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Anni von Bergens Reise durch Deutschlands Küchen

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Zu Besuch bei Anni von Bergen

Anni von Bergen lebt seit knapp einem Jahr im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, Europas größter bewohnter Flussinsel, früher für gut situierte Hanseaten eine hässliche No-go-Area – heute ein hipper Multikulti-Bezirk. Sie könnte mit der S-Bahn zum Jungfernstieg fahren, aber sie nimmt für die zehn Kilometer lieber ihr Rennrad. „Ist bequemer“, kommentiert sie locker, „und nützt der Gesundheit.“ Trotz des blauen Himmels weht ein kalter Wind über die Binnenalster, nicht unbedingt die angenehmste Interviewsituation. Gegen Zehn öffnet eine Starbucks-Filiale am Neuen Jungfernstieg, immerhin. Der sündhaft teure Na-ja-Kaffee ist wenigstens heiß.

Vom Ruhrpott an die Elbe

Anni von Bergen, Jahrgang 1989, stammt aus Kamen, einer Stadt am Rande des Ruhrpotts, und studierte in Münster Visuelle Kommunikation. Bachelorabschluss 2016, Umzug nach Berlin, Arbeit als Illustratorin und Dozentin. Im September 2019 dann Hamburg. „Die Stadt hat viel zu bieten, der Austausch mit Kollegen ist hier besser als in Berlin, und ich kann in Hamburg meinen Master machen“, so Anni von Bergen.

Vom Opernbuch zum Kochbuch

„Lassen Sie uns über Ihr Buch sprechen.“ „Über welches?“ Dezenter Hinweis darauf, dass „A Sauerkraut ´s Kitchen“ nicht das erste Buch der 31-Jährigen ist. Bereits 2017 illustrierte sie ein Opernbuch – Don Giovanni von Lorenzo da Ponte, Musik Wolfgang Amadeus Mozart. „Anni von Bergen setzt die in der Oper gesungenen Emotionen mit ihren dramatischen und expressiven Zeichnungen gekonnt in Szene“, lobte die Kritik.

Zeichnerische Entdeckungsreise

Ihr Kochbuch-Erstling ist eher weniger schwere Kost. Wobei: Für Leute ihrer Generation dürften Arme Ritter, Kalter Hund oder Leipziger Allerlei ebenso Bücher mit sieben Siegeln sein wie die Arien des Don Giovanni oder der Donna Elvira. Anni von Bergen nickt bestätigend. „Wir sind viel gereist“, erklärt sie. „Wir wissen, wie Korea kocht und Peru isst, kennen Bibimbap und Dulce de leche, die Verbindung zur heimatlichen Küche ist uns aber verloren gegangen.“ Diese Erkenntnis und eine kindheitgeprägte Leidenschaft fürs Kochen ließen bei der 31-Jährigen die Idee einer „zeichnerischen Entdeckungsreise durch Deutschlands Küchen“ reifen. So lautet übrigens auch der Untertitel ihres Kochbuches.

Quer durch Deutschlands Küchen

Die meisten Verlage, denen Anni von Bergen ihr Konzept vorstellte, reagierten skeptisch — erst bei Jaja war sie an der richtigen Adresse. Ein Jahr lang zog sie kreuz und quer durch deutsche Lande.Sie besuchte Gasthöfe und Wirtshäuser, interviewte Fremde und Freunde, sammelte Rezepte. „Eine kulinarische Identitätssuche“, nennt sie diese Zeit heute. Probekochen, Testessen, mehr Lob als Kritik. Den Buchtitel schließlich liefern Bekannte aus England — für sie ist deutsche Küche eben A SAUERKRAUT ´S KITCHEN. 64 Rezepte aus 16 Bundesländern bestanden die Aufnahmeprüfung. Die Rezepte gibt es so oder oder so ähnlich natürlich auch in anderen Kochbüchern.

www.annivonbergen.com

Einladung zum Essen

Was „A Sauerkraut´s Kitchen“ zu etwas Besonderem macht, sind die Illustrationen von Anni von Bergen. Es sind farbenfrohe Einladungen zum Essen und an typische Orte, denen die Künstlerin ihre Aufwartung macht. Mit dabei sind der Altonaer Fischmarkt und der Viktualienmarkt in München, die Lüneburger Heide und die Bodenseeinsel Reichenau, die Eltzer Mühle in Uetze und der Reinickendorfer Flughafensee. Mal arbeitet sie mit kräftigem Pastell, mal mit filigranem Bleistift. Ihre Arbeit wirkt überbordend, fast wild, immer aber ausdrucksstark, eindringlich und sinnlich. Nein, es müssen nicht immer die mittels Photoshop aufgemotzten Hochglanzfotografien sein, möglicherweise sind solche Illustrationen sogar viel intensiver. Individueller sind sie auf jeden Fall.

Schwarzwälder Kirschtorte und Königsberger Klopse

Anni von Bergen, geboren 1989, gehört zu einer Altersgruppe, die Soziologen als Generation Y bezeichnen. Y gesprochen wie why, warum. Es ist eine Generation, die es buchstäblich wissen will. Sie ist dem Internet groß geworden ist, kennt die Welt und surft kulinarisch auf der kosmopolitischen. Dennoch ein Buch über Bremer Klaben, Königsberger Klopse, Schwarzwälder Kirschtorte, Pfefferpotthast, Rinderrouladen und Sauerbraten, Frau von Bergen? „Vor allem im Ausland, aber auch von ausländischen Freunden in Berlin wurde ich oft gefragt, was typische deutsche Küche ist, was uns kulinarisch beglückt und was beleidigt. What we love to eat at home.“ Die Antworten, die Anni von Bergen auf ihre kulinarische Suchanzeige bekommt, sind durchaus sympathisch.

A Sauerkraut’s Kitchen
Autorin und Illustratorin: Anni von Bergen
168 Seiten in Farbe
Für 26,00 € unter anderem beim atVerlag
ISBN 978-3-946642-85-5

Kontinuität und Konstanz

„Es ist gut, dass solche Kochbücher noch verlegt werden und auch ihre Leser finden“, sagt Michael Eilhoff, „zeigt es doch, dass die deutsche Küche nicht tot ist, obwohl sie schon dutzendmal beerdigt wurde.“
Sein Restaurant „Lutter & Wegner seit 1811“, das übrigens nicht zum allgegenwärtigen Laggner-Imperium gehört, ist der äußerst lebendige Beweis dafür. Seit 1995 steht Eilhoff hier am Herd, seine Souschefin Cindy Menz ist seit 10 Jahren dabei. „Ich halte Kontinuität und Konstanz durchaus für große Tugenden, auch in der Gastronomie“, so Michael Eilhoff.

Deutsche Regionalküche

Das Auffälligste an dem 62-jährigen Sauerländer ist seine Unauffälligkeit, das Aufregendste seine Unaufgeregtheit. Und dementsprechend kocht er auch – handwerklich blitzsauber, schnörkellos und geschmacksintensiv. Ob Königsberger Klopse, Schwäbische Maultaschen oder Wiener Schnitzel, ob Blutwurst mit Schalotten-Senfsauce oder Zander mit Blattspinat – viele Stamm-, aber auch eine steigende Zahl von Zufallsgästen feiern Eilhoffs deutsche Regionalküche. Sie schätzen die schlüssigen Kombinationen seiner Gerichte, die klare Würzung, die perfekten Garzeiten, eben das ganze Konzept.

Unprätentiös speisen

Und obwohl die meisten Berufsesser auf der Suche nach dem nächsten Kick das Restaurant mit dem gemütlichen Dunkelholz-Ambiente links liegen lassen, hat es sich längst herumgesprochen: Wer in Berlin unprätentiös speisen möchte, in zuverlässiger Qualität und ohne pseudo-kreatives Chichi, der kommt am „Lutter & Wegner seit 1811“ nicht vorbei.

Genuss für unterwegs – GARCON als APP

Lutter & Wegner seit 1811 ist leider geschlossen!
Schlüterstraße 55
10629 Berlin-Charlottenburg

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