Pöltls Hirschbirnensaft
„Wo, bitte, geht’s ins Pöllauthal?“ „Immer dem Gaumen nach.“ Wir fahren also von Graz in Richtung Nordosten-Gleisdorf, Pischelsdorf, Stubenberg, Schönauberg, Schönaudorf. Links und rechts der Straße sanfte Hügel, winzige Felder, Streuobstwiesen. Die Oststeiermark, der Garten Österreichs. An einer Straßenkreuzung ein Schild mit dem Hinweis auf das Ziel unserer Fahrt: Schönau 45. Dann der Pölthof, ein respektables Anwesen, Wohnhaus, Scheunen, Ställe, die Essigbrauerei, eine Obstbrennerei, der Hofladen. Wie alle Steirer sind auch Waltraut und Alois Pöltl gastfreundliche Leute, deren ganzer Stolz dem gilt, was sie auf ihrem Hof herstellen: Aufstriche, Edelbrände, Essige, Sirupe, Säfte. Wichtigstes Ausgangspunkt der meisten Produkte ist die Hirschbirne, eine alte steirische Kernobstsorte, die, so Alois Pöltl, vor rund 200 Jahren aus einem Zufallssäumling entstand und wahrscheinlich von der Schneebirne abstammt.
Ihr Name geht auf das mundartliche osteirische „Hiascht“ zurück. „Hiascht“ bedeutet Herbst, die Reifezeit der Hirschbirne auf den Streuobstwiesen des Pöllautales. Das milde Klima dort und die besondere Beschaffenheit der Böden sind auch für den außergewöhlichen, herb-süßen Geschmack der Früchte verantwortlich. Waltraut Pöltl verweist außerdem auf den ernährungsphysiologischen Wert der Hirschbirne, auf deren hohen Anteil an Ballast- und Gerbstoffen, denen sowohl eine herz- und kreislaufstärkende als auch verdauungsfordernde Wirkung zugeschrieben wird.
„Eine wahre Wunderbirne!“ Unsere, angesichts der überschwinglichen Erfolge auf ein schlichtes Obst, mit einem Hauch Ironie gefärbte Formulierung erwider die Bäuerin mit der Bitte zu einer Kostprobe. In Ermangelung frischer Früchte, die, wie gesagt, erst Mitte Oktober, Anfang November geerntet werden, serviert sie Kletzen, Dörrbirnen. Kindheitserinnerungen an das weihnachtlich Kletzenbrot der Großmutter werden wach. Waltraut Pöltl lächelt, natürlich kennt sie den Brauch,am Heiligen Abend ein solches Glücksbringer-Brot anzuschneien. Geschmacklich noch überzeugender als die Kletzen ist Pöltls Hirschbirnensaft, schade, dass der in Deutschland so rar ist.
„Kommen Sie wieder“, lädt seine Frau zum Abschied ein, „am 26. Oktober, unsererm Nationalfeiertag, ist Hirschbirnenfest im Pöllautal.
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