Nachgelesen von Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr
Auf Frieda Mangold, die Verfasserin und Herausgeberin des 69-seitigen vegetarischen Rezeptbüchleins, das wir ihnen in dieser Garcon-Ausgabe vorstellen, machte uns eine Stammkundin aufmerksam. Birgit Jochens ist Historikerin, leitete 25 Jahre lang das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheimund begann nach ihrer Pensionierung, sich mit Berliner Kochbuch-Autorinnen und ihren Werken zu beschäftigen. Inzwischen ist ein Buch entstanden, das, so erzählte uns Birgit Jochens kürzlich, im kommenden Jahr erscheinen könnte. Sie bat uns, noch nichts über den Inhalt zu schreiben, wir versprachen es und halten uns natürlich daran. Also sagen wir heute nur, dass wir sehr gespannt auf den Band sind – vor allem auch deshalb, weil diese Frauen, die zu ihrer Zeit zu den meistgelesenen Autorinnen zählten, nur selten eine Würdigung ihrer kulturgeschichtlichen Leistungen erfuhren und mit den Jahren in der historischen Versenkung verschwanden. Frieda Mangold ist ein Beispiel dafür. Viel konnten wir über die Verfasserin des „Praktischen Kochbuchs für naturgemäße Lebensweise“, das immerhin zwischen 1925 und 1986 fünfzehn Auflagen mit insgesamt 65.000 Exemplaren erlebte, nicht in Erfahrung bringen.
Weil neben guten Büchern und gutem Essen auch Stadtspaziergänge zu unseren Leidenschaften gehören, machten wir uns auf den Weg nach Schöneberg. Die Bülowstraße, 1864 nach dem preußischen Infanteriegeneral Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz (1755 – 1816) benannt, heißt noch immer so, das wussten wir. Was wir nicht wussten: Das Haus Bülowstraße 19 existiert nicht mehr. Es bekam, so erzählte uns ein älterer Anwohner, irgendwann im letzten Kriegsjahr einen Bombentreffer und brannte aus. Die Ruine wurde 1949 gesprengt.
Heute steht hier das Aldea-Hotel, eine fünfstöckige Bettenburg, so charmefrei wie ein Betonklotz nur sein kann. Als wir uns mit Grausen wenden wollten, entdeckten wir eine winzige Bronzetafel: „Architekturpreis Berlin 2009“.
In dieser Stadt ist man eben nirgendwo vor Überraschungen sicher. Leider nicht im Fall der Kochbuchautorin Frieda Mangold. Keine Fotos oder andere Dokumente, nichts, das über die wenigen Fakten hinausgeht, die wir schon kennen. Und auch das Museum Tempelhof-Schöneberg teilte uns mit: „Leider haben wir nichts zu Frieda Mangold, ihrer Speisewirtschaft oder dem Reformhaus in unserem Archiv.“ Ob Frieda Mangold beispielsweise im 1892 in Leipzig gegründeten Deutschen Vegetarierbund eine Rolle spielte, bleibt ebenso im Dunklen wie ihre Beziehung zu dem geheimnisumwitterten Philosophen Otoman Z. A. Ha’nish (1844 – 1936) und seiner Mazdaznan-Diät, die sich am indo-persischen Vegetarismus inspirierte oder zu dem medizinischen Außenseiter Maximilian Oskar Bircher-Brenner (1867 – 1939), der eine ebenso ausgewogene wie bedarfsgerechte Ernährung propagierte und das Bircher-Müsli als „Sonnenlichtnahrung“ erfand.
Wie auch immer – nach dem, was wir über Frieda Mangold wissen, zweifeln wir nicht daran, dass diese Frau in den 1920er Jahren in Berlin zu den Protagonisten einer fleischlosen Ernährung zählte und damit auch den Zeitgeist jenes Teils der bürgerlichen Gesellschaft traf, der Stehkragen und Korsett abgelegt hatte und den sportlichen Körper zum Privileg machte.
„In der Tat nähren sich heute die breiten Massen so, als ob sie ein Volk von Selbstmördern wären“, schrieb Clara Ebert (1863 – 1949), eine Zeitgenossin Frieda Mangolds, in ihrem Buch „Küche der Zukunft auf fleischloser Grundlage“, das 1927 im Dresdner Verlag für angewandte Lebenspflege erschien und sich ebenso rasch verbreitete wie Mangolds „Praktisches Kochbuch für naturgemäße Lebensweise“. Neben der Betonung des gesundheitlichen Wertes etwa von Gemüse fanden während der Weimarer Zeit übrigens auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse Eingang in die Hauswirtschaftslehre. So verringerte sich zum Beispiel die durchschnittliche Kochdauer der Speisen erheblich, schonendere Zubereitungsarten wurden propagiert, Dampf- und Schnellkochtöpfe kamen in Mode, die gesundheitsfördernde Kraft der Vitamine wurde erkannt und auf die Ernährung übertragen. Berlin zählte im vorigen Jahr allein 58 rein vegane Bistros, Cafés und Restaurants und gilt damit als Veggie-Paradies. Frieda Mangold hätte sicher ihre helle Freude.
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