Rhabarber: fruchtig-sauer
„Mit dem Rhabarber grüßt der Frühling“, sagt Marcel Scholtun. Der Küchendirektor im Berliner Meliá Hotel schätzt die Frische und Fruchtigkeit des Gemüses, das ständig für Obst gehalten wird. „Außerdem ist Rhabarber gesund und wahnsinnig vielseitig“, so Scholtun. Die meisten Köche sehen das heute ähnlich. Das allerdings war nicht immer so.
Noch vor dreißig, vierzig Jahren begegnete das Gros der Herdprofis dem Rhabarber mit Skepsis – zu herb, zu sauer. Inzwischen gilt seine scharfe Säure längst als kulinarische Wunderwaffe. Lamm und Rhabarber beispielsweise ist eine ungewöhnliche, aber äußerst geschmacksstarke Kombination; fettreicher Fisch und Rhabarber gilt inzwischen als Klassiker; Rhabarberkompott, Rhabarbermarmelade und Rhabarbersaft oder -sirup haben als kalorienarme Fitmacher Konjunktur.
Am dritten Juni-Wochenende wird es auf dem Jakobs-Hof in Schäpe richtig krachen. Party, Party, und das aus gutem Grund. 1996 kam Josef Jakobs, gelernter Gärtner, aus Brüggen am linken Niederrhein ins Beelitzer Revier, übernahm in Schäpe einen heruntergekommenen Vierseithof, baute ihn wieder auf und begann, ringsum Spargelfelder anzulegen. 20 Jahre ist das nun her, der Jakobs-Hof ist erwachsen geworden, und der runde Geburtstag wird dem entsprechend gefeiert.
Josef Jakobs baut inzwischen auf 250 Hektar Spargel an, auf 50 Hektar wachsen Heidelbeeren, Himbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren und Rhabarber, es gibt moderne Produktions- und Vermarktungshallen, die Bauernscheune, den Kastaniengarten und, ganz in der Nähe des Hofes, seit drei Jahren das Jakobs-Landmotel (www.jakobs-landmotel.de). Doch der 48-jährige Spargelbauer hat nicht nur kräftig investiert, sondern ist in gleicher Weise engagiert. Josef Jakobs sitzt als Abgeordneter in Kreistag von Potsdam-Mittelmark, arbeitet im Beelitzer Spargelverein mit und hat auch sonst ein offenes Ohr, wenn es um die Belange der Region geht.
Ein guter Typ mit klarer Maxime. „Halbe Sachen bringen nichts“, diesen Satz sagt er öfter, und er trifft wohl auch auf seinen älteren Bruder Jürgen zu. Jürgen Jakobs, Diplom-Kaufmann, hatte es bis zum Abteilungsdirektor in der Berliner Niederlassung einer großen deutschen Bank gebracht. 2004 stieg er dort aus und ins Spargelgeschäft ein, in Beelitz entstand – ein zweiter Hof, die Jakobs-Brüder sind in ihrer neuen Heimat endgültig angekommen. Seit zwölf Jahren baut Josef Jakobs auch Rhabarber an, zumeist die bewährte rotfleischige Sorte Holsteiner Blut. Rund 10.000 Pflanzen stehen auf zwei Hektar. „Eine Kultur, die den Spargel begleite und immer mehr Fans findet“, so der Landwirt.
——————–Rhabarber Köche und Gerichte———————-
Roel Lintermans, 38, ist Chef de Cuisine im Sternerestaurant Les Solistes by Pierre Gagnaire im Waldorf Astoria.
Der Belgier kam nach Stationen in Frankreich, der Schweiz sowie in England und Russland vor vier Jahren als Statthalter der lebenden Kochlegende Pierre Gagnaire in die deutsche Hauptstadt, erkochte ein Jahr später seinen ersten Michelinstern, wurde 2014 Berliner Meisterkoch und steht derzeit mit 17 Gault-Millau-Punkten zu Buche. Beweis dafür, dass Lintermans nicht nur brav die Philosophie des Pariser Großmeisters umsetzt, sondern auch mit vielen eigenen Ideen punktet. Und das mit zeitgemäßen, produktorientierten Gerichten, die zwar immer auf etlichen Tellern daherkommen, dennoch aber kein spartanisches Verkostungsritual darstellen, sondern eher in die Kategorie wahrer Genuss gehören. Das gilt auch für die vierteilige Vorspeise „Frühling“.
Eine ihrer Komponenten: kleines Soufflé Haddock, aus geräuchertem Seefisch also, Jakobsmuschel, weicher Kohl und Rhabarber. Ja, das ist schon très franҫais, vor allem aber ungemein frisch, anregend und geschmackstark Roel Lintermas: “Rhabarber ist ein wichtiger Bestandteil unserer Küche im Frühjahr. Wir schätzen vor allem seine Säure und die feinen Bitteraromen und servieren ihn auch schon mal roh, in Julienne geschnitten, gerne aber auch in Riesling pochiert oder als Kompott, etwa mit Spargeleis.“
Alexander Koppe, 34, Küchenchef
Restaurant Skykitchen, Adel´s Hotel Berlin
Rhabarber, Tonkabohne, Himbeere, Kefir.
Marcel Scholtun, 42, Küchendirektor
Restaurant Café Madrid, Hotel Meliá Berlin
Kohlrabimousse mit Champignon, Rhabarber und Chicorée,
Blutorangensud.
Johannes King, 52, Gastgeber und Küchenchef
Dorint Söl’ring Hof, Rantum/Sylt
Geschmorter Rhabarber mit Waldmeisterbaiser und Molkesorbet.
Franz-Benjamin Haselbeck, 29, Küchenchef
Restaurant Vox, Grand Hyatt Berlin
Frühlingserwachen: Jakobsmuschel, Rhabarber, Gin, Haselnuss.
———————Rhabarber -Die Besten Rezepte————————
RHABARBER – DIE BESTEN REZEPTE
Fotografie, Rezepte, Text: Rafael Pranschke
Konzeption, Redaktion, Lektorat: Svenja K. Sammet
Fackelträger Verlag Köln 2016
www.fackeltraeger-verlag.de
ISBN 978-3-7716-4622-6
Dass die Heimat des Rhabarbers Zentralasien ist, da sind sich die Herkunftsforscher einig. Auf welchen Wegen er nach Europa kam, darüber allerdings gibt es verschiedene Versionen.
Also: Bereits um 2700 v. Chr. nutzten die Chinesen die Pflanze aus der Familie der Knöterichgewächse – der heilenden Kräfte ihre Wurzeln wegen. Außer Landes gelangte der Medizinal-Rhabarber anfangs allerdings nur in getrockneter Form, um das Monopol seines Besitzers nicht zu gefährden. Ob es nun Marco Polo, russische Händler oder französische Reisende waren, die ihn schließlich nach Europa brachten, bleibt im Dunkeln der Rhabarbergeschichte.
Gut klingt die Story, dass die Engländer ihn einst durch ein Missverständnis in die Hände bekamen, weil sie in China eine Sorte orderten, die Heilzwecken dienen sollte, und fälschlicherweise eine zum Verzehr bestimmte erhielten. Es folge die Entdeckung der Essbarkeit der Rhabarberstiele, und Rhubarb Fool, eine Art grobes Püree mit Crème double, avancierte zu einem der beliebtesten Desserts auf der Insel. Woher der Name „fool“, zu deutsch „Narr“, in diesem Zusammenhang kommt, konnte zwar nie geklärt werden, klar ist jedoch, dass England noch heute als Mekka der Rhabarberfreunde in Europa gilt. 1848 schließlich brachte der Hamburger Kaufmann die wuchsfreudige Staude nach Deutschland. Es dauerte aber dann noch etliche Jahre, bis er seine Landsleute vom Geschmack des Rheum barbarum (lat., „fremde Wurzel“) überzeugt und der Rhabarber als „englisches Kompott“ die deutschen Küchen erobert hatte. Wirkliche Popularität erlangten die grünen oder roten Stangen jedoch erst vor rund zwanzig Jahren.
Der Fruchtsäuregehalt war nun kein Thema mehr, ebensowenig wie die Tatsache, dass Rhabarber reichlich Oxalsäure enthält. Ernährungswissenschaftler verwiesen statt dessen eher auf andere Inhaltsstoffe: Kalium, Calcium, Phosphor, Magnesium, Eisen, auf die Vitamine B1, B2 und C. Das weiß auch der Küchenmeister, Foodstylist, Fotograf und Buchhautor Rafael Pranschke, aus Mülheim an der Ruhr, der pünktlich zur Saison 2016 das erste Rhabarber-Kochbuch in deutscher Sprache vorlegte. Eine knappe Warenkunde und über fünfzig Rezepte, die das Stangen-gemüse in jeder Art und Weise hofieren. Kein schnell zusammengeschriebenes Küchen-Potpourri, wie es allzu oft üblich ist, sondern eine fundierte Anleitung zum kreativen Umgang mit dem Rhabarber. Da wird beispielsweise Rhabarber mit grünem Spargel zum feinen Salat kombiniert oder als Gemüse zum Kalbsfilet serviert.