Anais stellt vor: Calissons – Wie in der Provence

“Die Calissons Léonard Parli, das sind ein bisschen die Rolls-Royces der Calissons,” sagt Pierre Gignoux, der Geschäftsführer eines der bekanntesten Süßwarenhersteller aus Aix-en-Provence. Das ist ja mal eine Aus- und Ansage. Aber: Ich finde, er hat recht.

Seit ungefähr einem Jahr haben wir die, wie wir finden, köstlichsten Calissons d’Aix zu verkaufen – diese stammen aus dem Hause Léonard Parli.

 

Was sind Calissons?

Die Calissons d’Aix sind eine süße Spezialität aus der Provence, genauer gesagt aus Aix-en-Provence. Sie haben die Form eines kleinen Schiffchens (vor und hinten spitz zulaufend) und bestehen aus einem Teig aus gemahlenen Mandeln und kandierten Melonen und Orangenschalen. Sie erinnern an Marzipan, sind dabei aber weniger süß, und viel saftiger und mandeliger. Die Masse befindet sich auf einer feinen Oblate und wird mit einer dünnen Schicht glace royale, bestehend aus Puderzucker und Eiweiß, bedeckt.

Für mich sind Calissons d’Aix ein kulinarisches Symbol für Südfrankreich. Mein Vater, der Maître, stammt aus Marseille, und so sind wir in meiner Kindheit in den Sommerferien immer nach Frankreich gefahren. Meist erstmal runter nach Marseille, wo die Familie meines Vaters herkommt. 1.500 km im Auto, das war und ist eine ganz schön lange Strecke, die meine Eltern meist mit einer Übernachtung auf halber Strecke bewältigt haben.

Auf dieser Strecke gab es für mich als Kind ein paar Orientierungspunkte: Dreilinden, der Grenzübergang und Beginn der Transitstrecke, Helmstedt, das Ende der Transitstrecke und der Beginn von West-Deutschland (ja, so sagte man das damals als Berliner), die deutsch-Französische Grenze, und Lyon, wo es immer Stau auf der Autobahn durch die Stadt gab, wo aber auch die Autoroute du Soleil begann, die Autobahn der Sonne, auf der wir dann geradewegs nach Marseille und in Richtung Süden durchfahren konnten. Auf der Autoroute du Soleil waren wir also fast schon am Ziel!

Die tollste Autobahn-Raststätte der ganzen Fahrt gab es meiner Meinung nach in Montélimar, einer kleinen Stadt knapp zwei Autostunden von Lyon entfernt, auf der wir im angegliederten Shop für lokale Spezialitäten die ersten Tütchen mit Nougat Blanc de Montélimar kaufen konnten, und: die ersten Calissons d’Aix! Wir waren endlich im Süden!

 

Woher kommen die Calissons?

Über die genaue Herkunft der Calisson d’Aix wird gestritten. Es gibt Hinweise darauf, dass diese ursprünglich aus Italien stammen und dort bereits im 12. Jhdt. erwähnt wurden ; die weitaus schönere andere Geschichte ist, dass 1454 zur Hochzeit von René von Anjou (genannt le Bon Roi René = der gute König René) und Jeanne de Laval der Koch der Braut zum Nachtisch kleine Süßigkeiten reichte, und ihr diese, nachdem sie ihr außerordentlich gut gemundet hatten, als Calissons vorstellte.

Seit 1995 werden jedes Jahr am 6. September in der Kirche von Saint-Jean-de-Malte d’Aix-en-Provence die Calissons geweiht, in Erinnerung an das Weihen der Calissons im September 1630, wo die geweihten Calissons die Bevölkerung angeblich vor der Pest beschützt haben.

Erst seit 2002 sind die Calissons d’Aix (nur dieses, nicht die Calissons de Provence) ein I.G.P.-Produkt (I.G.P. = indication d’origine protégée, zu Deutsch: geschützte geografische Herkunft), d.h. sie unterliegen strengen Regeln, was Produktion und Herkunft betrifft.

Aber zurück zu den Calissons d’Aix von Léornard Parli.

 

Die Geschichte der Parlis

Die Geschichte der Parlis ist die Geschichte von Schweizer Einwanderern aus Graubünden, die im 18. und 19. Jahrhundert aufgrund von Hungersnöten zuhauf ihre Berge verließen und im Süden in Richtung Marseille ihr Glück versuchten. Die Schweizer waren nicht nur exzellente Uhrmacher und Chocolatiers, sondern auch fantastische Zuckerbäcker. Die Zuckerbäcker aus Graubünden machten Marseille im 18. Jahrhundert zur Hauptstadt der süßen Köstlichkeiten.

Ende des 18. Jahrhunderts machte sich Mathias Parli aus Graubünden auf, im Ausland sein Glück zu versuchen. Dabei machte er in Aix-en-Provence halt und ließ sich dort nieder. Er heiratete 1840 die Schwägerin eines ebenfalls schweizerischen Konditors und eröffnete kurz darauf eine erste Parli-Konditorei. Diese wurde von seinem Sohn Laurent weitergeführt.

Léonard Parli, einer der jüngeren Söhne von Mathias, war jung, dynamisch und ehrgeizig, er verfügte über Pioniergeist und Abenteuerlust und wollte seine eigene Firma gründen. Der Tradition der Schweizer Zuckerbäckerei blieb er treu, jedoch hatte er eine Vision. Und so gründete er im Jahr 1874 die erste Calissons-Fabrik von Aix-en-Provence, die noch heute besteht.

Er zog aus dem Norden von Aix, wo sich seit jeher die Zuckerbäcker im alten Aix rund um die Kathedrale angesiedelt hatten, in den strategisch günstigen Süden der Stadt, in die Nähe des SNCF-Bahnhofs und neben der inzwischen verschwundenen Mandelfabrik Bremont. Von hier aus konnte er seine Calissons und andere Köstlichkeiten bequem in die großen Städte Frankreichs, wie z. B. Marseille, Lyon und Paris verschicken.

1875 perfektionierte er seine Maschine zur Herstellung von Calissons, was (wie es in seinem damaligen Prospekt heißt) „eine schnelle und sorgfältige Herstellung der Süßigkeiten unter Beibehaltung ihrer Qualität“ ermöglicht.

144 Jahre lang blieben die Geschäfte in den Händen der Familie Parli, bis 2018 Valérie und Pierre Gignoux (beide inzwischen 58) das Traditionsunternehmen Parli kauften. Beide waren vorher in ganz anderen Bereichen selbständig ; Valérie hatte eine Apotheke und Pierre war Ingenieur für Verpackungstechnik im Bereich Obst und Gemüse mit eigener Firma.

Beide wollten sich mit Anfang 50 noch einmal beruflich umorientieren. Sie kannten die Vorbesitzerin der Firma und als aus Aix stammende Familie selbstverständlich auch die Leonard Parli. Die Gespräche zogen sich über 3 Jahre hin, bis es schließlich soweit war.

Inzwischen arbeiten auch die Söhne Thibault (30) und Léonard (27) ebenfalls im Unternehmen und sind voller Begeisterung und Leidenschaft dabei, die Tradition des Hauses Parli weiterzuführen.

Der Begriff Fabrik ist irreführend. Tatsächlich ist es eine Manufaktur, in der nach wie vor noch sehr viel von Hand gemacht wird, die Maschinen unterstützen dabei lediglich den Handwerker.

Um Calissons herzustellen, braucht man erst einmal konfierte Früchte. Dieser Prozess ist sehr aufwändig und dauert mindestens einen Monat, bei manchen Obstsorten noch deutlich länger. Das Haus Parli ist der einzige Hersteller, der die Melonen für ihre Calissons selbst konfiert und so die Kontrolle über die Qualität hat. Der Zuckersirup, in dem die Früchte konfiert werden, wird ebenfalls für die Produktion der Calissons benutzt.

Hat man erstmal die konfierten Melonen, kann die eigentliche Produktion beginnen:

Der calissonnier vermengt die konfierten Melonen und Orangenschalen mit den geschälten und blanchierten Mandeln und zerkleinert diese Zutaten in zwei Schritten: das erste Mal grob in einer Zahnmühle und das zweite Mal zwischen Granitwalzen. Dies ist sehr wichtig, um die besondere Konsistenz der Calissons zu erhalten. Es sei wie beim Kartoffelpüree: Ein Püree, bei dem die Kartoffeln mit der Gabel oder einen Kartoffeln mit der Gabel oder einem Kartoffelstampfer zerdrückt werde, schmeckt auch anders und vor allem besser, als eins, welches im Mixer zubereitet wird.

Der Teig wird unter Zugabe vom Zuckersirup cremig gerührt, von Hand ausgeklopft, um die Luft entweichen zu lassen, dann ruht er für mindestens 48 Stunden.

Les façonneur des calissons – die Former der Calissons – bedienen zusammen die Calisson-Maschine. Obwohl einige Produktionsschritte maschinell ablaufen, so erfolgen viele Schritte nach wie vor händisch, wie z.B. das Auftragen der glace royale.

Übrigens enthalten die Calissons von Parli 42 % Mandeln, wohingegen die von Mitbewerbern teilweise nur 25 bis 30 % enthalten. Daher schmecken sie weitaus weniger süß und viel feiner und mandeliger.

Valérie und Pierre Gignoux, die Eltern von Thibault, kauften Parli ungefähr zum Ende seines Studiums. Er hat einen Master in Internationalem Handel. Nach dem Studium arbeitete er für zwei Jahre bei Parli, danach wollte er eigentlich ins Ausland, doch die Pandemie machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Und inzwischen fühlt er sich in der Firma genauso verwurzelt wie in seiner Heimat, so dass er bleiben möchte. Er ist im Unternehmen für den administrativen Bereich sowie die Produktionsabläufe zuständig.

Als letzter stieg Sohn Léonard (27) in das Familienunternehmen ein. Er hat Landwirtschaft und Weinbau studiert. Inzwischen ist er zuständig für die 10 Hektar große Bio-Plantage an Mandelbäumen, die die Familie Parli gepflanzt hat und deren erste Ernte für 2024 erwartet wird.

Die Gignoux sind zutiefst mit der Region und ihren Traditionen verwurzelt, es ist ihnen sehr wichtig, dass die Rezepturen nicht verändert und das alte Wissen nicht verloren geht. Dennoch haben sie vorsichtig einige Veränderungen vorgenommen, z. B. haben sie zwei weitere Parli-Boutiquen in der Innenstadt von Aix eröffnet. Die Boutiquen sind im Übrigen das Aufgabenfeld der Mutter Valérie und ihrer Schwester Isabelle. Vater Pierre kümmert sich um die Fabrik.

Da in den letzten Jahrzehnten das Schokoladenwissen im Hause Parli etwas in Vergessenheit geraten war, haben die Gignoux Chocolatiers angeworben, um dieses Geschäftsfeld wieder zu beleben. Die neuen Mitarbeiter lernen von den alten und umgekehrt. Diese alteingesessenen Mitarbeiter sind teilweise seit 20, 30 oder sogar über 50 Jahren bei Parli angestellt, wie z. B. Redda (leitet eine Boutique) et Jean-Claude (Fabrik).

Der Erfolg spricht für sich, der Umsatz hat sich verdoppelt, seitdem die Gignoux am Werk sind. Aber bei so viel gelebter Leidenschaft kann es auch gar nicht anders sein.

CONFISERIE LÉONARD PARLI

Pôle d’Activités d’Aix-en-Provence
95 rue Famille Laurens
13290 Aix-en-Provence

Die Bilder dieser Seite hat uns die Firma Parli zur Verfügung gestellt.

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