Wo Berliner Köche am liebsten Essen

Ein Wiener Schnitzel beispielsweise, das österreichischen Hausfrauen die Freudentränen in die Augen treibt? Oder Königsberger Klopse, die deutsche Großmütter zu Jubelstürmen hinreißen? Rehrücken, der Wolfram Siebeck und Tafelspitz, der Eckart Witzigmann zufrieden stellen würde? Restaurants, in denen die Dummheiten wild gewordener Kreativer ebenso tabu sind wie die Schlampereien nachlässiger Routiniers? Gute Küche, die noch den Hauch eines Geheimtipps hat, -wo gibt es das in Berlin?

Wer wäre besser geeignet, diese Frage zu beantworten als die hauptstädtischen Herdexperten, sagten wir uns – also dann, ein Blick ins Buch und zwei ins Leben…

Das Buch heißt „Berlin – wo Köche essen gehen“. Wer darin nun ein paar gute gastronomische Tipps vermutet, wird bitter enttäuscht. Der Band serviert auf 80 Seiten lediglich das, was jeder x-beliebige Restaurantführer auch vorsetzt: 134 Restaurants, darunter etliche, in denen – da gehen wir jede Wette ein – noch nie ein Berliner Koch essen war. Fehlanzeige also.
Bleibt das Leben – und das heißt, auf den Weg machen und nachfragen:

Wo also gehen Berliner Köche wirklich essen?

Josef Eder, Jahrgang 1965, Küchendirektor im Berliner Grand Hyatt und außerdem zuständig für die kulinarischen Geschicke von 4 weiteren Hyatt-Hotels in Europa, überlegt lange. Viel Zeit habe er ja nicht, sagt er. Nach einer erneuten Denkpause zählt er auf: Aigner (Französische Straße 25), Hugos (Budapester Straße 2), VAU (Jägerstraße 54-55), Weingrün (Gertraudenstraße 10-12). Natürlich, keine besonderen Tipps, alles Restaurants aus der ersten Berliner Liga. Dann fällt ihm noch das Ristorante Arcino´s in Tegel (Berliner Straße 98) ein, wegen der exzellenten Pizza und weil es so kinderfreundlich ist. „Am liebsten aber esse ich bei meiner Frau“, bekennt Josef Eder schließlich, „immer sonntags und meist Hähnchen aus dem Römertopf.“

Auch bei Berlins jüngsten Sternekoch, dem 34-jährigen Daniel Achilles, dessen Restaurant Reinstoff in den versteckten Edison-Höfen ein wirklicher Gewinn für die Stadt ist und der neben Michael Hoffmann vom Margaux und Michael Kempf vom Facil zu den ernsthaften Berliner Zwei-Sterne-Kandidaten zählt, gibt es ein kulinarisches Familienritual für die freien Tage. Am Sonntag geht’s ins Kuchi (Gipsstraße 3), einen Klassiker fernöstlicher Küche, am Montag kocht Achilles Partnerin Sabine Demel zu Hause.

Sternekoch Marco Müller aus der Rutz-Wein-Bar gehört ebenfalls zur Asia-Fraktion, obwohl es dort seine Lieblingsgerichte – Blutwurst und Rouladen – natürlich nicht gibt. Müllers Favorit ist das thailändische Szenelokal Mutter (Hohenstaufenstraße 4). Hier gehen süffige Drinks über den Tresen, das größte Frühstück heißt „Mutter aller Schlachten“ und die Zitronengrassuppe mit Garnelen schmeckt wie aus einer Garküche in Chiang Rai. Eine weitere gute Adresse, bei der Müller regelmäßig Rast macht, ist der Bieberbau (Durlacher Straße 15), weil dort „so schön klar und geschmacksintensiev gekocht wird“.

Die gleiche Begründung liefert Rolf Schmidt, Küchendirektor in Josef Laggners Gastro-Imperium, für die Restaurants Lochner (Lützowplatz 5) und e.t.a. hoffmann (Yorckstraße 83), in denen er Stammgast ist. Der frühere Sternekoch gilt als ausgewiesener Kenner der kulinarischen Szene Berlins. Er sagt: „Wer klare Linien und eindeutige Aromen schätzt, kommt an diesen beiden Läden nicht vorbei.“

Ähnlich erklärt auch Balthazar-Inhaber Holger Zurbrüggen seine Vorliebe für das Restaurant Wegner (Dahlmannstraße 22). Der 44-jährige Berliner Jens Wegner, in früheren Jahren Sous Chef bei Rolf Schmidt im first floor und bei Kurt Jäger auf Schloß Hubertushöhe, kocht hier seit zwei Jahren dermaßen gut, dass er es auf Anhieb in den Gault Millau schaffte – 14 Punkte und ein Lob, das schwer wiegt: „Wegner ist ein Küchenchef, der auf Schnörkel und Tricks verzichten kann und seine klassisch-mediterranen Gerichte präzise auf den Punkt bringt.“

Die Antwort Herbert Beltles, des Berliner Gastro-Gurus (Altes Zollhaus, Aigner am Gendarmenmarkt, Weingrün), kommt wie aus der Pistole geschossen: „Mein Lieblingsrestaurant ist die Bar Centrale in Kreuzberg.“ (Yorckstraße 82)
Auch Sonja und Peter Frühsammer (Frühsammers Restaurant) sitzen gern bei Pasquale Ciccarelli und seiner Frau Donatella. Begründung: „Weil die Bar Centrale eben nicht einer jener O-sole-mio-Schuppen ist, in denen nachlässig gekocht, dafür aber arrogant serviert wird.“

Christian Lohse, Küchenchef im Fischers Fritz, kehrt gern mal bei Hermann ein. Der heißt in Personalausweis-Vollständigkeit Hubert Hermann Meier und arbeitete jahrelang in der Vertriebszentrale für die Autos mit dem Stern am Potsdamer Platz. Vor vier Jahren kündigte er seinen Manager-Job und eröffnete im gutbürgerlichen Wilmersdorf gemeinsam mit Andreas Geiger, einem Koch aus dem Ländle, Hermanns Einkehr (Emser Straße 24). Lohse liebt die Gemütlichkeit des bürgerlichen schwäbischen Gasthauses, Geigers riesige Maultaschen und das naturtrübe Zwickelbier aus dem (allerdings bayerischen) Hofbräuhaus Traunstein.

Wer auf Autogrammjagd ist und den Zwei-Sterne-Koch nicht dort antrifft, hat noch eine zweite Chance: Hot Spot (Eisenzahnstraße 66) Lohse wohnt in der Nähe und steht auf authentische Sichuan-Küche von Mme. Wang und Mr. Wu und natürlich auf deren Arsenal erstklassiger deutscher Weine.

Italienisch lieben es auch Thomas Kammeier und Kolja Kleeberg. Der Hugos-Küchenchef ist ein Fan der Trattoria Paparazzi (Husemannstraße 35) und der Cucina italiana von Doris Burneleit, die einst als Wirtin des einzigen italienischen Restaurants Ostberlins berühmt wurde. Nun, in Prenzlauer Berg, sind es wieder die hausgemachten Malfatti – Spinat-Ricotta-Röllchen – und andere Italo-Spezialitäten, mit denen die Burneleit Furore macht.

Kolja Kleeberg schließlich ist Stammgast im Stella Alpina (Suarezstraße 4), einem Charlottenburger Kiez-Italiener, der zwar in keinem Gastro Guide steht, dennch aber  dem ungebrochenen Trend folgt, dass nur aus guten Zutaten gute Gerichte werden können.

Fazit: Berlins Küchenchefs – und das gilt sicher nicht nur die zehn von uns befragten –  schätzen, wenn sie privat essen gehen, das, was auch uns Küchenamateuren Freude macht: legere Atmosphäre, moderate Preise und Gerichte, die sorgfältig zubereitet sind und fröhlich serviert werden. In Frankreich gibt’s dafür ein schönes Wort: formidable.

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