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Ausflugslokal Mutter Fourage

29.214

Drei Männer mit Ziege. Die Männer sind Wolfgang Immenhausen, Lutz Peters und Stefan Reisner. Der Name der Ziege geriet in Vergessenheit. Das 35 Jahre alte Schwarzweiß-Foto ist das Gründungsdokument eines besonderen Ortes, der gleichermaßen der Kunst, der Kommunikation und der Kulinarik verpflichtet ist: Mutter Fourage in Berlin-Wannsee.

Der eigentliche Akt seiner Gründung liegt im Dunkel der Vergangenheit. Wahrscheinlich erfolgte er in irgendeiner Tiergarten-Kneipe, bei Hanne am Hansaplatz, im Frascati an der Stromstraße oder in der Apotheke. „Weltfrieden“, das In-Getränk der damaligen Zeit, eine wilde Mischung aus Wodka, Bitter Lemon und Zitrone im Berliner Weiße-Glas, muss dabei eine Rolle gespielt haben ebenso wie Alwin Seiferts Bestseller „Gärtnern, Ackern ohne Gift“. Der Schauspieler Wolfgang Immenhausen, der Autor Stefan Reisner, beide am Grips-Theater tätig, und Lutz Peters, ein junger Unternehmer, saßen jedenfalls wieder mal zusammen und redeten sich die Köpfe heiß – über Umweltzerstörung und Naturschutz, gesunden Boden, gesunde Pflanzen, gesunde Kost. Es war die Zeit der aufkeimenden ökologischen Bewegung, die von der Mehrheit der Bevölkerung allerdings noch als Fahrkarte ins finstere Mittelalter gesehen wurde.

Nach dem wievielten „Weltfrieden“ die drei Männer den Entschluss fassten, aus der grünen Theorie grüne Praxis zu machen, auch das weiß heute keiner mehr.
„Wir beschlossen jedenfalls, aus dem Anwesen in Wannsee, auf dem mein Großvater im Jahr 1900 eine Futtermittel- und Kartoffelhandlung gegründet und das ich geerbt hatte, eine Art ökologischen Musterbetrieb zu machen“, erinnert sich Immenhausen, „weg vom Torfmull, der auf jeden Quadratmeter Westberlicher Gartenland gekippt wurde, ohne dort irgendetwas zu bewirken, hin zu gesunder Kompostwirtschaft .“ Gänse, Schweine und Ziegen wurden angeschafft, ökologischer Gartenbedarf angeboten, einer der ersten Naturkostläden Berlins eröffnet und mit missionarischem Eifer betrieben. „Und von Anfang an gab es Kultur, Pfingstkonzerte zum Beispiel, Kinderfeste, Kunstausstellungen, Lesungen.“ Der 69-jährige Wolfgang Immenhausen spricht über den Wunsch der Gäste nach Kaffee und Kuchen, über seine ersten amateurhaften Koch- und Backversuche und darüber, dass sie hier sogar einmal Wein gekeltert und Winzerfeste gefeiert haben.

Mutter Fourage, Ende der 1970er noch ein Geheimtipp, avancierte bald zu einem beliebten Treffpunkt und einem besonderen Veranstaltungsort im damaligen West-Berlin. „Vieles blieb jedoch noch lange provisorisch“, so Immenhausen, „erst in den letzten Jahren erhielt der Hof sein heutiges Gesicht – jetzt ist er rund.“ Auf dem Gelände bietet das Team von Gärtnermeister Uwe Kühn Terracotten, Pflanzen und Gartenmöbel an. Es gibt ein Bilderrahmenatelier, die Kulturscheune, eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen und im Kabinett verkauft Immenhausen Radierungen von Max Liebermann und anderen Wannsee-Künstlern.

Auch wenn die Tiere heute fehlen, irgendwie ist das alles wie Ferien auf dem Bauernhof. Doch die hier sitzen, ihre MacBooks scharf machen und Kaffee trinken, sehen nicht nach Sommerfrische sondern nach Buisnesstag aus. Wahrscheinlich ist ein solcher Ort besser für Ideen, als die sterile Büroatmosphäre. Wolfgang Immenhausen begrüßt diesen, spricht mit jenem, lebt stressfrei. Früher hat er alles selbst gemacht, jetzt hat er sich für alles Pächter gesucht. Nur die Ausstellungen und Konzerte, die managt er noch.

Ein Kleinod zwischen Scheune und Gärtnereiist das Hofcafé – 50 Prozent Bistro, 50 Prozent Tante-Emma-Laden, betrieben von Dagmar Wohlgemuth-von Reiche und Heribert von Reiche. Sie war mal Biologin, er Historiker. Vor zwölf Jahren entschieden sich die beiden Urberliner gegen die Wissenschaft und für die Gastronomie, und sie haben es nicht bereut.

Elf Frühstücksangebote stehen in ihrer kleinen Karte, keine Massenware sondern Lebensmittel die das Wort verdienen. Die Baguettes kommen aus der Bio-Bäckerei Märkisches Landbrot, die Croissants vom Neuköllner Bio-Konditor Tillmann, die Eier liefert ein Brandenburger Bauer, die Marmelade kocht Dagmar Wohlgemuth-von Reiche selbst. Ab 12.00 Uhr mittags serviert sie Suppen, Salate, Aufläufe und Quiches, vegetarische Kleinigkeiten, die dem kulinarischen Konzept, die Ursprünglichkeit der Lebensmitter zu erhalten, ebenso entsprechen wie die Vielfalt ungewöhnlicher Zutaten: Bulgur, Gerstengraupen, Glockenapfel, Hirse, Bamberger Hörnchen, Büffelmozzarella.

Es gibt Eier in Frankfurter grüner Soße, Kohlrabigratin mit Fenchelsamen, Spätzle mit Löwenzahn oder Quark mit frischem Leinöl – schnell, schmackhaft und preiswert.
Dazu offerieren die beiden ein in Berlin wahrscheinlich einmaliges Angebot regionaler Lebensmittel aus kleinen Manufakturen – Wurst von bunten Bentheimer Schweinen und Highländer Rindern, kaltgepresste Bioöle, Essige aus den besten deutschen Produzenten, Marmeladen und Gelees, Salze und andere Gewürze, Eier, Mehl, Milch, Nudeln. Rund 70 deutsche Lebensmittelmanufakturen sind die Lieferanten von Dagmar Wohlgemuth-von Reiche und Heribert von Reiche. Dazu kommen 110 verschiedene Weine, auch hier ist Bio das wichtigste Thema. Adel verpflichtet eben.

Mutter Fourage

Chausseestraße 15a
14109 Berlin-Wannsee
www.mutter-fourage.de

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