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Rast bei Roth

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Nein, ein Ort für Berufsesser und andere Feinschmecker ist die Joseph-Roth-Diele nicht. Hier wird kein Tanz der Aromen und Texturen vollführt, hier wird einfach nur gekocht, kräftig, deftig, gut bürgerlich. Die Grundprodukte stimmen, die Garzeiten auch und die Preise erst recht. Auf der handgeschriebenen Speisekarte stehen Leberkäse mit Backkartoffeln und Rahmspinat für 3,95 Euro, Wurstsalat mit Käse und Brot für 5,95 Euro, Rinderroulade mit Spätzle und Salat für 9,95 Euro, und sieben weitere Gerichte, darunter zwei vegetarische, ebenso günstig.

„Zehn Euro sind unsere Schallmauer, die wir nicht durchbrechen“, sagt Caroline Menz. Die 41-Jährige kam vor 12 Jahren aus Hamburg nach Berlin und eröffnete am 1. Mai 2002 gemeinsam mit Dieter Funk, dessen Frau Grit und Liebhard Zimmer die Gast- und Lesestube, der das Quartett den Namen Joseph-Roth-Diele gab. Dieter Funk hatte die Idee, DFFB-Regie-Absolvent, ein belesener Mann, der natürlich Roths literarisches Werk kennt, `Hiob`, `Kapuzinergruft`, `Radetzkymarsch`. „Joseph Roth hat 1925 in der Potsdamer Straße gewohnt, außerdem waren hier die Redaktionen der Zeitschrift `Die literarische Welt`und der `Frankfurter Zeitung`, für die er das Berlin der 1920er Jahre umfassend beschrieb“, erklärt Funk die Beweggründe der Namensgebung.

Die Borde mit Büchern des Publzisten und Romanciers sind dann neben der wohltuenden Abgegriffenheit des Raumes auch die zwei stärksten Faktoren an diesem gemütlichen Lokal in der sonst nicht sonderlich gemütlichen Potsdamer Straße. Obwohl man die Joseph-Roth-Diele in den meisten Berliner Restaurant-Führern vergeblich sucht, kommen täglich Gäste aus der halben Welt. Der Raum mit seinen dunklen Paneelen, den rot-weiß karierten Tischdecken, der Bahnhofsuhr über der Eingangstür, dem Blüthner-Flügel und hunderten Bildern des Meisters an den Wänden ist dermaßen bekannt, dass Kameraleute und Fotografen mit dem immer gleichen Wunsch sich die Klinke in die Hand geben. „Wir helfen, wenn es möglich ist“, kommentiert Funk kollegial, „aber zuerst sind wir eine Gaststube, dann erst, bitte schön, eine Filmlocation.“

Im Falle von Max Vadukul allerdings überlegten Funk & Co. nicht lange. Der berühmte englische Modefotograf suchte im Auftrag des Hamburger ZEITmagazins Orte für eine Fashion-Week-2012-Fotostrecke. Eins seiner ungewöhnlichen Schwarz-Weiß-Bilder zeigt den Schauspieler Anatok Taubman in einem Anzug von Hugo in der Joseph-Roth-Diele. Titel: Stehen mit Stühlen.

Natürlich stehen die Gäste normalerweise nicht auf den Tischen, an sie setzt man sich, Stuhl an Stuhl mit Fremden, was irgendwie eine eigene Weltverbundenheit mit sich bringt. Mittags und abends ist die Diele proppenvoll. Liebhard Zimmer, der aus dem Banat stammende Koch und Künstler, schneidet sein selbstgebackenes Brot auf, Grit Funk und Caroline Mentz, beide übrigens gelernte Krankenschwestern, servieren die reichlich gefüllten Teller, und wer blöderweise gerade auf Diät ist, wärmt die Seele einfach ein paar Minuten am Anblick des Spätzlebergs seines Nachbarn und nimmt dann halt einen Zucchinipuffer.

Was macht dieses intellektuelle Wohnzimmer mit dem Angebot zuverlässiger Hausmannskost nun so erfolgreich? Natürlich die gästefreundlichen Preise und die gemütliche Einrichtung – vor allem aber ist es die Gasthauskultur, die an die Seele geht.

Joseph-Roth-Diele
Potsdamer Straße 75
10785 Berlin-Tiergarten

www.joseph-roth-diele.de

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