125 Jahre Arminiusmarkthalle

Top Twelve, Top Ten, Top Five – es leben die Rankings! Gut, besser, am besten oder – die trendigere Form der Komparation – ambitioniert, spektakulär, genial. Der Boom von Bestenlisten entspricht dem Wunsch moderner Menschen nach knapper Information. Basis der Möglichkeit zum Mithalten und Mitreden.
Die vorzüglichsten Hauptstadt-Restaurants, die empfehlenswertesten Brandenburger Landgasthöfe und, natürlich, die angesagtesten europäischen Markthallen.

The 13 Most Beautiful Market Halls of Europe. Angeführt wird die Liste von Rotterdams neuer Markthal, die weit mehr ist als eine Markthalle – ein Lebensraum, ein Konglomerat aus verschiedenen Nutzungen, aus Arbeiten, Kaufen, Essen, Wohnen. „Ein Triumphbogen für den gebauten Wahnsinn“, sagt die Architekturkritik. Winy Maas, der Architekt, formuliert schlichter: „Wer Leben haben will und zwar den ganzen Tag, besser die ganze Woche, der muss die Nutzungen mischen.“

Einen solchen Mix hatte auch das Wachenheimer Unternehmerehepaar Kira und Christoph Hinderfeld im Sinn, als es mit seiner Zunft AG Anfang Dezember 1891 auf einem ehemaligen städtischen Steinlagerplatz eröffnete Markthalle X übernahm. Ein neuer Name sollte Programm sein: Zunfthalle. Von einem „Manufakturen-Kaufhaus“ war die Rede, von einem „Kunstraum“ und einem „Genussraum“, von „wertigen Herstellern in einem werteorientierten Umfeld“, von einem „für die Handelspartner der Zunft AG verbindlichen Wertekodex“.

Puh, wohl ein bisschen viel Philosophie für die gute alte Armsinushalle. Die großspurigen Projekte blieben auf der Strecke, stattdessen entstand ein gastronomischer Ballungsraum, der pfeilgerade sowohl auf die Bedürfnisse der Besseresser als auch derer zielt, die sich nur einen Graupeneintopf für 2,80 leisten können. Bio und billig in kulinarischer Koexistenz und – Platz 10 im Die-schönsten-Markthallen-Europas-Ranking.

Die Arminiushalle ist ein Denkmal, und manche Händler hier sollten auch Denkmalschutz genießen. Karlheinz Fechner zum Beispiel, 78 und seit 1968 in der Halle „Als ich hier anfing, waren wir noch zu siebt“, erzählte er. Ungläubiges Staunen. Sieben Blumenhändler in einer Markthalle? „Blumen haben früher eben eine größere Rolle gespielt“, so Fechner, „da hat man sich noch persönlich zu bestimmten Gelegenheiten gratuliert und keine SMS geschrieben.“

Der guten alten Blumenzeit trauert auch Mayra Handza nach, doch die Wurstfrau in Reihe 5 der Arminiushalle sieht für ihr „zweites Zuhause“ durchaus auch gute Chancen. „Wenn’s nicht kippt“, sagt sie. Was Mayra Handza damit meint, hat ein Anonymus dem Internet anvertraut: „Man kann bei denen kaufen, die schon immer da waren und bei den Neuen und auf Balance hoffen. Denn ohne diese Balance rutscht der ganze Kiez; entweder links runter in die Verzweiflung oder rechts in denselben öden Nihilismus, den wir in dieser Stadt schon an genug schöngetöteten Ecken haben.“

„Na ja“, wiegt Daniela Lindow Marinelli den Kopf. Ihr ist das ein bisschen zu negativ. Die Historikerin und Stadtführerin, die in der Halle Obst und Gemüse verkauft – „wie das Leben so spielt“ – freut sich über das Upgrading des traditionellen Ortes mit einem erheblich erweiterten kulinarischen Angebot.

„Früher war das ein Hort schnellstmöglicher Massenabfütterung, jetzt entwickelt sich die Arminiusmarkthalle Schritt für Schritt zur angesagten Food Halle.“ Zu den traditionellen Imbissständen, die Hausmannskost ohne hippes Image anbieten, kommen inzwischen immer mehr junge Gastronomen mit besonderen Konzepten in den roten Backsteinbau hinter der rauen Turmstraße. Daniela Lindow Marinelli kennt sie und lobt sie, ein bisschen wohl auch, weil viele bei ihr einkaufen. Das Wichtigste für die eloquente 56-Jährige ist aber, dass die Arminiusmatkthalle als „soziales Begegnungszentrum“ funktioniert. „Hier treffen sich die Leute aus dem Kiez, und das muss auch so bleiben.“

Einzelne Händler der Arminiusmarkthalle stellen wir in späteren Beiträgen genauer vor.

www.arminiusmarkthalle.com

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Comments (1)
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  • Heike

    Netter Artikel, was mich allerdings sehr verwundert – wo soll besagte Frau Daniela Lindow Marinelli denn Obst und Gemüse verkaufen? Es gibt derzeit leider nur einen Gemüsestand in der Halle (viel zu wenig) und da habe ich sie noch nie gesehen – und ich kaufe dort regelmäßig ein.
    Wichtig wäre jedenfalls, dass die Markthalle ein Ort zum Einkaufen bleibt – und nicht der nächste hippe Foodcourt wie in Kreuzberg.
    Schon jetzt fühlt man sich Samstag als Einkaufender eher in der Minderheit, Mann und Maus geht dort eher zum brunchen.
    Derzeit lebt die Halle noch von der Vielfalt, aber sie ist gerade dabei, ihren Charakter zugunsten der Eventgastronomie zu verlieren – und das wäre schade!