Wolfram Siebeck zum 80. Geburtstag
22. September 2008 vormittags im Ritz-Carlton Berlin. Fototermin mit Wolfram Siebeck und seiner Frau Barbara. Am Abend wird Deutschlands bekanntester und gefürchtetster Restaurantkritiker in der Nobelherberge am Potsdamer Platz seinen 80. Geburtstag feiern. Die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, mit deren Hilfe Siebeck seit vier Jahrzehnten den Deutschen allwöchentlich seine Verbalmedizin gegen Genussfeindlichkeit, Billigprodukte und Fertiggerichte verabreicht, hat eingeladen. 200 Gäste werden mit Wolfram Siebeck anstoßen, drei Festredner werden seine Leistungen würdigen, acht der besten Köche Europas das Geburtstagsmenü zubereiten.
Mein Gott, so viel Aufregung um einen Mann, dessen Bekanntheit nicht mal annähernd an die von, sagen wir mal, Roberto Blanco heranreicht, hören wir die einen sagen.
Nichts gegen den Vor-Sänger des Landes, aber keiner hat die Lebenskultur der Deutschen mehr verändert als Siebeck, deren Vor-Koster, entgegnen die anderen.
Recht haben sie. Wir outen uns als Siebeck-Jünger und sagen: Gäbe es einen Nobelpreis für kulinarische Aufklärung, Wolfram Siebeck wäre erster Anwärter. Weil Anwartschaften so was sind wie Sitzen vor leeren Tellern, ernennen wir den Berufsesser aus Mahlberg im Ortenaukreis anlässlich seines 80. Geburtstages zum 1. Besseresser der Nation. Herzlichen Glückwunsch!
Grüße aus der Küche in 10 Gängen
von Hans-Peter Wodarz
Gang 1 Die erste Begegnung
Begonnen hat alles 1963. Als 15jähriger Wiesbadener Bub erlernte ich im Hotel „Rose“ den Beruf des Kochs. Mein wichtigstes Handwerkszeug in den 60er Jahren war der Dosenöffner, der Griff in den Fondor-Eimer die hauptsächliche Tätigkeit, und auf unserer Speisenkarte stand Toast Hawai, natürlich mit einem i.. Nach einigen Wanderjahren durch deutsche Hotelküchen hörte ich von einem neu eröffneten Restaurant in München namens Tantris und von dessen Küchenchef Eckart Witzigmann. Nach zwei Besuchen dort wusste ich, was kulinarische Vergangenheit bedeutet und worin die kulinarische Zukunft besteht. Ich fing im Tantris noch mal als Lehrling an.
1973 lernte ich Wolfram Siebeck kennen, der dann und wann in die Tantris-Küche kam, um gemeinsam mit dem Chef und uns jungen Köchen zu kochen und dabei Fragen über Fragen stellte.
Gang 2 Der Siebeck-Restaurant-Test
Nach zwei Jahren Witzigmann-Schule reifte bei mir der Wunsch nach Selbstständigkeit. Meine un-ent-liche Geschichte begann 1975 mit der Eröffnung der „Ente im Lehel“ im gleichnamigen Münchner Stadtteil. Vier Wochen nach der Eröffnung am 2. April 1975 kam er. Ganz in weiß, weißer Anzug, weiße Schuhe. An die Farbe seiner Socken kann ich mich ebenso wenig erinnern wie an das Menü, das Wolfram Siebeck bestellt hat.
Ins Gästebuch schrieb er jedenfalls: „Es gibt im Leben Momente, da wirkt ein Schwan fast wie ´ne Ente. Wenn er so schmeckt wie die Ente hier, ist es das, was man Fortschritt nennt – kulinarisch gesehen.“
Übrigens: Recherchen ergaben, dass Siebecks weißer Anzug damals 3400 DM kostete und eine Maßanfertigung von Rudolf Mooshammer war.
Gang 3 München – die Keimzelle der deutschen Küchenrevolution
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie Eckart Witzigmann, Otto Koch
(heute in Zürs/Österreich, d. R.), Dieter Biesler (heute in Hannover, d. R.) und ich – so eine Art Vierer-Bande – Mitte der 1970er bei Wolfram Siebeck zu Hause Weine verkosteten und dabei berieten, wie wir an bessere Lebensmittel kämen. Es gab ja damals kaum etwas Anständiges, weder vom deutschen Bauern noch vom deutschen Winzer. Viel Masse, keine Klasse.
Der Kritiker und wir Köche hatten eine Idee. Tage später organisierten wir die erste
PKW-Fahrt in Richtung Paris. Aus den Großmarkthallen in Rungis in der Nähe von Orly brachten wir Fisch und Fleisch nach München. Die kulinarischen Hilfstransporte liefen konspirativ, weil beispielsweise Gänsestopfleber, wie Rauschgift versteckt, durch den Zoll geschafft werden musste. Wir schmuggelten Crème fraîche, die es zu dieser Zeit bei uns noch nicht gab, Bressepoularden, Mittelmeerfische, Lammrücken und frische Kräuter im Kofferraum. Wir Münchner Köche waren eine kulinarische Untergrundarmee und Wolfram Siebeck unser publizistischer Arm, unser schreibendes Organ.
Gang 4 Der kulinarische Geheimdienst
In jeder Küche, in jedem Kellneroffice hing bald das Bild von Wolfram Siebeck. Das führte natürlich auch manchmal zu Verwechslungen mit Gästen, die Siebeck ähnlich sahen. Wir Köche entwickelten außerdem einen GASI. Das Kürzel stand für „Gastronomischer Sicherheitsdienst Siebeck“ und bedeutete: Wenn Siebeck in irgendeiner Stadt auftauchte, wurden sofort per Rundruf alle Kollegen informiert.
Gang 5 Wolfram Siebeck testete, schrieb und wir reisten hin
Wir jungen Köche reisten in alle Restaurants, die er beschrieben hatte. Wir fuhren zu Bocuse, Chapel, Girardet, Guérard, Haeberlin, Stucki, Troisgros, Verge und gaben unser sauer verdientes Geld aus. Allerdings sprach sich auch schnell eine budgetschonende Methode herum: „Sag, dass du Siebeck kennst. Dann gibt es meist ein bis zwei Gänge mehr und Champagner aufs Haus.“
Gang 6 Wolfram Siebeck und die euro-asiatischen Küchen-Visionen
Als ich 1979 von einem sechstägigen Tokio-Besuch zurückkam, erzählte ich meinen Köchen und Gästen: „Die Japaner essen rohen Fisch!“ Die Reaktionen bewegten sich zwischen: „Unglaublich!“ und „Die spinnen!“ Nur Siebeck sagte: „Noch 2 Jahre und wir haben Sushi auch in Deutschland.“
1981 eröffnete prompt das erste Sushi-Restaurant in der japanischen Bank in Frankfurt, 1982 ein weiteres in Düsseldorf. Heute gibt es allein in Berlin-Charlottenburg wenigstens 30 dieser Rohfisch-Imbisse.
Mitte der 80er Jahre organisierte ich mit sieben Kollegen, darunter Eckart Witzigmann, Franz Keller und Dieter Kaufmann eine kulinarische China-Reise. Sie führte uns 16 Tage nach Peking, Shanghai und Hongkong. Wir besuchten Restaurants, Märkte, Entenfarmen und probierten alles: Abalones, Schlangen, Seegurken, noch nie gesehene Fische, Muscheln und Krustentiere. Pekingente und Katze. Franz Keller sagte beim Katzenmenü: „Jetzt würde Frau Hoffmann, Siebecks Katze, völlig durchdrehen.“ Zurückgekehrt, erzählten wir Siebeck von der Idee einer euro-asiatischen Küche. Er sagte damals: „Blödsinn. Kümmert Euch erstmal um die deutsche Küche.“ Siebeck hatte recht. Wir waren viel zu früh. Es dauerte noch etliche Jahre bis Zitronengras, Seegurken und Ingwersprossen in deutschen Küchen Einzug hielten.
Gang 7 Woflram Siebeck isst alles!
Dieter Biesler am Telefon.
„Du, Siebeck hat Bärenkotelett bei mir gegessen!“
„Und, was hat er gesagt?“
„Kein Fleisch für alle Tage.“
In den Zeiten von BSE und MKS suchte Wolfram Siebeck nach Alternativen und erklärte uns:
“Pferdefleisch ist besser als jedes Rindfleisch.“ Bei einem Wirt in Flandern probierte er sogar Wasserkaninchen. Beides blieb in deutschen Töpfen allerdings bisher ohne Erfolg.
Gang 8 Kochen im Fernsehen
Es geht um eine Sparte, mit der sich Wolfram Siebeck nur ganz, ganz langsam anfreunden konnte, obwohl er wahrscheinlich nicht mal einen Bruchteil ihres Programms kennt. Da gab und gibt es: Alfredissimo, Schuhbeck´s, Kochkunst mit Vincent Klink, Kochen mit Martina und Moritz, Polettos Kochschule, Hensslers Küche, Jamies Kitchen und Born to Cook. Kerner kochte, Lanz kocht und Armin Rosmeier kocht. Hinzu kommen Kocharena, Kochduell, Kochgeschichten, Kochüberfall, Hausbesuch und Küchenschlacht.
Gusto TV und Hausgemacht TV bitten ebenso an den Herd wie Lafer, Lichter, Lecker und die Kochprofis beim Einsatz an demselben. Dem perfekten Dinner folgte das perfekte Promidinner. Erst standen Normalos, dann Promis unter Volldampf. Rach, der Restaurant-Tester ist im Einsatz, es werden Nigellos Leckerbissen serviert, und auf dem ARD-Buffet wird angerichtet. Gesunde Küche, Einfach kochen, Besser essen und weitere 18 Titel ergänzen das televisionäre Menü und beweisen, dass ohne den jahrzehntelangen Kampf Wolfram Siebecks für kulinarische Kultur und gegen Genussfeindlichkeit auch im deutschen Fernsehen wohl weit weniger gekocht würde.
Und wenn nun bei den Millionen-Einschaltquoten nur ein Prozent der Zuschauer in ihrer eigenen Küche richtig kochte und ein weiteres Prozent sich zu einem Restaurantbesuch motiviert fühlte, dann kommt das heraus, was man Fortschritt nennt – kulinarisch gesehen.
Gang 9 Wir Köche gratulieren Wolfram Siebeck
In den letzten Wochen sprach ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen: jungen und solchen, die schon lange dabei sind; michelinsterngeehrten und solchen, die noch ohne Meriten sind. Sie alle gaben mir ihre Glückwünsche für Wolfram Siebeck mit auf den Weg.
Wir Köche sagen DANKE: für seine unbeschreibliche Geradlinigkeit, für seine flammenden Appelle gegen Fertigprodukte und für seinen Kampf um Qualität auf den Tellern. Niemand hat uns so inspiriert und so viel für unseren Berufsstand getan wie Wolfram Siebeck.
Gang 10 Restaurant-Theater, Panem et Circenses, Pomp Duck and Circumstance, Palazzo & Co
Das ist überhaupt nicht Siebecks Welt. Er und seine Frau Barbara sträuben sich seit 20 Jahren, eine dieser Dinner-Shows zu besuchen. Deshalb präsentiere ich Ihnen und Ihren Geburtstagsgästen heute den singenden Service unserer neuen Show in Berlin:
Hans-Peter Wodarz Palazzo „Concerto für Ente, Salbei und Chilischokoladenkuchen“.
Wir Gastronomen und Köchen wünschen Ihnen und Ihrer Frau Barbara alles Gute, Gesundheit, und wir hoffen, dass wir noch viele „Laudationes an die Sinne“ lesen und genießen können!
(Seine Rede zum 80. Geburtstag von Wolfram Siebeck hat Hans-Peter Wodarz für GARCON überarbeitet und leicht gekürzt.)
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