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Scharfe Stangen – Meerrettich

die unterschätzte Würzpflanze

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Meerrettich als Heilpflanze

Der in München ansässige Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Paracelsus – kurz NHV Theophrastus – kürte den Meerrettich zur Heilpflanze des Jahres 2021. Eine Wahl, die längst überfällig war, wie der Erste Vorsitzende des Vereins, Konrad Jungnickel, bekannte: „Meerrettich hat als Heilpflanze ein großes und leider bisher zu wenig ausgeschöpftes Potenzial.“ (Übrigens auch als Würzpflanze, aber dazu später mehr.)

Tatsächlich beweisen wissenschaftliche Studien für die im Meerrettich enthaltenen Inhaltsstoffe entzündungshemmende Eigenschaften, beachtliche antivirale Effekte und starke antibakterielle Wirkungen. „Dies ist vor allem im Hinblick auf die zunehmenden Antibiotikaresistenzen richtungsweisend“, so Jungnickel, der als Heilpraktiker auch zu einer naturgemäßen Ernährung rät.

Die Forderung „Esst mehr Meerrettich“ ist übrigens nicht neu. Bereits Anfang des 16. Jahrhunderts wetterte der Renaissance- Humanist Ulrich von Hutten (1488-1523) gegen die Lust der Deutschen auf fremde Gewürze. Wer seine Speisen mit einheimischen Kräutern und Wurzeln würze, lebe gesünder als die Leute, deren Finger gelb von Safran seien, die Zimt schluckten und den Duft von Gewürznelken ausatmeten.

Meerrettich am Hofe

In die gleiche Kerbe schlug einhundert Jahre später der Arzt, Botaniker und Alchimist Johann Sigismund Elsholtz (1623-1688), einer der bedeutendsten deutschen Naturforscher des 17. Jahrhunderts. In seinem 1682 in Cölln an der Spree erschienenen „Diaeteticon – Unterricht von Erhaltung guter Gesundheit durch eine ordentliche Diät und insonderheit durch rechtmäßigen Gebrauch der Speisen und des Getränkes“ forderte der Botanicus und Medicus am Hof des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg „bey uns gebreuchliche Küchen-Kreuter“ so zu nutzen, wie es ihnen gebührte. Insgesamt verwies Elsholtz auf 22 Würzpflanzen – darunter Borretsch, Fenchel, Kerbel, Knoblauch, Kresse, Melisse, Pimpinelle und – Meerrettich.

Interessant auch, dass er ein Rezept veröffentlichte, das heute noch zu den beliebtesten Meerrettich-Verarbeitungen zählt: „Aus dem geriebenen Meerrettig machet man mit Eßig und Zucker eine hier zu lande sehr gebreuchliche Tuncken… So machet man gekocht Rindfleisch oder Fische damit… denen er einen angenehmen schmack gebietet.“

Meerrettich in Österreich

Damit wäre zumindest bewiesen, dass die Tafelspitz-Begleitung hierzulande Tradition hat. Auch, dass der Meerrettich mehr kann als das, ist bekannt, wird aber selten praktiziert. Ganz anders bei unseren österreichischen Nachbarn, wo die scharfe Wurzel „Kren“ heißt und zu den wichtigsten Zutaten vor allem der Steirer Küche gehört. Ganz oben auf der kulinarischen Beliebtheitsskala steht das Krenschnitzel – ein Kalbschnitzel, das vor dem Panieren und Ausbacken in frischem Meerrettich gewendet wird.

Kein Wunder, dass die scharfen Wurzeln in der Steiermark auf über 300 Hektar wachsen – Tendenz steigend.

Anbau vom Meerrettich

Der Meerrettich ist eine ausdauernde, winterharte Staude, die keine besonderen Ansprüche an das Klima stellt, an den Boden allerdings schon. „Mittelschwer soll er sein, humos und tiefgründig und ausreichend Feuchte ohne stauende Nässe garantieren”, sagen die Spezialisten. Wegen dieser Anforderungen, aber auch weil Ernte und Vermehrung des Kreuzblütlers viel teure Handarbeit erfordern, steigen vor allem in Mitteleuropa immer mehr Landwirte aus dem Meerrettichanbau aus. Ein Vergleich macht deutlich, was gemeint ist: Während ein Hektar Kartoffeln einen Arbeitsaufwand von rund 50 Arbeitsstunden erfordert, sind es beim Meerrettich immerhin 1.000 Arbeitsstunden.

Europas Anbau-Spitzenreiter ist Ungarn mit 450 Hektar, gefolgt von Österreich, wo in der Steiermark auf 320 Hektar Kren kultiviert wird. Die drei größten deutschen Anbaugebiete befinden sich in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg. Hier wächst derzeit auf rund 130 Hektar Meerrettich – vor 20 Jahren übrigens waren es noch 160 Hektar.

Meerrettich in der Küche

In diesem Zusammenhang plädierte Andree Köthe, Chef am Herd im Nürnberger „Essigbrätlein” und einer der landweit genialsten Gemseköche, schon vor Jahren für einen aufmerksameren Umgang mit den scharfen Stangen. „Meerrettich wird wahnsinnig unterschätzt”, so Köthe, „dabei ist er das wirklich Besondere im Gewöhnlichen. Wir testen gerade angebratenen Meerrettich in Süßspeisen.”

Ein bisschen von dieser Experimentierfreude wünschte man auch Köthes Kollegen in Brandenburg und Berlin, zumal die beste Ware direkt vor der Haustür wächst. Das traditionelle Anbaugebiet rund um Lübbenau liefert jährlich pro Hektar rund 10 bis 12 Tonnen Spreewald-Meerrettich – dem übrigens als drittem Brandenburger Produkt nach Spreewälder Gurke und Beelitzer Spargel 1999 das EU-Gütesiegel „geschützte geografische Angabe” (g.g.A.) zuerkannt wurde. Grund genug also, die markante Wurzel kulinarisch ein bisschen mehr zu hofieren. „Mit Chili und Ingwer würzt inzwischen ja wirklich jeder”, sagt der bereits zitierte Nürnberger Sternekoch Andree Köthe.

 

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