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Michelin-Sterne

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Bricole

„Ich glaube, dass Sterne und Punkte eine zunehmend zu vernachlässigende Währung sind.“ Das Zitat stammt von Ivo Ebert, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Sternerestaurants Einsunternull ). Wer die Berichte zur deutschen 2022er Michelinstar-Parade in den wichtigsten Blättern las, muss Ivo Ebert Recht geben. Keine mehrspaltigen Kommentare wie einst, meist nur Aufzählungen – wer hat wie viele – dazu noch ein paar schmückende Bemerkungen, das war’s dann auch schon. Lediglich Großkritiker Jürgen Dollase äußerte sich in epischer Breite, wohl aber auch nur deshalb, weil in diesem Jahr in Deutschland ein Denkmal vom Sockel geholt wurde (wie drei Jahre zuvor in Frankreich).

Gemeint ist die Abwertung Joachim Wisslers von drei Sternen auf zwei, für Dollase „eine der schlimmsten Fehleinschätzungen in der Geschichte des deutschen Michelin-Führers.“ Natürlich hat er auch Gründe für Wisslers Teilentsternung erfahren. Seine Gerichte seien zu komplex, zu kompliziert, hieß es. Im Falle der Abwertung von Marc Haeberlin 2019 übrigens, waren die Speisen zu wenig komplex und nicht kreativ genug. Vielleicht ist das aber auch alles viel einfacher und geht so: Wer seine Bücher verkaufen will, muss für sie werben, und mit der Überschrift „Im Westen nichts Neues“ wirbt es sich natürlich nicht sonderlich gut.

Ein schlagzeilenträchtiger Kracher macht sich da sicher besser, weil es schon im Osten (fast) nichts Neues gibt. Berlin und Brandenburg bekamen je ein neues Sternerestaurant ebenso wie Sachsen-Anhalt (Speiseberg in Halle / Saale). In Mecklenburg- Vorpommern blieb es wieder mal beim Status quo. Ach ja, und was den neuen grünen Umweltstern betrifft – zumindest in Berlin sollten sich die Michelin-Inspektoren beim nächsten Test mehr Zeit nehmen – etwa für das Ezsra, das Merhold oder das Otto. Das Bricole im Helmholtzkiez – 2017 als Hors-d’oeuvre- Bar eröffnet (daher auch der französische Name Bricole=Kleinigkeit) – galt lange als kulinarischer Geheimtipp.

Kein Medien-Hype

Ambitioniert aber bodenständig, lässig aber nicht nachlässig und vor allem: Alles, was im Bricole auf die Teller kam, wirkte eher subtil als sensationsheischend. Das reichte zwar für einige freundliche Besprechungen, aber der in Berlin bei jedem passablen Gastro-Start übliche Medienhype blieb im Falle des Bricole aus. Inhaber Fabian Fischer, der sich sein gastronomisches Rüstzeug im Borchardt holte und Küchenchef Steven Zeidler, früher mal im Schatz am Herd, dürfte das allerdings ganz recht gewesen sein. Einerseits sind die beiden Männer ohnehin eher Freunde des angenehmen Understatements und andererseits konnten sie so ihr Konzept still und leise zu jenen Höhen bringen, auf denen man die Sterne im Blick hat. Chapeau!

Als wir vor sechs Jahren – einige Wochen nach Eröffnung des Restaurants Alte Überfahrt – schrieben, Werder sei nun auch gastronomisch on top und zwar dermaßen, dass hier sogar ein Stern am Ufer stände, lächelten die meisten milde: ausgerechnet Werder, Fine Wining vielleicht, aber Fine Dining, nie und nimmer. Doch auch hier waren zwei junge Männer am Werk – Patrick Schwatke und Thomas Hübner – die die brave Einkehrstätte in Schwatkes schwiegerelterlichem Hotel Prinz Heinrich auf Kurs brachten, indem sie vor allem auf frische Brandenburger Produkte bauten und sie blitzsauber in Szene setzten.

Verlust

Regionale Hochküche, so nennt man das wohl. Ja, so nennen das auch andere, aber deren Gerichte sind eben handwerklich weit weniger ausgefeilt und nicht annähernd so geschmacksintensiv wie Hübners filigrane Kreationen. Und ja, solchem Können gebührt der Michelin-Stern. Wir gratulieren! Lange bevor Mitte der zweiten Märzwoche 2022 Michelin seinen Deutschland-Guide präsentierte, war schon klar, dass Berlin zwei Sterne verlieren würde.

Nachdem im Mai 2021 das Restaurant Pauly Saal (Michelin-Stern seit 2014) für immer geschlossen wurde, folgte einige Monate später das Cinco by Paco Pérez (Michelin-Stern ebenfalls seit 2014). Und dann waren da noch zwei weitere Sterne, die auf der Kippe standen – die des Lorenz Adlon Esszimmers. Im November 2021 hatte dessen Küchenchef Hendrik Otto angekündigt, das Haus nach elf Jahren zu verlassen, um künftig als Leiter Quality and Sustainable Culinary Development für den Berliner Klinikkonzern Helios tätig zu sein. Krankenhaus- statt Gourmetküche, das klingt im ersten Moment nach beruflichem Abstieg, dürfte aber das ganze Gegenteil sein – familienfreundlicher auf jeden Fall und sicher auch besser dotiert. Doch das ist schon ein anderes Thema…

Der 31-jährige Brändli stammt aus dem Kanton Schwyz. Kochlehre bei Kurt Röösli im Waldhaus Sils. Stationen seiner Wanderjahre: Restaurant de l’Hôtel de Ville in Crissier bei Benoît Violier, Ristorante Principe Leopoldo in Lugano bei Dario Ranza, Restaurant Ecco im Giardino Ascona bei Ralf Fliegauf, und – last but not least – ziert auch ein einjähriges Gastspiel bei Großmeister Andreas Caminada in Fürstenau Brändlis Vita. 2019 Sous Chef im Restaurant Cà d’Oro des Grand Hotels des Bains Kempinski St. Moritz, ein Jahr später Küchenchef.

Reto Brändli kocht im Kempinski 2021

Exquisit(es)

Zwei Michelin-Sterne, 17 Gault-Millau-Punkte! Von „Kempis next Superstar“ war die Rede und vom „Brändli Way“, zu dem alles gehört, was gut und teuer ist: Alba-Trüffel, Kobe-Beef, Lostallo-Lachs und natürlich Kaviar – Beluga aus der großen Dose … Der Kempi-Groove eben, zumindest in St. Moritz. Am 18. Mai 2022 wird sich zeigen, was davon im weit ärmeren Berlin übrig bleibt – dann ist Brändli-Premiere. Michael Sorgenfrey, Geschäftsführender Direktor des Adlon Kempinski Berlin, lobte zum Abschied Otto als Ausnahmetalent und teilte mit: „Gemeinsam mit unserem Corporate Office in Genf werden bereits erste Gespräche mit vielversprechenden Nachfolgern geführt, damit die Erfolgsgeschichte des Lorenz Adlon Esszimmers nahtlos fortgeschrieben werden kann.“

Adlon

Dass es dabei mit Sicherheit um Tage ging, sagte der Adlon-Chef nicht. Auch nicht, dass „vielversprechend“ durchaus als Synonym für „bereits mit höheren Weihen versehen“ zu verstehen war. Deutlicher formuliert: Entweder man findet einen 2- oder 3-Sternekoch (die in der Regel nicht auf Arbeitssuche sind), der bereit ist, stante pede nach Berlin zu kommen, oder die Lorenz- Adlon-Sterne sind futsch, was für das internationale Marketing der Nobelherberge ein Desaster wäre. Und tatsächlich – der Coup gelang. Am 3. März 2022 präsentierte das Adlon-Management den Schweizer Reto Brändli als Otto-Nachfolger.

www.bricole.de

 

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