen Jahres nach den Lieblingsspeisen der Leute im Lande. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe stellten die Redakteure der Sendung eine Liste mit 100 Gerichten auf. Von Armer Ritter über Brathähnchen, Döner, Pizza, Rumpsteak und Rührei bis Zwiebelrostbraten. 50.000 Zuschauer stimmten online ab, und das Ergebnis der Koch-Charts dürfte wohl nur die Totalverweigerer deutscher Hausmannskost verwundern. Das Resultat nämlich fällt deutlich aus. Die Deutschen essen am liebsten deutsch, und zwar:

1 Rinderroulade
2 Spargel mit Sauce hollandaise
3 Kohlroulade
4 Rheinischer Sauerbraten
5 Wiener Schnitzel
6 Entenbrust
7 Tafelspitz mit Meerrettichsauce
8 Pellkartoffeln mit Kräuterquark
9 Hühnerfrikassee
10 Königberger Klopse

Man stelle sich ein Gasthaus vor, in dem die ARD-Buffet-Umfrage-Top-Ten auf der Speisenkarte stehen, frisch zubereitet, nicht als Brandenburger Sättigungs-, sondern als moderne Traditionsküche.
Jede Wette, dass dieses Gasthaus seinem Namen alle Ehre machen und hohe Gästegunst genießen würde.

Gute alte Rinderoulade auf Platz 1

Der Spitzenreiter also: die gute alte Rinderroulade. Das Sonntagsessen in tausenden deutschen Haushalten von Schleswig-Holstein bis Baden-Württemberg. Kein Wunder: sie hütet die Aromen und hat ein Talent für Überraschungen – erst angeschnitten zeigt sie, was in ihr steckt. Wie oft sie allerdings noch hausgemacht auf den Tisch kommt, darüber macht die Umfrage keine Angaben. Vermutlich nicht allzuoft, denn Rouladen in Dosen und Gläsern haben Konjunktur, wie Supermarktmitarbeiter gerne bestätigen. Der Grund liegt auf der Hand.

Erstens kosten diese Fix-und-fertig-Gerichte nicht viel, und zweitens geht’s schnell – beim „Kochen“ und beim Essen. Also probierten auch wir „2 Rindsrouladen in pikanter Sauce“ (Omnimax Lebensmittel GmbH, 16816 Neuruppin, 2,39 Euro); „2 Rinderrouladen in pikanter Sauce“ (hergestellt für Netto Marken-Discout AG & Co. KG, 93142 Maxhütte-Haidhof, 2,35 Euro); „2 Rinder-Rouladen, natürlich aus Ostholstein“ (hergestellt von der Fleischerei Oldekop, Lübeck, 8,29 Euro) und „Du darfst – Rinderroulade in aromatischer Sauce mit würzigem Rotkohl und lockerem Kartoffelpüree (Unilever Deutschland, 22770 Hamburg, 1,99 Euro).

Ein Fazit vorweg: die Masse der Missstände auf den Tellern spottete jeder Beschreibung.
Die beiden Lübecker Fleischrouladen, die „Genuss aus dem Land der Schlösser und Herrenhäuser“ versprachen, wirkten äußerlich zwar recht proper (Frischfleischeinwaage 380g), doch das war´s dann auch schon. Die Füllung: schleimige Gurke, matschiger Speck, ledrige Zwiebel. Das Fleisch kaum gewürzt, die helle Sauce dafür salzig. Weitere Zutaten: E 410 (Johannisbrotkernmehl als Verdickungsmittel), E 422 (Mod. Stärke als Bindemittel), E 330 (Zitronensäure als Säurungsmittel), E 211 (Natriumcarbonat als Konservierungsstoff), E 621 (Mononatriumglutamat als Geschmacksverstärker), Aromen, Branntweinessig, Karamell, Nitrit, Saccharin.

Immerhin: der Cocktail ist zwar orthografisch schlampig, aber vollständig deklariert. Was nach dem Essen blieb: ein erheblicher Saucenrest und ein gewaltiges Durstgefühl. Note: 5.

„Von allem das Beste“ hieß es auf der Rouladen-Dose der Omnimax Lebensmitte GmbH Neuruppin. Auf dem Teller dann die Ernüchterung. Das hauchdünn geschnittene, weitgehend geschmacksfreie Fleisch enthielt eine nussige Füllung, in der lediglich die Gurke noch einigermaßen Konsistenz aufwies. Der Rest schmeckte, obwohl auf der Dose nicht vermerkt, als sei hier Weißbrot im Spiel gewesen. Dazu eine fade, süßliche Sauce, ebenfalls geschmacksverstärkt – aber was soll man von einem Fertiggericht mehr erwarten? Note: 5.

Apropos Weißbrot: Kein Geringerer als Eckart Witzigmann benutzte es übrigens einst im Münchner Restaurant Tantris für die Füllung von Rouladen. Der Großmeister schnitt daraus Croutons, die in geklärter Butter knusprig ausgebacken wurden. Dazu kamen Räucherspeckscheiben sowie feingeschnittenes und in Butter angedünstetes Gemüse – Karotten Rosenkohl, Zwiebeln.
Die damit gefüllten Rouladen gehören zu den Witzigmann-Klassikern, die relativ einfach nachzukochen sind – allemal meilenweit geschmackvoller als das Dosenfutter.

Auch unser dritter Test brachte nur stummes Kopfschütteln. Zwei Rinderrouladen in pikanter Sauce vom Gut Ponholz, hergestellt für Netto Marken-Discount. Auch hier das Fleisch in Carpaccio-Starke, wahrscheinlich in gefrorenem Zustand geschnitten. Die Füllung: gehackte Gurken und Zwiebeln, Speckwürfel, alles von leicht süßlichem Geschmack. Wenigstens die Sauce war nicht überwürzt. Note: 4.

Am besten schmeckte da noch die „Du darfst-Roulade“, allerdings verzichten wir darauf, Kartoffelpüree und Rotkraut des Fertiggerichtes zu probieren. Zwar war auch dieses Fleisch papierdünn, die Füllung aus Gurke, Speck und Zwiebel hatte aber noch Struktur und war einigermaßen ordentlich gewürzt. Note: 4. Und der wiederholte Beweis dafür, wie bizarr die Esskultur hierzulande ist. Während wir uns beim Lebensmittelkauf in beinahe kriminalistischer Manier als Schnäppchenjäger betätigen, kann es nicht teuer genug sein, wenn es beispielsweise um Autos, Kosmetik oder Mobiltelefone geht.

Lediglich 13 Prozent unseres Einkommens geben wir fürs „tägliche Brot“ aus, Restaurantbesuche inklusive. Tendenz weiter fallend – eine traurige Tatsache. Wann in der Küchengeschichte zum ersten Mal dünne Fleischscheiben mit einer Farce oder anderen Würzbeigaben gefüllt, gerollt, verschlossen und geschmort wurden, ließ sich nicht endgültig klären. Ein Gericht der kulinarischen Neuheit jedenfalls ist die Roulade nicht.

Bereits um 1800 notierte Charlotte Fontane, die dritte Frau des Großvaters von Theodor Fontane, ein Rezept für Rindfleisch-Rouladen, gefüllt mit einer Masse aus gekochtem Speck, Petersilie und Schalotten, gewürzt mit Pfeffer und Nelken. Auch Henriette Davidis, Kochlehrerin der deutschen Biedermeierdamen, beschrieb in ihrem 1844 erschienenen Kochbuch-Besteller „für die gewöhnliche und feine Küche“ geschmorte Fleischrollen. Ihr Vorschlag für die Füllung: „Mehrere hartgekochte Eigelbstreicht man durch ein Sieb, verrührt sie mit 1 rohen Eidotter, zwei Löffel Tomatenbrei oder saurer Sahne, wenig gewiegter Petersilie und einer geriebenen Schalotte mit Pfeffer und Salz zu einer Farce, mit der man die Rouladen bestreicht, bevor man sie mit einer Speckscheibe bedeckt.“

Im 1892 erschienenen Illustrierten Victoria-Kochbuchhieß das Gericht Rollfleisch vom Rind, gefüllt mit Speck und Zwiebeln. Einzige Besonderheit: Autorin Hedwig v. Hohenwald warnte ausdrücklich davor, mit Kümmel zu würzen. Und das oberbayrische Kochbuch für jeden Haushalt von 1906 schließlich empfiehlt, in die Rindrouladen eine Mischung aus Semmelmehl, Speck, Zwiebeln, Petersilie, geriebener Zitronenschale, Kapern und Steinpilzen.

Doch nun kommt´s. Es ist leichter in alten Kochbüchern ein Rouladenrezept als in Berlin, ein Restaurant zu finden, das den Küchen-Klassiker auf seiner Speisenkarte hat – nicht von fleißigen Metro-Bienen bereits gewickelt und gewürzt oder von anderen Warmmach-Expertenmehr oder weniger liebevoll vorgekocht, sondern von Anfang bis Ende hausgemacht.

Auf der Suche nach Rinderrouladen frisch gefüllt, gut gewickelt, sanft geschmort und mit einer kräftigen Sauce, wurden wir endlich in Charlottenburg fündig. In der Schlüterstraße macht Michael Eilhoff seit über 15 Jahren Stamm- und Zufallsgäste mit feiner Regionalküche, frei von modischen Banalitäten glücklich. Seine Antwort auf die Frage, weshalb man in den Restaurants rund um den Kurfürstendamm Rouladengerichte mit der Lupe suchen müsse, gibt zu denken. „Weil man“, sagt Eilhoff, „erstens damit nicht viel verdienen kann und weil zweitens viele junge Köche nicht gelernt haben, wie´s geht.“

Der Küchenchef zeigt es gerne, assistiert übrigens von einer alten Bekannten. Cindy Mentz war mal die Nummer eins am Herd im früher viel gelobten Grünauer Château 105. Nun bereiten Eilhoff und Mentz eine Rinderroulade zu, von der die Fans des Fleischklassikers sagen, sie sei die beste der Stadt.

Restaurant Lutter & Wegner seit 1811 ist leider geschlossen!

Schlüterstraße 55
10329 Berlin – Charlottenburg

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