Berliner Gastronomie auf Spitzenplatz
„Unser Erfolg wäre so in keiner anderen deutschen Stadt möglich gewesen“, das sagt Daniel Achilles, der 2009 gemeinsam mit zwei Partnern, das Restaurant Reinstoff in Berlin-Mitte eröffnete und innerhalb von drei Jahren fast alles an Sternen, Punkten und Titeln einheimste, was in der Gastronomie möglich ist, darunter als höchste Auszeichnung zwei Michelin-Sterne.
Als Henry Levy zwei Michelin-Sterne erkochte, war Achilles noch nicht auf der Welt, und in Berlin warb man mit der kulinarischen Botschaft, dass die jährlich verzehrten 63 Millionen Currywürste, aneinandergelegt, eine Kette vom Kurfürstendamm bis zur Golden Gate Bridge in San Francisco ergeben würde. In Anlehnung an das Zitat von Daniel Achilles, hätte Henry Levy also 1982, als er sein Sternerestaurant frustiert schloss und die Stadt verließ, formulieren können: „Unsere Niederlage wäre so in keiner anderen deutschen Stadt möglich gewesen.“ Wie gesagt, dazwischen liegen gerade mal 30 Jahre und die Erkenntnis: Nirgendwo anders in Deutschland hat sich die gastronomische Szene in dieser Zeit derart verändert wie in Berlin. Heute gilt sie als boomende, arbeitsplatzschaffende und tourismusfördernde Branche.
Tim Raue
Alles ist rekordverdächtig: Die Zahl der Lokaleröffnungen, der Sternerestaurants, der Szeneläden, der Ethnoküchen, der kulinarische Trendsetter. Vor allem sind es engagierte Köche, die den Ruf der Stadt prägen: Diether, Frank, Hoffmann, Kammeier, Kempf, Kleeberg, Lohse, Müller, Otto, Raue und natürlich Achilles – man kennt die Namen, und weiß selbst außerhalb der deutschen Grenzen, welcher Chefcuisinier womit Zeichen setzt. Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im selben Maß wie die Küchen spannender werden, sich der Service kompetenter, kommunikativer und vielsprachiger bewegen müsste.
Davon jedoch sind die meisten Damen und Herren in den hauptstädtischen Kellnerbrigaden noch ein gehöriges Stück weit entfernt. Zu viele Rituale, zu viel Floskelsprache. Die Serviceleistungen in Berlin sind selten rekordverdächtig. Doch wenn Gastroguides und andere Medienmenschen immer nur das beschreiben und bewerten, was auf dem Teller ist und ein Restaurant nicht als Gesamtheit von Eindrücken und Erfahrungen betrachten, wird das auch weiter so bleiben. Und vielleicht müssten sich sachkundige Menschen auch mal die Ausbildungspläne für den Kellnernachwuchs ansehen. Es könnte ja sein, dass darin nicht mehr alles zeitgemäß ist.
Henry Levy
Keine Frage, die Spitze konzentriert sich in Mitte, dort, wo die Massen sind und das Geld gemacht wird. Britz, Buckow, Rudow, Lankwitz, Lichterfelde und erst recht Hohenschönhausen, Hellersdorf und Marzahn – das alles ist gastronomisches Niemandsland. Nun kann man keinen kochenden Existenzgründer, geschweige denn einen etablierten Spitzenkoch nach j. w. d. befehlen. Und so müssen sich offenbar die Besucher der Marzahner Gärten der Welt weiter mit Klappstullen bewaffnen oder sich an einem der spärlichen und zudem grausigen Imbissbuden versorgen. Oder hat da vielleicht, mit Blick auf die Bundesgartenschau, ein cleverer Bezirkspolitiker doch mal eine zündende Idee? Einer der schönsten Erholungsstätten der Hauptstadt wäre es zu wünschen, das sie nicht nur botanisch, sondern auch ein bisschen kulinarisch glänzt.
Zu solchen Glanz einer Metropole gehört natürlich auch, dass mittags auch die Luxusläden ihre Leistungen anbieten. Von den dreizehn in Berlin am höchsten bewerteten Restaurants haben lediglich vier mittags geöffnet. Andere, wie das Margaux haben es probiert, den Versuch aber wieder abgebrochen. Der Grund ist bekannt, Berlin mangelt es an Wirtschaftskraft und an zahlungswilligen Gästen aus dem Umland. Und wie bemerkte doch jüngst eine große deutsche Tageszeitung süffisant: „Weil für die Politiker der Berliner Republik ein Wiener Schnitzel im Borchardt weiter ein Gipfel kulinarischer Grandezza gilt, ist auch von dieser Seite nicht viel zu erwarten.“
Im Straßenbild vor allem der Innenstadtbezirke deutlich sichtbar, eröffnen Monat für Monat ohne viel Tam Tam neue ausländische Restaurants. Vor allem China und Vietnam lassen grüßen – mit engagierten Konzepten, bezahlbaren Preisen und meist ordentlichen Küchen, die deutlich über dem Durchschnitt liegen, zumal dann, wenn sie sich den Gerichten spezieller Regionen widmen. Nirgendwo anders in Deutschland gibt es so viel globalisierte Kulinarik wie in der deutschen Hauptstadt. Letztes Beispiel: Das Honca am Wilmersdorfer Ludwigkirchplatz, das, wie der Gault Millau formuliert, „einen Hauch der kulinarischen Aufbruchstimmung Istanbuls in die Stadt holt“.
Hinzu kommen solche Junge-Leute-Lokale wie das Long March Canteen im Kreuzberger Wrangelkiez, das nicht nur durch sein schräges Ambiente punktet, sondern auch durch seine sorgfältig zubereiteten chinesischen Gerichte, darunter etliche kulinarische euro-asiatische Brückenschläge, wie sie auch andernorts in der modernen Metropolengastronomie üblich sind.
Unbedingt erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Supper Club Mother´s Mother, von dessen Gründerin Kavita Meelu man sicher in der nächsten Zeit noch hören wird. Die junge Frau kam aus London nach Berlin, brachte frische Ideen mit und gilt als führende Netzwerkerin in der Supper-Club-Gastronomie-Szene. Sie organisiert ein- bis zweimal im Monat Dinnerveranstaltungen an wechselnden Orten in Berlin, die sich eines immer stärkeren Zuspruchs erfreuen.
Offenbar trifft diese Art Gastronomie den Nerv einer ganzen Generation, die mit den Attributen „klassisch“, „traditionell“, „schnörkellos“ oder „ehrlich“im Zusammenhang mit ihren kulinarischen Interessen nicht viel anfangen kann.Eine sicher spannende Entwicklung, die möglicherweise am Ende sogar zu Lasten vieler Restaurants gehen könnte, die sich im Bereich unter der Sterne-Gastronomie etabliert haben, dort allerdings kaum noch neue kulinarische Akzente setzen.
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