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Ilona Scholl – Berliner Gastgeberin des Jahres 2017

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Ungeschminkte Statements der Gastgeberin Ilona Scholl

Anlass für das Interview ist Ilona Scholls Nominierung (nun Gratulation zur erhaltenen Auszeichnung) zur „Berliner Gastgeberin des Jahres 2017“. „Also gut, kommen Sie um halb elf.“ Wow. Bei vormittäglichen Verabredungen mit Gastronomen ist Skepsis angebracht. Meist war der Abend zu lang und die Nacht zu kurz, dieses musste noch auf die Schnelle kommuniziert und jenes a tempo organisiert werden, Verspätungen sind also programmiert.

Ilona Scholl Gastgeberin des Jahres 2017

Ilona Scholl, Restaurantleiterin des Tulus Lotrek in der Kreuzberger Fichtestraße, ist trotz der für den Lebensrhythmus ihrer Berufsgruppe „abartige Zeit“ auf die Minute pünktlich, wirkt sehr entspannt, sehr selbstbewusst und sehr zugewandt.

Sie trägt verwaschene Jeans, ein schlabbriges T-Shirt und einen Wickelmantel, eine Shopping Queen ist sie wohl eher nicht. Die Haare sind straff nach hinten gebürstet und zu einem Knoten gesteckt, Hals und Hände schmucklos und auch ein bisschen Make-up wird es erst am Abend geben. „Na, dann fragen Sie mal.“ „Ein bisschen Curriculum vitae?“

Der Lebenslauf fällt knapp aus. Ilona Scholl ist 34 und stammt aus Ammertsweiler. Das ist ein Dorf in einem Land, in dem wo sich die Menschen schwertun mit dem Relativpronomen. Ilona Scholl nicht, sie spricht hochdeutsch. „Weil man uns im Gymnasium geraten hat, außerhalb der baden-württembergischen Grenzen nicht wie der Oettinger zu schwätzen. Wegen der Chancengleichheit.“ Sie habe ein bisschen „rumstudiert“, erzählt sie, Psychologie, Englisch und Deutsch auf Lehramt und schließlich an der Berliner Humboldt-Uni den Bachelor gebaut. „Literatur-, Musik- und Medienwissenschaften“.

Um das Studium zu finanzieren, jobbte Ilona Scholl in der Prenzlberg-Kiezkneipe „Frau Mittenmang“ und brachte es sogar bis zur Restaurantleiterin. Dann war Uni-Ende, und normalerweise hätte jetzt die Kariere begonnen – in einer Agentur etwa oder bei einem Verlag. Aber da war noch dieses Gefühl, die große Lust daran, Gastgeberin zu sein. Und da war Max, der Koch. „Wir hatten uns im Mittenmang kennengelernt…“

Wie aufs Stichwort, Auftritt von Max Strohe mit einer kleinen Schüssel. „Probier mal.“ „Krass“, sagt sie, „Honig, Essig, Holunder.“ Ilona Scholl wird später einen Wein suchen, den sie zu Strohes Dessert empfehlen kann. „Aber das Gericht hat Vorrang“, erklärt sie „am schönsten allerdings ist, wenn uns ein harmonischer Verbund gelingt.“ Überhaupt das Thema Wein. „Da will ich fitter werden.“ 2018 ist deshalb eine Sommeliersausbildung geplant. „Dann sollen die Pfützen auf meiner ganz persönlichen Landkarte systematisch miteinander verbunden werden.“

„Wenn Sie nach ihrem Beruf gefragt werden, was antworten Sie?“ „Gastgeberin, aber auch mit der Bezeichnung Kellnerin habe ich kein Problem.“ Die charismatische wie eloquente junge Frau weiß natürlich um das hierzulande recht ambivalente Verhältnis zu diesem Berufsstand und um das geringe Sozialprestige. Dennoch sagt sie: „Ich sehe in diesem Beruf eine unglaubliche Würde.“

Ilona Scholl über…

… die Kunst des Servierens:

Das Servieren eines Gerichts ist der Rahmen für ein Bild. Und manchmal sorgt allein der Rahmen dafür, dass es als „Kunstwerk“ erkannt wird.  Das Servieren und Annoncieren des Gerichts, also quasi die Inszenierung desselben, schärft den Blick des geneigten Genießers für das, was er vor sich hat.

Ilona Scholl Gastgeberin des Jahres 2017

… Köche allgemein:

Wer etwas macht, das Menschen bewegt, unvergessliche Momente schafft oder einem den vollkommen vergällten Tag retten kann, gehört von kreischenden Menschen mit Unterwäsche beworfen.

… ihren Partner Max Strohe:

Er ist Lieblingsmensch. Er ist Mutmacher. Er ist ein Hasardeur und hat einen Vogel, der mit dem meinigen wunderbar im Duett singen kann.

…das Kellnern – zum Ersten:

Wir sind nicht einfach Tellertaxis mit Text, sondern dafür da, es den Gästen für einen Abend möglich zu machen, sich in der Fremde wahlzubeheimaten. Das heißt auch, Seismograph sein, Erschütterungen aufnehmen und darauf reagieren. Gefällt einem Gast sein Platz nicht, weil er lieber über Eck sitzt, statt seinem Gegenüber gegenüber? Ist er zu höflich, darauf hinzuweisen? Wenn ich als Gastgeber das nicht mitschneide, kann eine solche Kleinigkeit, der so einfach beizukommen wäre, einen langen Schatten über den ganzen Abend werfen.Ilona Scholl Gastgeberin des Jahres 2017

…das Kellnern – zum Zweiten:

Wir müssen nicht mehr die devoten Pinguine sein, die immer dann einen guten Job gemacht haben, wenn man sie nicht bemerkt hat.
Eine ‚Type‘ am Tisch zu haben, jemanden mit eigener Sprache, eigenem Zugang zu dem, was er vertritt, ist ganz und gar wunderbar!

…das Kellnern – zum Dritten:

Wenn ein Service-Mitarbeiter Produktkenntnis und Empathie besitzt, ist es völlig egal, ob er mit Manbun, Vollbart und Artischockentattoo am Tisch steht.

Seit November 2015 betreiben Max Strohe und Ilona Scholl das Tulus Lotrek. „Am Anfang waren wir der Underdog, das war eine tolle Zeit.“ Strohe kocht selbstbewusst und zeitgemäß drauflos und seine Partnerin Ilona Scholl liefert die Erklärungen: „Wir halten´s küchenstilistisch mit Toulouse-Lautrec, den die neuerdings so populären zaghaft-subtilen Aromaspiele der leichten Gemüseküche niemals in Auswärts getrieben hätten und servieren zu Filet-, Gourmet- und Edelstücken intensive Saucen, sind Freunde des Buttertricks und lassen geschmacksneutrale Beilagen, deren Existenzberechtigung sich höchstens aus dem Sättigungswunsch des geeigneten Genießers ableiten ließe, konsequent zuhause.“

Die Frau hätte auch als Schreiberin Karriere machen können. So macht sie´s eben als Gastgeberin. In einer Zeit voller Selbstprofilierung und überbordender Selbstdarstellung liefert Ilona Scholl eine einfache Antwort auf die viel diskutierte Frage, was eigentlich guten Service ausmacht: Empathie und Natürlichkeit.

Tulus Lotrek

Fichtestraße 24
10967 Berlin-Kreuzberg
www.tuluslotrek.de

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