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Klassentreffen im Alten Zollhaus

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Institution – ein Wort, das man mit einiger Ehrfurcht ausspricht. Es steht für eine stabile, auf Dauer angelegte Einrichtung, in der wohlgeordnete Handlungsabläufe herrschen. Das klingt zwar nicht besonders gefällig, eher spröde, beschreibt aber ganz und gar zutreffend den Charakter von Herbert Betles Altem Zollhaus. Es ist ein Restaurant mit solider Basis – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, so beständig wie gut. Zum Beispiel die Küchenbrigade. Die meisten arbeiten schon jahrelang am Kreuzberger Carl-Herz-Ufer. Der stete Wechsel, die einzige Konstante der Gastrobranche, scheint hier außer Kraft gesetzt, und Günter Beyer ist wahrscheinlich sogar reif fürs
Guinness-Buch: 20 Jahre Chef am gleichen Herd!

,,Von Autoritäten wie Betle und Beyer an die Hand genommen und auch mal an den Ohren gezogen zu werden, ist das beste, was einem als jungscher Bengel passieren kann“, so Björn Swanson über seine Lehrzeit im Alten Zollhaus. Und auch Marco Müller, Mitte der 1990er ein Jahr lang Sous Chef hier, erinnert sich: ,,Dieses Jahr war eines der schönsten in meinem bisherigen Berufsleben. Ein tolles Team – und erst die Malefitz-Spiele nach der Arbeit…“ Kein Wunder, dass beim ,,Klassentreffen“ zur eat! Berlin das ,,Hallo!“ groß war.

Interview Herbert Beltle

Hallo, Herr Beltle. Eine gute Idee, dieses Klassentreffen.

Vor allem ein gutes Gefühl, wenn man sieht, was aus den Jungs geworden ist, die hierihre ersten Schritte ins Köcheleben gegangen sind. Schauen Sie, wenn beispielsweise Marco Müller, 1996 ein Jahr lang Sous Chef im Alten Zollhaus, heute sagt, wieviel er hier etwa über Mitarbeiterführung und -motivation oder über das gästeorientierte Denken gelernt hat, dann ist das sicher kein billiges Kompliment. Immerhin gehört Marco Müller inzwischen zur Riege der Berliner Sterneköche, bildet selbst Lehrlinge aus und gilt unter Jungköchen als gefragter Ansprechpartner.

Oder nehmen Sie Björn Swanson. Er hat bei uns drei Jahre lang Koch gelernt, ist anschließend in die Sternegastronomie gegangen und hatte bereits zwei Jahre später im Hotel Das Stue in Tiergarten seine erste Stelle als Junior-Küchenchef.

Das macht Sie stolz.

Natürlich macht das stolz, wenn ein Restaurant nicht nur als gute kulinarische Adresse, sondern auch als gute Schule gilt. Überhaupt sollten wir Gastronomen uns mehr um den Nachwuchs kümmern. Wenn zum Beispiel viele Gäste die Serviceleistungen in Berlin kritisieren, dann ist es an uns, mehr junge Leute besser auszubilden. Und wenn ich Kollegen höre, die über Köchemangel klagen, dann sollten wir die Ursache dafür zuerst bei uns selbst suchen.

Um dann herauszufinden, dass der Beruf nicht attraktiv genug ist?

Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ich habe natürlich auch von dem Berliner Jungkoch gelesen, der eine Arbeitszeit von bis zu 70 Wochenstunden absolviert und zum Frühstück Energy Drinks konsumiert und Schmerztabletten einwirft, um sich aufzuputschen. Wenn das zutreffen sollte, müssen sich die Verantwortlichen fragen lassen, ob sie von solchen Zuständen wissen und was sie dagegen zu tun gedenken. Tatsache ist, dass solche Negativ-Berichte unserer Branche immens schaden und letztlich auch eine Ursache dafür sind, wenn uns der Nachwuchs fehlt.

Sie haben damit keine Probleme?

Nein, weder im Alten Zollhaus noch im Aigner oder im Weingrün. Wir bilden jedes Jahr in allen drei Betrieben etwa 10 Köche und Restaurantfachleute aus. Mit Günter Beyer, seit 20 Jahren Küchenchef im Alten Zollhaus, Andreas Klitsch, seit 16 Jahren in der gleichen Funktion im Aigner, Dennis Löchel im Weingrün sowie den Restaurantleitern Christiane Dutschmann, Christian Renner und Sylvia Haberstroh haben wir erfahrene, kompetente und menschlich integre Mitarbeiter am Start, die dafür absolut prädestiniert sind.

Also Zufriedenheit auf ganzer Linie?

Um auf das Klassentreffen zurückzukommen, ja. Wir hatten 105 Gäste, das Restaurant war ausgebucht und die Reaktion auf das Menü und die begleitenden Weine durchweg positiv.

Das war doch zu erwarten.

Na ja, nicht unbedingt, denn die fünf Köche haben zwar ihre handwerklichen Wurzeln im Alten Zollhaus, aber inzwischen längst eine ganz eigene kulinarische Stilistik. Die in ein Menü zu packen, war durchaus nicht ohne Risiko. Und um in diesem Zusammenhang nochmal Ihre Frage nach der Zufriedenheit aufzunehmen – ich halte Zufriedenheit, vielleicht besser noch Selbstzufriedenheit, für die größte Gefahr in der Gastronomie.

Weshalb?

Weil sie Bequemlichkeit fördert und der Tod jeglicher Kreativität ist.

Was heißt das beispielsweise für das Alte Zollhaus?

Ganz einfach. Dass wir unser Ziel, die beste Berliner Regionalküche anzubieten, immer im Blick behalten, aber auf dem Weg durchaus mit neuen Ideen aufwarten.

Können Sie einige nennen?

Wir bringen derzeit das Zollhaus auf den Weg zum guten deutschen Gasthaus.

Halten Sie das für zeitgemäß?

Absolut, wenn Sie es nicht mit einer Kneipe verwechseln.

Sondern?

Keine weißen Damasttischdecken und seitenlangen Speisen- und Weinkarten. Das Essen fein und heimisch, ganz ohne Chichi und Tamtam. Wir wollen damit zeigen, wie entspannt und unprätentiös Berliner Gastfreundschaft auch heute noch sein kann.

Klingt nach kleiner Palastrevolution?

Nein. Wir wollen nur lockerer werden, einfach noch mehr Wert auf die Qualität als auf die Etikette legen.

Und die Küche?

Natürlich trennen wir uns nicht von unseren kulinarischen Wurzeln – also der feinen, bürgerlich-regionalen Küche, die keinen Zentimeter vom Boden abhebt, aber auch nicht bleischwer auf den Tellern liegt. Wir bieten unsere vier Zollhaus-Klassiker an ( siehe Seite ….., d. Red.), wobei es zur Brandenburger Bauernente mit Spitzkohl jetzt einen hausgemachten, mit Entenklein gefüllten Kartoffelkloß gibt. Außerdem servieren wir ein vegetarisches Kräutermenü, drei Gänge für 31 Euro sowie eine Reihe weiterer Vorspeisen, Suppen, Desserts und Hauptgerichte, darunter zum Beispiel die Kohlroulade à la Heini Holl mit Speckstippe und Kartoffelstampf (Heinz Holl, genannt Heini, war in den 1980ern einer der bekanntesten Westberliner Wirte, d. Red.) oder Nordseekabeljau mit Kalbskopfvinaigrette und Kartoffel-Endivien-Stampf. Insgesamt, das ist vielleicht wichtig, setzen unsere Köche noch stärker als bisher schon auf Bio-Produkte.

Beim Wein bleibt alles beim Alten?

Das Zollhaus avanciert zum Gutsausschank unseres Weingutes, das sich ja über 600 Kilometer entfernt in der Pfalz befindet. Hier gibt es jetzt alle aktuellen Horcher-Jahrgänge, die Horcher-Klassiker sowie viele Raritäten. Und unser Kellermeister Wolfgang Grün wird häufiger als bisher in Berlin sein, um die Gäste zu beraten – auch beim Kauf für zu Hause natürlich. Außerdem haben wir die Weine befreundeter Winzer aus anderen deutschen Anbaugebieten sowie weitere Gewächse etwa aus Frankreich, Italien und Österreich im Angebot. Alle Weine präsentieren wir übrigens in einem Regal, die Flaschen mit den Preisen drauf also – das müssen Sie sich so wie im Weinhandel vorstellen.

Viel Glück und danke für das Gespräch.

Artikelbild von eat!Berlin

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