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Teltower Rübchen

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Auf dem samstäglichen Biomarkt am Kreuzberger Chamissoplatz ist nichts virtuell, alles kann man anfassen und begutachten. Zum Beispiel das Teltower Rübchen: haarig, schrumplig, weißlich-grau – ästhetisch eigentlich unzumutbar. Dennoch stehen die Kunden am Stand des Rübchenhofs von Axel Szilleweit nach der brandenburgischen Spezialität Schlange – einmal mehr Beweis dafür, dass alte, samenfeste Gemüsesorten wieder sexy sind.

Tatsächlich beobachten wir hier eine gewisse Werteverschiebung – weg von der industriellen Gemüse-Massenware, von den fünf, sechs Marktfavoriten, alle gleich groß und signalfarben, hin zu individuell produzierten Sorten, die durchaus so aussehen dürfen wie das Teltower Rübchen – siehe oben.
Der Grund dafür liegt im Charakter solcher Lebensmittel. Kurz gesagt: In der Regel schmecken sie besser, und ernährungsphysiologisch wertvoller sind sie auch.

Die meisten der sogenannten Navets zum Beispiel, weiße Rüben aus Frankreich, die in Berliner Supermärkten angeboten werden, kommen im Geschmack ihrer märkischen Schwester zwar nahe, reichen aber nie und nimmer an die feine, pikante und mit einer gewissen Schärfe ausgestattete Aromatik des Teltower Rübchens heran.

Hinzu kommt dessen hoher Gesundheitswert. Es ist reich an Vitaminen, Mineral- und sekundären Pflanzenstoffen, etwa Glucosinolaten, denen Ernährungswissenschaftler eine vorbeugende Wirkung gegen Krebs zuschreiben. In der Mundart der Menschen auf dem Teltow, der kargen Landschaft südlich von Berlin zwischen Havel und Dahme, hießen die kleinen Wurzeln übrigens „Telsche Rön“.

Bereits im 18. Jahrhundert waren sie als Delikatesse bekannt. Belegt ist, wie gesagt, dass sich Goethe Teltower Rübchen nach Weimar, Immanuel Kant sogar nach Königsberg liefern ließ. Doch nicht nur der Dichter und der Philosoph, Bio-Kisten-Abonnenten der ersten Stunde sozusagen, schätzten die kleine Rübe, auch zeitgenössische Profi-Köche verarbeiteten sie mit Leidenschaft.

So findet sich das älteste Teltower Rübchenrezept bereits im Brandenburgischen Kochbuch von Maria Sophia Schellhammer, das um 1720 herausgegeben wurde. Später waren es Henriette Davidis, Friedrich Hauptner, Minna Hooff und andere Kochbuch-Autoren, deren Rübchen-Rezepte – „ob glacirt, mit Sahne oder zum Hecht“ – Furore machten. Und immer wieder gab es auch verbales Lob auf ganzer Linie für ihren exklusiven Geschmack.

Im Diätischen Kochbuch von Dr. Joseph Weil beispielsweise, 1876 in Freiburg erschienen, heißt es: „Besonders berühmt sind die Teltower Rüben, von dem Orte Teltow bei Berlin. Diese Rübe hat einen so einzigartigen angenehm süßen Geschmack, dass sie als Leckerbissen betrachtet werden muss.“

Dennoch wurde es mit zunehmender Industrialisierung der Landwirtschaft mehr und mehr zurückgedrängt. Dass es überlebte, ist letztlich nur einigen Teltower Schrebergärtnern und dem Bio-Bauern Axel Szilleweit zu danken. Vor sechs Jahren wurde es von Slow Food in die Arche des Geschmacks aufgenommen.

Damit gehört das Teltower Rübchen, das auch bei Minusgraden wächst und zwischen Oktober und März geerntet wird, zu jenen über 30 seltenen deutschen Kulturpflanzen, Nutztierrassen und regionalen Lebensmitteln, die auf der von Slow Food 1996 ins Leben gerufenen Arche des Geschmacks Platz fanden.

Gemüsehof Teltower Rübchen

Ruhlsdorfer Str.74
14513 Teltow
Tel. 03328-47 48 43
www.teltower-ruebchen.de

 

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