Aigner schließt nach 20 Jahren – Interview mit Herbert Beltle

Kürzlich veröffentlichte GQ Germany, ein Hochglanzmagazin für Männer, die auf Savile-Row-Anzüge, Turnbull-&-Asser-Hemden und John-Lobb-Schuhe stehen, eine ultimative Bestenliste: Die coolsten Gastronomen Deutschlands. Das Attribut definierten die Münchner Ranking-Redakteure gleich vorab: „Cool sind jene Gastgeber, bei denen man sich einfach immer wohlfühlt.“ Unter den dann folgenden 50 sind immerhin zwölf Berliner: Ivan Arzou, Ludwig Cramer-Klett, Moritz Estermann, Heinz Gindullis, Stephan Landwehr, Roland Mary, Dieter Meier, Boris Radczun, Tim Raue, Willi Schlögl, The Duc Ngo, Michael Würthle. Congrats, sagt man wohl bei GQ.

Wir würden zwar nie und nimmer auf die Idee kommen, eine solche Liste aufzustellen (weil wir mit Kategorien wie Coolnessfaktor oder Promiquote nicht viel anfangen können) – aber wären wir gefragt worden – wir hätten auf jeden Fall den Namen Herbert Beltles genannt. Erstens, weil in seinen Restaurants – um mal bei den GQ- Kriterien zu bleiben – schon Stars und Sternchen aus aller Welt und jeder Profession dinierten als etwa das Grill Royal noch ein Plattenbau-Keller war und zweitens, weil er ein Mann ist, der in sich alle gastfreundlichen Tugenden seines Metiers vereint: unaufdringlicher Charme, weltläufige Gelassenheit, souveräne Flexibilität. Einer, der jedem Gast ein VIP-Gefühl verleiht.

Beltle, Kochlehre in Obersdorf, Stationen in London, Genf, Cannes und St. Moritz, Absolvent der Hotelfachschule in Heidelberg, Souschef im Kempinski Berlin und Küchenchef im Arabella
München, eröffnete 1988 das Alte Zollhaus, 1999 das Aigner am Gendarmenmarkt und zehn Jahre später – aller guten Dinge sind bei ihm drei – die Rôtisserie Weingrün an der Gertraudenbrücke.

Seit 2004 ist er zudem Besitzer des Weinguts Horcher im pfälzischen Kallstadt an der Deutschen Weinstraße. Wir sprachen mit dem erfolgreichen Gastronomen über Neuigkeiten, die nun im Hause Beltle anstehen.

Herr Beltle, man hört und konnte es auch schon lesen, dass Sie das Aigner schließen. Weshalb?

Sorry, aber da sind schon zwei Fakenews in Ihrer Frage. Ich verlasse das Aigner, aber ich schließe es nicht. Das Restaurant bleibt auch nach meinem Ausscheiden geöffnet, mit gleichem Namen, gleichem Interieur, gleichem Team. Auch der langjährige Küchenchef Andreas Klitsch bleibt im Haus.

Also – lediglich der Inhaber wechselt. Die Hotelcompany, die das jetzige Sofitel Berlin am Gendarmenmarkt übernimmt, wird ab September 2019 auch das Aigner betreiben. Der Vertrag ist unterschrieben, am 15. 8. ist definitiv Schluss mit dem Kapitel Aigner by Herbert Beltle.

Eine Entscheidung, die Ihnen sicher nicht leicht gefallen ist.

Natürlich nicht. Seit der Eröffnung 1999 war das Aigner eine Erfolgsgeschichte, die vor allem von unseren Gästen geschrieben wurde. Zu dieser Story gehören unendlich viele Promis aus Politik und Showbiz ebenso wie ganz normale Berliner, die einmal im Monat etwa zum Tafelspitz-Essen ins Aigner kamen. Dazu gehören Hochzeitsfeiern, Firmenfeste, Geburtstagspartys und natürlich auch das legendäre Silvester-Karpfenessen mit Freunden und Kollegen. Es waren jedenfalls ereignisreiche zwanzig Jahre.

Natürlich wird jetzt von vielen die Frage nach dem Grund Ihres Ausscheidens gestellt.

Das ist ja auch verständlich nach zwanzig Jahren. Ich kann nur immer wieder sagen: Einen besonderen Grund oder gar äußeren Zwang gab es jedenfalls nicht.

Sondern?

Eine ziemlich lange Phase des Nachdenkens. Übrigens: Kennen Sie Anselm Grün?

Meinen Sie den Benediktinerpater aus der Abtei Münsterschwarzach in Unterfranken? Ja, ich habe sein Buch ‚Das Glück der Gelassenheit‘ gelesen.

Genau den. Und ich habe ein Zitat von Pater Anselm gefunden, in dem er über das Alter spricht. Darf ich es Ihnen vorlesen?

Gerne.

Also, er sagt: ‚Altwerden bedeutet, milder zu werden, die Früchte des Lebens zu genießen. Aber Altwerden bedeutet auch loszulassen. Man darf nicht krampfhaft versuchen, im Mittelpunkt zu stehen. Das ist krankhaft. Man hat im Alter eine andere Qualität von Kraft, man muss sich nicht unter Druck setzen.‘ Seine Sicht auf die Tatsachen des Lebens hat mir jedenfalls geholfen, die, wie ich finde, richtige Entscheidung zu treffen. Und außerdem bleibe ich ja dem Aigner freundschaftlich und geschäftlich verbunden.

Inwiefern?

Die neuen Inhaber und ich haben vereinbart, dass auch in Zukunft im Aigner die Horcher-Weine ausgeschenkt werden.

Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Herr Beltle?

Dürfen Sie, ist ja kein Geheimnis. Ich bin Jahrgang 1957 und habe am 25. Juli meinen 62. Geburtstag gefeiert.

1988 sind Sie mit dem Alten Zollhaus in die Selbstständigkeit gestartet. Der FEINSCHMECKER spricht vom Gastro-Klassiker am Landwehrkanal und der Slow-Food-Genussführer lobt die verlässliche Qualität der kulinarischen Offerten und das schöne Ambiente. Dabei bleibt’s?

Was die Qualität unseres kulinarischen Angebots betrifft, auf jeden Fall. Ansonsten gibt es schon einige Änderungen. Wir werden das Zollhaus im Januar und Februar 2020 schließen, um einen umfangreichen Umbau vorzunehmen. Die Küche, die nun schon dreißig Jahre auf dem Buckel hat, wird komplett neu gestaltet, ebenso der Buffetbereich und die Toiletten. Im vorderen Teil des Gasthauses
werden wir eine kleine Weinbar einrichten, lediglich die Schmugglerscheune als Veranstaltungsort in der ersten Etage bleibt so, wie sie ist, sie braucht ein bisschen Patina. Ab 1. März 2020 gibt es dann ein neues Altes Zollhaus.

Auch mit neuem Kulinarik-Konzept?

Nein, wir setzen auch in Zukunft auf unser bewährtes Gasthauskonzept, in dessen Mittelpunkt die Berlin-Brandenburgische Küche steht. Sie gehört zu unserer DNA. Außerdem wissen wir, dass es viele Gäste gibt, die mit der stilisierten Kunstkost, die derzeit so überaus trendig ist, nicht viel anfangen können. Wir halten uns an die traditionellen heimischen Ressourcen und verwandeln sie in moderne Kreationen.

Die Brandenburger Bauernente aus dem Rohr und die Katalanische Creme sind gesetzt, ebenso Aal grün, Königsberger Klopse, Hechtklößchen, Berliner Leber und Berliner Eisbein, das wir natürlich ausgelöst servieren, mit grünem Erbspüree, Sauerkraut und Senfschaum. Vorstellen kann ich mir auch die Wiederbelebung solcher alten Rezepte wie Gurken im Schlafrock, Karpfen in Bier oder den Gardestern – alle übrigens einst von Charles Tugend kreiert – Ende der 1920er Küchendirektor des Berliner Kempinski-Restaurants.


Und: Ein Gläschen Wein muss sein…?

Korrekt. Sowohl in der Rôtisserie Weingrün in Mitte als auch im Alten Zollhaus schenken wir die umfangreiche Kollektion von Horcher-Weinen aus unseren Lagen Kreidkeller, Steinacker, Kobnert und Saumagen aus, vom hochwertigen Hauswein bis zum Premiumgewächs aus den besten Lagen. Und nach dem Zollhaus-Umbau wollen wir 2020 endlich das verwirklichen, was ein Schild schon lange verspricht – es wird also im nächsten Jahr am Carl-Herz-Ufer einen Weingarten geben, der den Namen wirklich verdient.

Da liegt viel Arbeit vor Ihnen.

Schon, aber ich bin ganz stressfrei. Wenn ich noch einen geeigneten 1. Souschef für das Zollhaus finde, bin ich total zufrieden.

Ist das ein Stellenangebot?

Durchaus. Ich hoffe, Sie drucken es.

Keine Frage, wir werden es sogar hervorheben. Vielen Dank für
das Gespräch, Herr Beltle.

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