Kulinarische Nachlese – Ambition und Rebellion
Das ABC der Küche – ein Buch von Hedwig Heyl
Was Hedwig Heyls Leben und Wirken betrifft, bedarf es keiner aufwändigen Spurensuche. Die hat schon die Berliner Autorin Birgit Jochens erledigt – also empfehlen wir einfach ihr Buch: Zwischen Ambition und Rebellion – Karrieren Berliner Kochbuchautorinnen, erschienen 2021 im Verlag für Berlin-Brandenburg. Hedwig Heyl also, 1850 als Tochter des reichen Reeders Eduard Crüsemann in Bremen geboren, Mädchenpensionat in Neu-Watzum bei Wolfenbüttel, 1869 Hochzeit mit dem Berliner Farbenfabrikanten Georg Friedrich H. Heyl.
Schockiert von den sozialen und hygienischen Verhältnissen in dessen Charlottenburger Betrieb, ergriff sie die Initiative, richtete Brausebäder und einen Speisesaal für die Arbeiter ein, eröffnete einen firmeneigenen Kindergarten, einen Hort für die Kinder der Belegschaft sowie einen Spiel- und Turnplatz. Zudem war sie eine eifrige Netzwerkerin, die schnell einen illustren Kreis um sich geschart hatte, der ihre Ideen über die „Profilierung der Frau zur kompetent ihren Haushalt führenden Gefährtin des Mannes“ und zur „Verbesserung der hauswirtschaftlichen Bildung“ begeistert aufnahm.
Wie es begann…
Als ihre frühere Lehrerin Henriette Breymann, eine Großnichte des Reformpädagogen Friedrich Fröbel, nach Berlin kam und 1874 in Schöneberg das Pestalozzi-Fröbelhaus als Ausbildungsstätte für soziale Frauenberufe eröffnete, war Hedwig Heyl schnell an deren Seite. Ihre Überzeugungskraft siegte, und der Einrichtung wurde eine Koch- und Haushaltungsschule angegliedert. Für entsprechendes Lehrmaterial sorgte Hedwig Heyl als Autorin selbst, der befreundete Verleger (Netzwerk!) Carl Habel kümmerte sich um den Druck.
So kamen aus Hedwig Heyls Feder Titel wie „Resteverwertung in der Küche“, „Leitfaden für den Volks-Kochunterricht – Vierzig Stunden zur Erlernung der einfachen Küche“, „Handbuch für Hausarbeit“, „Hilfsbuch für die Hauspflege“ und „Häusliche Wäsche“. 1888 dann der Höhepunkt ihres küchenpublizistischen Schaffens: „Das ABC der Küche“ erscheint, ein fast 1.000-seitiges, kiloschweres Kompendium, „ehrerbietigst zugeeignet Ihrer Königlichen Hoheit Victoria, Prinzessin von Preussen“. Sechsundzwanzig Abteilungen, in denen jegliches Produkt und alle Zubereitungsformen behandelt werden, allein das Register enthält 3.950 Begriffe von Aal blau bis Zwiebeln gefüllt.
Der ersten folgten 13 weitere Auflagen, die letzte besorgte 1938 ihre Tochter Rose H. Heyl. Insgesamt wurde das „ABC der Küche“ also rund 90.000 mal gedruckt. Interessant fanden wir neben den Kostenberechnungen für jedes Gericht, den Aufstellungen über den Nährwert von Lebensmitteln und den gelegentlichen Einblicken in die Ernährungsgewohnheiten der Menschen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Anmerkungen Hedwig Heyls über Kochwerkzeuge und Küchenausstattungen.
So lobte sie beispielsweise die Gasherde der Berliner Firma Senking: „Sie sind recht brauchbar und im Gasverbrauch durchaus nicht unvorteilhaft.“ Und auch der Elektrifizierung von Haushalts-, Hotel- und Restaurantküchen stand sie durchaus aufgeschlossen gegenüber – im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung übrigens, die damals tatsächlich meinte, dass das Essen aus Elektroöfen auch „elektrisch schmecken“ würde.
Fazit
Das ist natürlich Schnee von gestern, während Hedwig Heyls Bemerkungen zum Thema Küchenwerkzeuge uns hoch aktuell erscheinen. „Im ganzen haben sich die Küchengeräte zu sehr verfeinert“, lesen wir, „viele Dinge sind überflüssige Prunkstücke, die nur die Reinigungsarbeit vergrößern.“ Für uns klingt das ziemlich vertraut. Wahrscheinlich gibt es heute sogar mehr Küchenwerkzeuge, die keiner braucht, als zu Heyls Zeiten: Pendelschäler, Fruchtentkerner, Lasagne- und Capreseheber, Ballon- und Kugelbesen …
Das sei noch geschrieben: Hedwig Heyl war Organisatorin des Internationalen Frauenkongresses 1904, brachte 1912 die für damalige Verhältnisse einmalige Leistungsschau „Die Frau im Haus und Beruf“ auf den Weg, stellte während des 1. Weltkrieges die Massenspeisungen für Soldatenfrauen und Kriegerwitwen auf die Beine und gehörte 1915 zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Hausfrauen-Bundes. Birgit Jochens nennt sie „eine Führungsfigur der praktisch orientierten Frauenbewegung.“
Die andere Seite ihrer Persönlichkeit: Als Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft vertrat sie rassistische Positionen und – allerdings bereits im hohen Alter – begeisterte sie sich sogar für Hitler. Am 23. Januar 1934 starb Hedwig Heyl in Berlin.