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Hartmut Guy im Riehmers Hofgarten

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Im April 1993 schrieb meine Kollegin Renate Peiler, damals in der Hamburger essen&trinken-Redaktion für Gastro Ost zuständig: „Am entengrützegrünen Feuerlöschteich von Freudenberg betreibt das ehedem der Bühne verschriebene Ehepaar Guy eine weitaus bessere Gastronomie als viele ihrer Profi-Konkurrenten im Berliner Umland. In ihrem märkisch-stillen Gasthaus gibt es ehrliche, anständig gekochte Hausmannskost aus deutscher Regionalküche zu zivilen Preisen.“ Drei Jahre zuvor hatte der Schauspieler und Kabarettist Hartmut Guy gemeinsam mit seiner damaligen Frau Annemarie, einer Theaterintendantin, draußen im Barnim sein Gasthaus am Weiher eröffnet, die Währungsunion überlebt und den Gault Millau überzeugt.

Das Haus galt als Leuchtturm im östlichen Brandenburg, wo die Wirte zahlungskräftige Gäste am liebsten mit dem Lasso eingefangen hätten, sie dann aber nicht nur schlecht bewirteten, sondern obendrein noch schlicht abkochten. Anders in Freudenberg. Die Guysche Formel des Erfolgs: Küche + Kunst + Konzert x Klasse = Kultlokal ging auf. Dann ein Brand, ein Marder hatte ein Stromkabel im Dachstuhl zerbissen, Wiederaufbau und Wiedereröffnung nur acht Monate später. Irgendwie kam aber alles ins Rutschen, vielleicht war es auch eine Flucht vor der Gewöhnung, vielleicht der Versuch, den spontanen wie organisierten Banalitäten des Lebens die Stirn zu bieten – Guy trennte sich von seiner Frau, zog an den Gendarmenmarkt und gründete – nomen est omen – das Restaurant Guy.

Er ist 43, charismatisch bis zum Geht-nicht-mehr, grenzenlos eitel und gnadenlos komisch, er kann dozieren, imitieren, parlieren, zitieren, ein popeliges Glas Wasser mit der gleichen Grandezza servieren wie einen Dom Pérignon Rosé: Guy ist ein Bilderbuch-Wirt. „Hartmut Guy ist mehr als ein Gastronom, er ist ein begabter Gastgeber“, schrieb Walter Momper, Stammgast, Freund und Trauzeuge, als Guy im Juni 2004 seine große Liebe Kerstin heiratet. Die Reichen, Schönen, Berühmten und Wichtigen kehrten bei ihm ein – Carl XVI. Gustaf und Königin Silvia, Madeleine Albright, Tom Hanks, Joschka Fischer, Henry Kissinger, Udo Lindenberg, Nena, Helmut Newton. Udo Jürgens gab in Guys Küche ein spontanes Ständchen, Klaus Wowereit feierte bei ihm Geburtstag, und Peter Ustinow schrieb ins Gästebuch: „Wenn Sie als Schauspieler so großartig waren, wie sie als Gastronom sind, dann ist der Bühne ein großes Talent verloren gegangen, aber der Gastronomie ein ebenso großes geschenkt worden.“

Harmut Guy wähnte sich am Ziel seiner Träume, und er war es wohl auch, wenn da nicht diese verdammte Miete gewesen wäre – 26.000 DM kalt, monatlich, die Betriebskosten kamen hinzu. „2008 war das kein Problem, 2009 folgte das Desaster, und 2010 war eigentlich schon alles gegessen“, bekennt er heute freimütig. Die Ehrlichkeit seines Einsatzes hatte sich nicht ausgezahlt, der Gästebuch-Wunsch seines Kollegen Dieter Hallervorden, dass er vom Füttern seiner Gäste auch selber satt werden möge, erfüllte sich nicht. „Zwischen Lipp´ und Kelchesrand schwebt der finstern Mächte Hand.“

…doch er gibt nicht auf.

Als Hartmut Guy an diesem frostigen Januartag 2011 auf die Bühne im Dussmann-Kulturkaufhaus trat, wie immer in feinem Zwirn und mit großer Geste, lauerte irgendwo in der Nähe seines Restaurants in der Jägerstraße schon der Pleitegeier. Doch das verdrängte er. An diesem Abend galt himmelhoch jauchzend. Zu Tode betrübt ist morgen. Echt Guy. Der Mann, der nach der Wende in einem gottverlassenen Brandenburger Kaff zum Gastwirt wurde und es später auf eine Stufe mit den Großkopferten vom Gendarmenmarkt schaffte, stellte sein erstes Buch vor

„Guygantisches Gourmettheater“. Mit geradezu „exhibitionistischer Selbstironie“, wie ein Journalist es später nannte, immer voll auf Adrenalin, hat er Geschichten erzählt, die ein (Gastronomen-)Leben so schreibt, sein Gastronomenleben: von Hochstaplern und Zechprellern, Königen, Künstlern und anderen Gästen, von der Krise und natürlich von Kritikern, Restaurantkritikern. Über einen von ihnen will er übrigens noch ein Buch schreiben, einen Kriminalroman mit schrecklichem Ende (des Kritikers natürlich). An einem Sonntag im Mai 2011 wurde es publik: Das Restaurant Guy muss schließen. „Wenn der Vorhang fällt“, so nannte Hartmut Guy das letzte Kapitel seines Buches. Mit dessen Schlusssätzen formulierte er eine Vorahnung „Man sollte in seinem Leben bekanntermaßen drei Dinge tun: Einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen und ein Buch schreiben.

Ich habe drei Dinge abgearbeitet – und Sie? Wovon ich Ihnen allerdings dringend abraten würde, wäre: ein Restaurant aufzumachen.“ Erst recht ein Restaurant im Hinterhof, denn das war das Guy ja letztlich, trotz der romantischen Hofkulisse. Doch der grenzenlose Optimismus dieses Mannes mit dem breiten Scheitel, dem spöttischen Grinsen und der drahtigen Marathonfigur blieb auch nach dem Supergau ungebrochen. „Nach einem Tal kommt ein Berg und nach abwärts kommt aufwärts.“ Sein neuer Berg hieß Kreuzberg. Anfang August 2011 übernahm er das Riehmers. Die Geschäfte führt seine Frau Kerstin. Guy zum Dritten. Wie mühelos doch aufrechter Gang aussehen kann.

…nach all den Katastrophen…Licht am Ende des Tunnels !!

Die Brötchen sind kleiner geworden, die Promis weniger, die Zeit der großen Partys mit Prickelbrause bis der Arzt kommt, sind vorbei. Und Restaurantkritiker – „eingeladen, Ehrensache, wegen Angst vor ihrer Rache“ – verirren sich auch nur noch selten zu jener Ecke von Riehmers Hofgarten, an der Guys „gute Stube in Kreuzberg“ für eine „Küchenreise von den Alpen bis zur See“ wirbt. Hartmut Guy ist ruhiger geworden, nicht äußerlich, eher ist das so eine Art innere Ruhe. Sicher, er braucht Leute um sich herum, und es macht ihn glücklich, dass man ihn immer noch kennt, aber er nimmt das heute gelassener.

Im nächsten Jahr wird er 60. Hartmut Guy holt das Riehmers-Gästebuch und liest einige Einträge vor, nein, er gestaltet sie sprachlich. „Es besteht eben ein Unterschied zwischen einem Gastwirt und einem Gastgeber“, er betont die letzten Silben, „und zwischen einem Schwätzer und einem Geschichtenerzähler.“

„Wir sind nicht nur satt geworden, sondern äußerst zufrieden gewesen, vom Aperitif bis zur Rechnung.“ Das gefällt ihm besonders. „Abgezockt wird in der Gastronomie schon genug.“ Die Riehmers-Küchenbrigade mit dem 33-jährigen Berliner Benjamin Selling an der Spitze, serviert unaufgeregte Regionalküche ohne Chichi und Tamtam, geradlinig, geschmacksstark, ganz und gar verlässlich.

Das ist das Klassiker-Menü: Fleischkraftbrühe mit Frittaten, Wiener Schnitzel vom Kaiserteil, Apfelstrudel mit Vanillesauce, Preis 30,50 Euro. Der Tafelspitz mit Wurzelgemüse, Bouillon-Erdäpfeln und Apfelkren ist mit 18,00 Euro und die Ochsenbacke mit Speckbohnen und Schnittlauchpüree mit 21,50 Euro kalkuliert. Das kommt an. „Vier Jahre bin ich jetzt hier“, so Guy, „im ersten Jahr gab es ein dickes Minus, im zweiten eine rosa und im dritten eine schwarze Null. Und für 2015 rechne ich sogar mit einem kleinen Gewinn.“

Restaurant Riehmers Hofgarten

Hagelberger Straße 9
10965 Berlin-Kreuzberg
www.riehmers-restaurant.de

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