Restaurant Otto erfindet sich neu

Speisekammer eines Spitzenkochs

Das waren noch Zeiten im Restaurant Otto, damals Anfang März. Kein Mensch trug jenseits seiner Haustür Gesichtsmaske, den Begriff Social Distancing kannten allenfalls Epidemiologen und von einer Kurve, die flach gehalten werden sollte, war noch nirgendwo die Rede. Das Ende Oktober 2019 senkrecht gestartete Restaurant Otto feierte seine Lunchtime-Premiere mit einer Gemüsesuppe, die nicht nur dem Magen wärmte. An den Tagen darauf folgten Senfeier, Spinatspätzle und Wildragout, die Gäste kamen nun auch mittags in Scharen, das Konzept passte zum Ort und in die Zeit.

Doch dann erfasste das Coronavirus auch Deutschland, die Restaurants mussten schließen und ein quälend langer Shutdown bestimmte das Leben. Als endlich Lockerungen möglich wurden, erklärte Vadim Otto Ursus: „Wir wollen das Restaurant nicht als einen Kompromiss des ursprünglichen Konzepts wiedereröffnen.“

Bereits wenige Tage nach der coronabedingten Schließung seines Restaurants am 15. März entschied der 27 jährige Inhaber und Küchenchef, den Herd nicht kalt werden zu lassen. Auch die Mitarbeiter blieben an Bord, entwickelten das Otto-Pantry-Shop-Konzept, holten Lieferanten ins Boot und produzierten Haltbares: Bärlauch-Pesto, Koji-Butter, Holunder-Sirup, Leinsamen-Cracker, Linsen-Eintopf, Wild-Gulasch…

Womit selbst Vadim Otto Ursus, durchaus ein Mann vom Stamm der Optimisten, nicht gerechnet hatte: Bereits in der ersten Woche gab es 130 Bestellungen. Neben den eigenen Produkten kamen auch Kreationen befreundeter Lebensmittelhandwerker aus Berlin und Brandenburg in das Schaufenster-Regal: Sauerteigbrot vom Domberger Brot-Werk, Pars-Pralinen von Kristiane Kegelmann, Kartoffelsalat von Bruno Ebermann.
Wir haben uns durch das Otto-Angebot probiert und mit dem jungen Koch gesprochen.

Wie viele Produkte bieten Sie an?
Etwa 20 bis 25, die Zahl wächst stetig. Allerdings wechselt das Angebot auch, wenn beispielsweise die Bärlauchzeit vorbei ist, gibt es eben irgendwann kein Pesto mehr

Die Reaktion der Leute auf Ihre Offerten war zu Beginn – das haben wir selbst erlebt – überwältigend. Hat das angehalten?
Ja, hat es, und eigentlich können wir das kaum fassen. Am Anfang, also Ende März, als wir unseren Pantry-Shop eröffnet hatten, waren viele einfach nur froh zu sehen, dass hier überhaupt was passiert. Mittlerweile kommen eine Menge Leute regelmäßig einmal die Woche, um ihre Lieblingsprodukte zu kaufen.

Ihre finanziellen Verluste durch die Schließung des Restaurants halten sich also in Grenzen?
Natürlich mussten wir finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, aber wir können uns ganz gut über Wasser halten. Der größte Verlust war die – ich nenne es mal – ‚soziale Komponente‘.

Was meinen Sie damit?
Wir haben unser Restaurant mit dem Ziel gegründet, einen Ort zu schaffen, an dem sich nicht nur unsere Gäste, sondern auch wir selbst wohlfühlen – weil das Essen schmeckt, weil die Atmosphäre stimmt, weil sich das Otto alle leisten können. Ein Ort der Begegnung und Kommunikation. Das ging auf. Und das fehlte lange.

Deshalb also keine Wiedereröffnung nach dem Shutdown, kein, wie Sie sagen‚ Kompromiss des ursprünglichen Konzepts?
Genau. Wenn wir die geforderten Abstandsregeln einhalten, haben wir Platz für acht Gäste – ein Ort, an dem geteilt wird, Menschen miteinander reden wollen, Freundschaften gepflegt werden sollen, kann das natürlich nicht sein. Deshalb gab es eben zuerst neben unserem Online-Shop nur den Verkauf aus dem Fenster.

Und wie sieht es jetzt aus?
Wir haben die Terrasse geöffnet, es gibt unsere Lunch-Angebote und natürlich auch die Speisekammer-Offerten.

Wird sich die Gastronomie nach der Coronakrise verändern?
Sie hat sich schon verändert und wird sich meiner Meinung nach weiter verändern. Ich glaube, dass Fine dining in Zukunft nur noch eine untergeordnete Rolle spielen wird, dass die Nachfrage nach immer exaltierteren Kompositionen und immer exklusiverem Service abnehmen wird. Ich bin mir sicher, dass die Menschen eine ehrliche Produktküche zukünftig mehr schätzen werden, möglicherweise sogar bereit sind, für gute, nachhaltige Produkte mehr Geld auszugeben als für Luxus und Prestige.

Restaurant Otto
Oderberger Straße 56
10435 Berlin-Prenzlauer Berg
www.otto-pantry.net

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