Ganz viel Gans
Wo die besten Weihnachtsgänse braten
Stunde um Stunde hatten wir vor dem glühend-heißen Ofen in der Backstube gestanden – Fototermin beim Bauern Klaus Dörr. Der backt das Brot auf seinem biologisch-dynamisch betriebenen Hof in Fischbach oben im Rheingau-Gebirge noch so, wie es in alten Büchern steht: aus reinem Schrot und Korn, getrieben von natürlichem Sauerteig und gebacken in der vom Buchenholzfeuer ausgeglühten Tuffsteinhöhle eines handgemauerten Backsteinofens.
Fotograf Richard Stradtmann und Redakteurin Peilersaßen völlig erledigt auf der schmalen Bank vor derBackstube und erholten sich in klarer Luft und bei schönstem Blick über die weiten Taunushöhen, als von rechts eine Gänseherde munter schnatternd im Gänsemarsch vorbeiwatschelte. Propere Vögel mit stolzgeschwellten Brüsten, ihr Leben lang Grasgänger und Körnerfresser (Weizen für das Gewicht, vor allen Dingen aber Hafer, der den Geschmack ausmacht), ständig frische Luft und klarstes Taunus-Quellwasser –was für ein erfülltes Gänseleben.
Stradtmann und ich hatten nur einen Gedanken: Wie wundervoll müsste so eine Gans schmecken, wenn sie in der Restwärme des Dörr’schen Backofen gebraten würde. Die Idee des „Gänsebacke(n)s auf dem Fischbachhof“ war geboren. Herr und Frau Dörr waren begeistert (schließlich handelte es sich bei diesem zünftigen Event quasi um eine Genehmigung zum Gelddrucken). Von Martini bis Weihnachten gab es in den nächsten Wintern an rotkariert eingedeckten Kerbetischen in der Backstube Dörr’sche Spitzengänse satt, ohne Schnickschnack zubereitet von Rheingauer Spitzenköchen (der erste war Reinhold Heckl vom Pan zu Erbach), dazu nicht zu knapp Weine von Rheingauer Spitzenwinzern (der erste war der Assmannshäuser Spätburgunder-Erneuerer August Kesseler). Beim Gänsebackes war die Backstube immer voll und die Stimmung immer prächtig.
Jetzt haben die Dörrs nach zehn Jahren und rund 2000 Gästen leider mit dem Backes aufgehört. Der Bauer wird Rentner, Sohn Simon übernimmt den Hof und damit auch die Gänsezucht. Ein Teil der Qualitätsgänse vom Fischbachhof wird im Hofladen von Christel Dörr in Wiesbaden auf der Taunusstraße verkauft, den Rest brät Sterne-Koch Patrik Kimpel vom Kronenschlösschen in Hattenheim im Rheingau. Er hält die Dörr’schen Gänse für die besten der Welt und serviert sie seiner – etwas teureren – Klientel zu Martini und in der Vorweihnachtszeit in den schönen Räumen des Gründerzeitschlösschens am Rhein. Kimpel lässt ein Maronen-Rahmsüppchen auftragen vor dem knusprigen Gänsebraten, der von klitzekleinen Kartoffelklößchen, einem Traum von einer Sauce und einem sensationellen Rotkraut (sehr fein geschnitten und eine Woche fermentiert) begleitet wird. Schlusspunkt ist ein Lebkuchenparfait mit Zimt-Sabayon. Sterne-Gans halt.
Auch meine absolute Lieblingsköchin, die große Carmen Krüger aus Eichwalde, ist vor einigen Jahren auf die Gans gekommen. Seit sie im November und Dezember ein traditionelles Gänseessen anbietet, ist der Ansturm auf ihr kleines Restaurant im Süden von Berlin enorm. Das Ambiente in Carmens Restaurant passt in seiner Schlichtheit zur durch und durch preussischen Köchin: Mehr Sein als Schein. Pure brandenburgische Küche, normalerweise aus den besten Produkten des Landes. Nur bei den Gänsen schwächeln die heimischen Produzenten, sie kriegen es einfach nicht hin, die rund 1500 Vögel, die Frau Krüger pro Saison braucht, in gleich bleibender Qualität und dem Gewicht von vier bis viereinhalb Kilo zu liefern. So sind Carmen Krügers Gänse Oldenburger Landgänse. Die Köchin lässt die Tiere noch eine Woche im Kühlhaus reifen, dann füllt sie sie mit Boskop (wegen der Säure), mit scharfen Zwiebeln und natürlich mit Beifuß (macht das Fett verdaulich). Einziges Gewürz ist Salz. In zweieinhalb bis 3 Stunden braten die Gänse dann in der „volle Pulle“ aufgeheizten Bratröhre zu knuspriger Schönheit heran.
Die 24 Sitzplätze in Carmens Restaurant sind in der Gänsezeit schnell vergeben. Riesige Familienverbände sagen sich an, engagierte Einzelesser und Gans-verliebte Paare buchen früh, wollen sich unbedingt bei Frau Krüger ganz der Gans hingeben, zugucken, wie Carmens Partner Wolfgang Hase den zeremoniell aufgetragenen Vogel am Tisch tranchiert. Wer kriegt die Brust und wer die Keulen? Noch einen Kartoffelkloß bitte, noch viel mehr von der mit Cognac aufgemunterten Bratensauce bitte, und Rotkraut und Grünkohl sind so schön schlotzig. Für mich allerdings, die ich bisweilen zugucken und mitessen durfte, ist Frau Krügers in eine Vorspeisen-Triologie integrierte Gänseessenz das absolute Highlight. Natürlich waren auch der Tirami su von der Gänseleber (Gruß des Hauses), das Gänse-Weißsauer und der geräucherte Gänsemagen (Vorspeisen-Trio) und der abschließende Winterapfel im Strudelteig (mit fluffiger Vanillesauce) von einsamer Krüger-Klasse.
Wenn das in Eichwalde so weitergeht, wird es in Carmens Restaurant so enden wie im noblen Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten: Da werden die Sitzplätze für das klassische Gänseessen am Nachmittag des Heiligen Abend vererbt.
Das Restaurant ist leider geschlossen!
Carmens Restaurant
Bahnhofstraße 9
15732 Eichwalde
www.carmens-restaurant.de
Die Kommentarfunktion ist geschlossen.