Keine Frage, ich bin puxisardinophil. So bezeichnet man die Liebhaber von Sardinendosen als Sammlerstücke. Der erste offizielle Puxisardinophilen-Club soll von Vyvyan Holland, einem Sohn des Schriftstellers Oscar Wilde, im London der 1930er Jahre gegründet worden sein. Mit diesem Wissen können Sie auf der nächsten Party im Jahr 2023 (hoffentlich!) sicher eine Menge Leute beeindrucken.
Sardinendosen sind auch mein heutiges Thema, allerdings werde ich mich weniger mit der Ästhetik ihres Äußeren beschäftigen – das wäre ja nicht garconrelevant – sondern mehr mit der Spezifik ihres Inneren. Kürzer gesagt – es geht um die Sardinen in der Dose und zwar um die portugiesischer Provenienz.
Ende Februar 2020. Es gibt Meldungen über eine neuartige Erkrankung im chinesischen Wuhan. Beim Robert-Koch-Institut heißt es, die Gefahr sei gering. Die Welt scheint in Ordnung. Wir fahren nach Porto, das gesamte Team von Maître Philippe. Dort findet jedes Jahr um diese Zeit die Simplesmente Vinho statt, eine kleine, feine Weinmesse. Und wie immer, wenn wir in Porto sind, haben wir auch diesmal einen Besuch bei unseren Freunden und Geschäftspartnern der Fábricia de Conservas Pinhais eingeplant.
Die bekannte Konservenfabrik hat ihren Sitz in Matosinhos, einer Hafenstadt in der Region Norte, rund zehn Kilometer nordwestlich von Porto. Es ist jedesmal ein wunderbares Gefühl, mit dem 100er Bus auf der Autoestrada am Douro entlang bis zum Ortseingang von Matosinhos zu fahren und die letzten Kilometer am Strand entlang zu laufen, sich die Füße von den Atlantikwellen umspülen und den Kopf von einer Meeresbrise freiblasen zu lassen.
Am Ende des Strandes liegt die Praia do Titan, eine eher unspektakuläre Strandbar, für uns allerdings bei jedem Besuch eine feste Größe – morgens auf einen frisch gepressten Orangensaft, einen Kaffee und ein Pastel de nata, das traditionelle, mit Pudding gefüllte Blätterteigtörtchen, mittags auf ein Glas Vinho branco oder eine Flasche Superbock, das beliebte portugiesische Bier. Den ganzen Tag Sonne satt… der sagenhafte Blick… die Weite des Atlantiks…
Irgendwo da draußen werden die Sardinen gefangen, aus denen Pinhais Ölsardinen macht. Wenn sich die Wanderfische, die zur Familie der Heringe gehören und in Schwärmen unterwegs sind, nach der Überwinterung in südlicheren Gewässern im April wieder der Küste nähern, ist ihr Fleisch besonders fett und aromatisch. Dann beginnt die Fangsaison. Jährlich werden rund 100.000 Tonnen angelandet, von denen der größte Teil zu Konserven verarbeitet wird. Zum Beispiel bei Pinhais…
Vertriebsleiter Nuno Rocha führt uns durch die Produktionshalle. In großen Marmorbecken liegen die fangfrischen Sardinen, die im Februar noch aus südlichen Gewässern kommen. Die Haut ist glänzend und unversehrt, am Bauch schimmert sie silbrig. Die Verarbeitung der Fische ist bei Pinhais Frauensache und viel Handarbeit.
Zuerst werden die Köpfe und Innereien entfernt, dann die Fische auf Drahtgestelle gesteckt, in Süßwasser „gebadet“ und anschließend im Wasserdampf gegart – im Gegensatz zu den bretonischen Sardinen übrigens, die vor dem Garen noch frittiert werden. Zum Schluss werden die Flossen abgeschnitten und die Fische in Dosen gelegt. Hinzu kommen bei den Sardinhas picante traditionell weitere Zutaten: Chili, Nelke, Pfeffer, feiner portugiesischer Lorbeer, Gewürzgurke, Karotte, eine geschmacklich ausgeklügelte Mischung.
Bis dahin ist, wie gesagt, alles Handarbeit. Lediglich das Olivenöl und die täglich nach einer streng gehüteten Rezeptur gekochte Tomatensauce werden maschinell in die Dosen gefüllt, und auch das Verschließen übernimmt ein Automat. Die Dosen werden dann sterilisiert, nach dem Abkühlen in Pinhais-Papier eingeschlagen – fertig!
Die Fábrica de Conservas Pinhais wurde im Oktober des Corona- Jahres 2020 100 Jahre alt. Geplant war ein großes Fest – nun wurde es lediglich eine Zoom-Feier. Anlässlich des Jubiläums erschien ein Bildband, der die Geschichte der Conserveira erzählt und in dem auch langjährige Partner zu Wort kommen. Wir fühlen uns geehrt, in diesem Buch vertreten zu sein. Ich blättere und betrachte die Bilder… ja, so war das Ende Februar 2020, als die Welt noch in Ordnung schien…
Anaïs Causse, 42, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an der Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften, merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr Ding ist. Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und einer möglichen akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-Lindner an und absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.
2003 stieg sie in das Feinkostgeschäft ihres Vaters ein. 2014 folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den Onlineshop, aus „Maître Philippe” wurde „Maître Philippe & Filles” – ein Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem nach Frankreich pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den ersten Adressen der Branche in Berlin zählt.
Für Garcon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten Spezereien und deren Produzenten.
MAÎTRE PHILIPPE ET FILLES
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