Auf den Spuren des Sternekochs Hendrik Otto
Die A9 in Richtung Süden. Der Hohe Fläming, die Elbbrücke bei Vockerode, Dessau-Ost, die Ausfahrt Bitterfeld. Plattes Land in herbstlichen Farben, darauf Dutzende Denkmäler des neuen Energiezeitalters.
Ein Schild weist den Weg – noch fünf Kilometer bis Löberitz. Auf geflickten Asphalt folgt Kopfsteinpflaster. Am Ende eine Ansammlung von Häusern, die so gar nichts vom Reiz mancher norddeutscher Dörfer hat, ganz zu schweigen von Thüringen oder dem Schwarzwald. „Jeder Ort, und sei er noch so häßlich, hat seine sieben Schönheiten. Man muss sie nur zu finden wissen“, notierte einst Theodor Fontane. Obwohl der Dichter dabei die Mark Brandenburg im Sinn hatte, seine Aufforderung gilt sicher auch für diese Gegend.
Die Schönheiten von Löberitz sind eher praktischer Art. Die Landfleischerei von Alex Reinhardt bietet Hausschlachtenes, die Bäckerei von Lutz Stelzl Selbstgebackenes. Schon das macht Löberitz zu etwas Besonderem. Anderorts kommt der Konsum auf Rädern mit Lebensmitteln aus der Fabrik. Ein Gedenkstein erinnert an die Gründung des Schachvereins vor 140 Jahren, einige Fabrikgebäude aus den Gründerjahren an die Blütezeit des Dorfes.
Hier also wuchs Hendrik Otto auf, hier ging er zur Schule.
Garcon besuchte in Löberitz die Mutter des Adlon-Küchenchefs und neuen Berliner Zwei-Sterne-Kochs.
Nein, im Adlon sei sie noch nie gewesen,…
…sagt Regina Otto. Die Mutter des Zwei-Sterne-Kochs lebt allein in einem schmucken Häuschen mit Garten am Rand von Löberitz. Ottos Bruder studiert in Halle Agrarwissenschaften, sein Vater starb vor zwei Jahren. Regina Otto erinnert sich: “Mein Mann war es wohl, der Hendrik vorschlug, Koch zu werden, der Beruf war hier ziemlich selten.“
In der Gegend, in der Otto aufwuchs, gibt es ein Verb, das nicht im Duden steht. „Klägen“ sagt man dort, das „ä“ wird gedehnt, das „g“ wie „ch“ gesprochen: „klächen“. Das Wort entstand in den großen Chemiewerken von Leuna, Buna, Bitterfeld und Wolfen und ist das mitteldeutsche Synonym für „hart arbeiten“. Es klingt irgendwie derb, ein Wort ohne Reiz. Was sollte hier auch junge Leute reizen. Wer in dieser Gegend aufwuchs, landete meist in einem der grauen Moloche. Jeder Zweite lernte aus Mangel an Alternativen Chemiewerker, Maschinist oder Schlosser. Wäre also Hendrik Ottos Vater nicht gewesen, hätte der Junge aus dem anhaltinischen Löberitz wohl auch einen dieser Berufe ergriffen. Sein Vater weckte in dem 17-Jährigen jedoch den Traum von der großen weiten Welt – ferne Länder, fremde Völker, Abenteuer. Otto – Realschulabschluss1,0 – bewarb sich für eine Kochlehre auf einem Handelsschiff. Dann fiel die Mauer. Der Berufswunsch blieb, die Marine kam ad acta. „Die ganze Klasse ist rüber gemacht“, erinnert sich Regina Otto. Ihr Sohn ging nach Baden-Württemberg.
Der Ausbildung im Kurhotel Lauterbad in Freudenstadt folgten Stationen bei Albert Kellner in Brenner´s Park Hotel & Spa in Baden-Baden, bei Michael Hoffmann in Haerlin, dem Gourmetrestaurant des Hamburger Hotels Vier Jahreszeiten, und schließlich bei Harald Wohlfahrt im Hotel Traube-Tonbach in Baiersbronn. Otto lernte, was Kochkunst frei von Kompromissen bedeutet und erwarb einen sicheren Sinn für Konsistenz und Geschmack, Kontrast und Harmonie.
Nach Wohlfahrt stand Ducasse in Paris zur Debatte. Hendrik Otto entschied sich jedoch für eine Küchenchefstelle im Hamburger Landhaus Flottbek. Im Jahr 2002 schließlich wurde er die Nummer Eins am Herd im Kölner La Vision, dem Feinschmecker-Restaurant der Designer-Herberge im Wasserturm. Bereits ein Jahr später gab es für seine – zugegebenermaßen noch stark wohlfahrtgeprägten Kreationen – den ersten Michelinstern. Der Gault Millau krittelte noch, „dass der bestens ausgebildete Otto auch zu den Übereifrigen gehört, die schon beim Amuse bouche dermaßen lospowern, dass sie unnötige Energien verbrennen, die ihnen später, wenn es aufs Ganze geht, vielleicht fehlen.“
Ein paar Jahre später folgt Otto dem Ruf nach Berlin, wird als Küchenchef im Gourmet-Restaurant Vitrum des Ritz-Carlton Hotels, Nachfolger von Thomas Kellermann und erkocht auch hier einen Michelin-Stern. Dann das abrupte Ende. Ritz-Carlton schließt das Edel-Restaurant. Im April 2010 wird der junge Mann aus Löberitz Küchenchef im Restaurant Lorenz Adlon. Sein Küchenmotto formuliert er so: „Europäisch inspiriert, spannend und ausdrucksstark kochen“. Erneut vergibt der Michelin einen Stern. „Hendrik ist ehrgeizig, er setzt sich Ziele, das war schon immer so“, weiß seine Mutter auf die Frage nach der wichtigsten Charaktereigenschaft ihres Sohnes.
Herr Otto, wann haben Sie erfahren, dass Ihnen der zweite Stern verliehen wurde?
Ich hatte an dem bewussten Montag frei und gehört, dass es am Dienstag eine Presseerklärung über neue Sterne und Aberkennungen gehen wird. Natürlich habe ich gehofft, meinen Stern zu verteidigen. Doch allzuviele Gedanken darauf habe ich nicht verschwendet. Ich musste meine Tochter aus dem Kindergarten abholen und Essen kochen. Gegen 17 Uhr rief ein Stammgast an und gratulierte mir zum zweiten Stern. Ich war so aufgeregt, dass ich mich nicht mal richtig bedankt habe. Dann stand das Telefon nicht mehr still. Abends bin ich ins Adlon gefahren, habe mich mit meiner Brigade getroffen, und wir haben am Potsdamer Platz Party gemacht.
Was würden Sie sagen, wer von Ihren Lehrern den größten Anteil hat an dieser Auszeichnung?
Das klingt jetzt vielleicht etwas arrogant, aber ein Kollege, mit dem ich in der Lehre war, rief mich an und erinnerte mich an diese Zeit. Und ob Sie es nun glauben oder nicht, es war mein Ehrgeiz, der mich am meisten getrieben hat. Ich habe beispielsweise den halben Escoffier abgeschrieben und versucht zu verstehen, wie die Rezepte aufgebaut sind. Sie dürfen nicht vergessen, ich habe den Beruf in einem einfachen Landhotel gelernt und bin erst später zu Hoffmann, Kellner und Wohlfahrt gekommen.
Haben Sie eigentlich auf den zweiten Stern hingearbeitet?
Klare Antwort. Als ich im April 2010 die Küchenchefstelle im Adlon antrat, habe ich mir gesagt, dass ich bis 2012 den zweiten Stern haben will. Ich liebe klare Ansagen, auch an mich selbst.
Und wenn es nun in diesem Jahr und auch im nächsten nicht geklappt hätte?
Auch da ist meine Antwort eindeutig, dann wäre ich gegangen.
Was treibt Sie um?
Das wichtigste ist, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass ich für meine Gäste koche. Aber es gibt noch eine zweite Sache, über die ich häufig nachdenke.
Worum geht es da?
Ich bin mit meinen 37 der älteste Koch im Adlon. Mein Souschef ist 30, der Pattisier 31, alle anderen sind noch weit jünger. Damals in Brenner´s Park Hotel in Baden-Baden gab es auf jedem Posten einen Chef, der war zwischen 50 und 60 und besaß einen riesigen Erfahrungsschatz. Ich frage mich heute immer öfter, weshalb es selbst in Top-Brigaden nur noch junge Leute gibt. Ehrlich gesagt, mich stört es, dass nur noch so wenige ältere Mitarbeiter in der Spitzengastronomie am Herd stehen. Wie viel Wissen wird da nicht mehr weiter gegeben.
Die Stärke Ihrer Küche scheint die Kombination von Aromen zu sein…
Ja, da liegen Sie richtig. Es wird beispielsweise bald ein neues Gericht auf unserer Karte geben – Blutwurst, Zander und Sauerkraut, allerdings von verschiedenen Krautsorten. Auch den Fisch werden wir anders bearbeiten, da habe ich einiges von den Japanern gelernt. Lassen Sie sich überraschen.
Vielen Dank für das Gespräch!