Habels glückliche Hühner

Bücher-Boom zur Hühnerhaltung

Hühner sind in aller Munde – im wahrsten Sinne des Wortes. Vor sechs Jahren brachte die Luxemburger Sterneköchin Léa Linster gemeinsam mit dem Kölner Cartoonisten Peter Gaymann ihre „Huhnglaublichen Rezepte“ unters Volk. Danach gab es zum Thema eine regelrechte Koch- und Sachbuchschwemme. Angeheizt wurde der Titel-Kampf sicher auch durch eine Reihe prominenter Zeitgenossen, die Hühnerhaltung als Hobby entdeckte. Zur Flut der Neuerscheinungen, die in letzter Zeit Homefarming mit Hühnern und die Selbstversorgung mit Eiern propagierten, gehören auch einige wirklich ansprechende. Doch aus Mangel an Land und Zeit kann nicht jeder das Glück von Manuela von Perfall und Jessica Jungbauer mit Hühnern zu leben (Callwey Verlag München) teilen. Und was tun die, welche gern die wunderbaren Eierspeisen von Martina Meier und Kathrin Fritz (AT Verlag Aarau und München) auf dem Teller hätten?

Der Mann mit dem Huhn: Johannes Habel

Die Antwort führt natürlich nicht zum Supermarktregal, sondern auf Berliner Wochenmärkte in Charlottenburg, Friedrichshain und Schöneberg. Dort sind die Stände von Johannes Habel anzutreffen. Er ist der Mann mit dem Huhn: Jahrgang 1961, gebürtiger Münchner, aber das hört man nicht. Er absolvierte eine Konditorlehre in Garmisch-Partenkirchen, war Zeitsoldat beim Gebirgsjägerbataillon 234 in Mittenwald und Sanitätsunteroffizier. Anschließend arbeitete er als Patissier in Überlingen und im Berliner InterContinental. Es folgte eine Ausbildung zum Hotelkaufmann, später zum Immobilienfachmann. Nach dem Mauerfall war Habel Projektentwickler für Einzelhandelsimmobilien in den neuen Bundesländern, danach für Biogasanlagen. 2012 orientierte er sich erneut beruflich um: Landwirtschaftslehre und Abschluss als Landwirtschaftsmeister.

Hühnerparadies in Märkisch-Oderland

„Mein Schlüsselerlebnis war ein Praktikum in einem Mastbetrieb mit 200.000 Hühnern“, erzählt er, „als ich das gesehen hatte, waren die Würfel gefallen.“ Habel zog nach Falkenhagen im Brandenburger Landkreis Märkisch-Oderland. Dort pachtete er Wiesen und Weiden und zog eine eigene Hühnerhaltung auf – in allem das ganze Gegenteil der brutalen Tiernutzungsindustrie, die er erlebt hatte. Das war vor sieben Jahren, in denen sich Habel inzwischen einen Namen gemacht hat. Dies bezieht sich sowohl auf das „animal welfare“, das viel strapazierte Tierwohl, als auch auf die Güte und den Geschmack seiner Produkte. Außerdem wird Habel nicht müde darüber zu reden, was Hühner wirklich glücklich macht. Kein Wunder, dass der 59-Jährige immer öfter mit dem Hühner-Guru Paolo Parisi verglichen wird.

Der Mann mit dem Ei: Paolo Parisi

Der Mann mit dem Ei, das ist Paolo Parisi, 63, ein paar Jahre älter als Johannes Habel also. Er wuchs in Genua auf und hat – ähnlich wie Habel – ein bewegtes Leben hinter sich: Medizinstudium, Abbruch kurz vor dem Physikum, Arbeit als Staubsaugervertreter, später als Verkäufer für medizinische Geräte. 2004 zog er aufs Land, Usigliano di Lari, westliche Toskana – ein Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Er betätigte sich als Olivenbauer und Schweinezüchter, 2008 dann kam er auf das Huhn.

Besondere Haltungsbedingungen

„Es war ein Experiment“, sagt er. Eins aber, das funktionierte. Besonders ist die Haltung in fußballfeldgroßen Sandgruben mit Schattenbäumen und einem mobilen Stall. Auch die Fütterung mit einem akribisch gemischten Brei aus Getreideschrot und Ziegenmilch sowie die daraus resultierende geschmackliche Güte der Eier machten Parisi bekannt. Inzwischen ist er eine kulinarische Berühmtheit. Italienische Spitzenköche reißen sich ebenso wie eine Reihe ihrer Kollegen in Frankreich und Österreich um diese Eier und zahlen Höchstpreise bis zu drei Euro pro Stück. Im Hofverkauf auf seiner Azienda kostete ein Ei 0,90 Euro …

Eier, die den Preis wert sind

Parisis einziges Problem – er kann die Nachfrage kaum bedienen. Davon ist Johannes Habel, sein deutsches Pendant, noch ein Stück weit entfernt, obwohl seine Weide-Eier in puncto Geschmack denen von Paolo Parisi durchaus ebenbürtig sind. Dass Johannes Habel seine Weide-Eier ausschließlich auf Berliner Wochenmärkten verkauft, ist kein cleveres Marketing künstlich erzeugten Mangels, sondern einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass weder Bio-Groß- noch Bio-Einzelhandel auch nur annähernd bereit waren, adäquate Preise für seine Eier zu zahlen. „25 Cent pro Stück hat mir ein Händler geboten“, erklärt Habel seine Wochenmarktpräsenz, „das hätte bei meiner Art der Haltung und Fütterung nicht mal einen Teil der Kosten gedeckt“.

Weide-Ei und Hühnerbrühe

Die Kunden hier loben den aromatischen Geschmack der Weide-Eier und haben kein Problem mit Habels Stückpreis von 70 Cent. Und auch seine Hühnerbrühe findet zunehmend Liebhaber. „Ich kaufe sie, weil sie in puncto Qualität und Geschmack alles übertrifft, was ich bisher probiert habe“, erklärt uns eine junge Frau auf dem Wochenmarkt an der Akazienstraße. „Dafür sind die zehn Euro pro Glas allemal gerechtfertigt.“ Kern all dieser Preis-Fragen ist die einfache Wahrheit, dass zwischen den Ansprüchen an die Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse und der Zahlungsbereitschaft vieler Kunden noch immer Welten liegen. „Das lässt sich nur ändern, wenn das Gute zur Norm wird“, philosophiert Johannes Habel und lädt uns ein, das Gute in Augenschein zu nehmen.

1.000 Hühner und rund ein Dutzend Rinder

Falkenhagen liegt im Brandenburger Landkreis Märkisch-Oderland, im Naturschutzgebiet Matheswall, Schmielen- und Gabelsee. Hier, inmitten einer hügeligen Endmoränenlandschaft, hat Habel an verschiedenen Ecken insgesamt 50 Hektar Land gepachtet. Auf denen hält er derzeit rund 1.000 Hühner und eine kleine Galloway-Herde – zehn Muttertiere und ihre Kälber. Unser erster Gedanke: viel Land für wenig Tier. Wie bei Paolo Parisi. „Hühner brauchen Auslauf, jede Menge Grün, Platz zum Scharren, Sandbäder, Schattenbäume“, so Habel, ganz in seinem Element. Und – Duplizität des Richtigen – auch der Brandenburger Bio-Bauer benutzt mobile Ställe. Diese sind zwar kleiner als die seines italienischen Kollegen, dienen dem gleichen Zweck dienen. Sie werden immer dann versetzt, wenn an einem Ort das Grün und die Kräuter zur Neige gehen. So funktionieren Hühnerparadiese. Nichts von der quälenden Enge der Massentierhaltung, nichts von Turbohennen, die auf Höchstleistung getrimmt sind und – Mnnimum – 300 Eier im Jahr legen müssen.

Hühner zugleich Eier- und Fleischlieferanten

Die dritte Gemeinsamkeit mit dem Branchenprimus in der Toskana liegt eigentlich auf der Hand: Habels Lohmann-Hühner sind, wie die Livoneser von Paolo Parisi, Zweinutzungshühner. Also Tiere, die Eier und Fleisch liefern. Auch das gilt in der industriellen Haltung als Unding. Gewinnbringend sind Hühner nur, wenn sie einem Zweck dienen – entweder Eier legen oder Fleisch geben. In der Folge sind die mageren männlichen Nachkommen der zur Eierproduktion eingesetzten Hühner für die Industrie nutzlos. Die Folge ist bekannt: Jedes Jahr werden rund 40 Millionen männliche Küken am ersten Lebenstag geschreddert oder mittels CO₂ vergast. Ein Gesetz soll nun endlich diese Praxis verbieten – ab 2022. Keine Frage, dass sich in Habels Hühnerhaufen auch Hähne tummeln, ebenso in dem von Parisi. Das zu wissen, macht übrigens nicht nur Hühner glücklich.

Nur das Beste ist gut genug

Habels „Mädels“ – so nennt er sie tatsächlich – legen rund 220 Eier im Jahr in die mit Dinkelspelzen gefüllten Einstreunester. Cremefarben und mit einem Aroma, das an frische Nüsse und grünes Gras erinnert. Seine Kunden sind neben Six-Pack-Käufern auf Berliner Wochenmärkten vor allem Bäcker, Köche und Konditoren, die sich nicht damit abgeben, dass Bio-Eier, woher auch immer, a priori gute Eier sind. Zu dieser Kategorie der Produktfetischisten gehören etwa die Bäckerei Albatross, das Café Neumanns, Du Bonheur sowie Samys Berliner Pfannkuchen Café. Und auch eine unserer kulinarischen Lieblingsadressen in der Stadt – das Hallmann & Klee am Böhmischen Platz in Neukölln – verarbeitet ausschließlich Habels Weideeier. „Auf rund 500 Stück pro Woche hat sich das etwa im Oktober summiert“, so Rosa Beutelspacher, die 38-jährige Küchenchefin. Und wir sagen: Zwei Eier, pochiert, dazu Fassbutter, Spinat und vielleicht noch ein bisschen Bacon von Kumpel & Keule – besser kann der Tag nicht beginnen.

Hühnerpate werden

Johannes Habel liebt seine Hühner und sorgt sich um deren Wohl. Damit das für seine Kunden nicht nur ein Werbespruch ist – wie häufig in seiner Branche – lädt er mehrmals im Jahr zum „Tag der offenen Weide“ ein. „Jeder kann sich da ein Bild davon machen, dass bei uns die Hühnerwelt in Ordnung ist“, so Habel. Robert Ringmayer bestätigt das: „Nehmen Sie nur mal die viel beschworene Freilandhaltung“, so der 35-jährige Berliner. Er sagt, dies sei „ein Begriff der freie Bewegung in ländlicher Umwelt suggeriert, oftmals aber nur wenig Auslauf in karger Umgebung bedeutet, meist ohne schützende Bäume und Sträucher. Hier haben die Hühner das alles.“ Deshalb ist Ringmayer auch Hühnerpate, einer von 147 übrigens. Informationen zu den Patenschaften sind unter unter www.weideei.de erhältlich.

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