Der Spreewald. Einzigartige Landschaft südöstlich von Berlin. Abseits der Städte Lübben und Lübbenau idyllische Dörfer, gemüsige Gärten, Felder, Wiesen und Weiden, durchgezogen von Wasserläufen, die dort Fließe heißen. Theodor Fontane nannte das Ergebnis eiszeitlicher Naturgewalten „bäuerliches Venedig“. Was das weit verzweigte Netz schmaler Spreearme und die vielen Indizien agrarischen Lebens angeht, stimmt der Vergleich. Ansonsten aber irrte der Dichter – zumindest, was die Wintermonate betrifft. Während die Lagunenstadt auch zu dieser Zeit vom Massentourismus heimgesucht wird, sind die Spreewald-Bewohner zwischen November und März unter sich, mal von einigen Wander- und Wellnessgästen abgesehen.
Die meisten Kähne liegen winterfest in den Fährhäfen und die wenigen Autos auf den schmalen Straßen tragen die Heimatkennzeichen LDS oder SPN. Stille prägt das Land. Eine gute Zeit für Entdeckungen, wie wir finden. Marco Giedow ist der beste Koch im Land Brandenburg, so die Auszeichnung von „Partner-für-Berlin“ der besten Meisterköche 2015. Sein Restaurant Speisenkammer steht auf unserem Besuchsplan, seit es den 37-Jährigen vor zweieinhalb Jahren in den Spreewald zog.
Kennengelernt haben wir Giedow übrigens schon lange zuvor, 2011, da war er Küchenchef in der Alten Schule Reichenwalde, damals noch ein „kulinarisches Gymnasium“, das allerdings nach seinem Weggang und dem fälligen Wechsel am Herd auf Grundschulniveau sank. Die Vermutung, dass es zu wenige gute Köche nach Brandenburg zieht, wollen wir mit Marco Giedow besprechen – also, machen wir uns auf den Weg.
Normalerweise kein Problem. Doch wenn das Navi spinnt, das platte Land überall gleich aussieht und auf den fahrradwegbreiten Verbindungen zwischen den einsamen Gehöften kein Mensch unterwegs ist, den man fragen könnte, dann gerät der Katzensprung schon mal zum Langstreckenflug. Endlich finden wir zur Waldschlösschenstraße und zu einem Anwesen, das den sperrigen Namen Ferienhof Spreewaldromantik trägt.
Auf dessen Gelände befindet sich neben einem Appartementhaus auch Giedows Restaurant.
Der erste Blick: Rostrote Holzwände, schwarze Dächer, ein Backofen direkt am Stillen Fließ. Landhaus-Look vom Feinsten, eine Bilderbuch-Anlage ohne die andernorts üblichen Spreewalddekorationen Marke Kahnattrappe mit Trachtenpuppe. Dann die Speisenkammer. Am Anfang war das Ganze nur ein schnörkelloser Frühstücksraum für die Pensionsgäste. Dann keimte die Idee, hier ein Restaurant einzurichten. Marco Giedow erfuhr davon – zurück nach Hause wollte er ohnehin – entschied sich schnell und eröffnete im März 2013 sein kleines kulinarisches Refugium. Auf der Karte stehen Gerichte, die nie vor Kreativität aus der Kurve fliegen, aber immer soliden Gegenwert bieten fürs Geld, aber dazu später mehr.
„ Eigentlich war die Kochlehre eine fixe Idee“, erzählt der gebürtige Cottbusser, „mein Traumjob war irgendwas bei der Polizei oder dem Bundesgrenzschutz, am liebsten was mit Hunden“.
Man versuchte, ihm ein Studium schmackhaft zu machen, Perspektive Kommissar, Aufstiegsmöglichkeiten. Giedow lehnte ab, ahnte die künftige Büroarbeit, ging zum Bund und danach zu Frank Schreiber nach Finsterwalde. „Was besseres konnte mir nicht passieren.“
Der erfahrene Spitzenkoch erkannte Giedows Talent und weckte in ihm die Leidenschaft für den Kochberuf. Lehrabschluss, Wanderjahre in Österreich und der Schweiz, 2008 Souschef im Restaurant Windspiel in Storkow, zwei Jahre später Küchenchef in Reichenwalde, 2011 zum ersten Mal der Titel „Brandenburger Meisterkoch“.
Spätestens da hätte er nach Berlin gehen können, um seiner Herdkarriere die Krone aufzusetzen. Giedow zuckt die Schultern: „Ich bin kein Stadtmensch.“ Sein Herz gehört dem Spreewald. Für die Gegend ein Glück, nun sind Oliver Heilmeyer und sein neuer Vize Marcus Langer, der zuvor immerhin auf Schloss Lerbach an der Seite von Niels Henkel kochte, nicht mehr alleine auf weiter Flur zwischen Lübben und Cottbus. Um andere Regionen Brandenburgs ist es kulinarisch gesehen, weit schlechter bestellt. Dann ändert auch die Tatsache nichts, dass es mit dem Beelitzer KochZIMMER nun ein drittes Sternerestaurant im Lande gibt.
Nehmen wir beispielsweise mal die Gault-Millau-Sicht auf die Gastronomie zwischen Prignitz und Fläming, dann wird besonders deutlich, wie es um die Branche dort steht: 13 Restaurantnennungen mit 156 Punkten! Zum Vergleich: Das einstige kulinarische Niemandsland Sachsen-Anhalt kommt wenigstens auf 16 Nennungen und 202 Punkte, und in Mecklenburg Vorpommern gibt es 19 Nennungen mit 271 Punkten. Bandenburg mag touristisch einiges zu bieten haben, eine nennenswerte Gastronomie in der die Freude am Kochen, gepaart mit Fantasie und handwerklichem Können Programm ist, gehört sicher nicht dazu.
Marco Giedow: „Wissen Sie, wie viele Köche in Berliner Spitzenrestaurants aus Brandenburg kommen?“ Wir wissen es nicht. Giedow: „Jede Menge, aber von denen will doch keiner in die Einsamkeit einer dünn besiedelten Region, um dort bei dem Versuch zu scheitern mit guter Küche jenseits von irgendwelchem Allerweltsgedöns die Bude voll zu kriegen.“ Der Brandenburger Meisterkoch nennt Gründe: die fehlende kulinarische Tradition, die Skepsis vieler Einheimischer gegenüber Verfeinerung und gehobener Küche, Essgewohnheiten, Schwellenangst. Sein Fazit: „Verglichen mit anderen Gegenden sind wir im Spreewald da gut dran, die Menschen hier sind offener, auch für Neues auf den Tellern und unter den Touristen, die zu uns kommen, sind auch immer mehr Gourmets.“
Hinzu kommt, dass Marco Giedows Küche locker den Spagat schafft zwischen „Einfachem und Mondänem“, wie es der Gault & Millau nennt, zwischen Regionalität und Weltläufigkeit also.
Dementsprechend begründete auch die Partner-für-Berlin-Jury ihre diesjährige Auszeichnung: „Damit erweist sich Giedow als Baumeister und Architekt einer modernen und immer fantasievolleren Bandenburger Küche.“
Seine Gerichte wirken bodenständig und heimatverbunden. Kein Wunder, Obst, Gemüse, Pilze, Wild und andere Produkte gibt es im Spreewald zuhauf. Wer deshalb allerdings Giedows kulinarische Kreationen für bürgerlich-bieder hält, liegt falsch. Weißfleischige Saiblingsfilets beispielsweise bringt der Meisterkoch mit Schnippelbohnen, einer leicht säuerlichen Birne und frischem Meerrettich auf die Teller. Den besonderen Kick bekommt das Gericht durch gelbe Senfsaat, die mit Apfelsaft eingekocht wurde, eine subtile Aromenkombination. Rinderzunge kombiniert er mit Spinat, der im Backofen ein feines Raucharoma bekam, herbstlichen Pilzen und Hagebuttenmark, auch das ist blitzsauber zubereitet und punktet mit kräftiger Aromatik.
Weil das Regionale in der kleinen Speisenkammer-Küche nicht als Dogma verstanden wird, finden sich auf der Karte neben Pastinakengemüse, Quittenkompott und einem erstklassigen Spreewaldsauerkraut auch gratinierte Sardinen und in Nussbutter gebratener Kabeljau.
Mit der Quappe, einem früher allgegenwärtigen Fisch aus den Fließen, können Marco Giedow und seine 25-jährige Souschefin Francis Jeroch nicht dienen. „Es stimmt, früher waren Quappen eine Delikatesse, besonders die große Leber. Es gab im Spreewald so viele, dass sie sogar getrocknet und als Kohleanzünder benutzt wurden“, erzählt Restaurantleiter und Sommelier Marco Böttcher, 38, der aus Lübben stammt, souverän den Service meistert und zu Giedows Gerichten die passenden Weine beisteuert. Die Karte konzentriert sich auf Deutschland und Österreich. Besonders interessant sind Saale-Unstrut-Offerten von Bernhard Pawis und Matthias Hey und eine kleine Auswahl Großer Gewächse.
Speisenkammer
Waldschlösschenstraße 48
03096 Burg (Spreewald)
www.ferienhof-spreewaldromantik.de