Kuko, Letscho, Mocca-Fix
Servus, und das auch kein bisschen leise, sagten 1990 17 Millionen DDR-Bürger … und schon korrigiert mich meine Sekretärin, eine gelernte Ostberlinerin: „Kein Mensch hat in der DDR ‚Servus‘ gesagt.“ „Was denn?“ „Tschüs.“ Also, dann eben tschüss zu Bino-Würze, Tempo-Linsen, Zetty-Flocken und Mocca-Fix!
Endlich war sie da, die schöne neue Konsumwelt mit allem, was früher – wenn vorhanden – Onkel, Tanten und sonstige Verwandte zu Weihnachten per Paket in Richtung Osten sandten. Jacobs-Kaffe, Milka-Schokolade, Palmoliv-Seife und was sonst noch im real existierenden Sozialismus real nicht existierte. Hurra ein Westpaket! Geschenksendung! Keine Handelsware!
Aber Tauschobjekt allemal. Zumindest das bestätigt meine Sekretärin. Die Krönung für einen schnellen Termin beim Autoschrauber, die lila Kuh für einen promten Klempnerbesuch…
„Aber verhungert sind wir nicht“, mosert sie dann doch. „Sonst wären Sie ja nicht hier“, entgegne ich, und wir kommen zu unserem eigentlichen Thema zurück, den Ostprodukten, die vor 23 Jahren über Nacht aus den Regalen verschwanden.
Ein Abschied für immer, dachten die meisten, doch viele der Totgeglaubten lebten länger, manche sogar besser denn je. „Rotkäppchen macht sogar Fernsehwerbung“, triumphiert die Sekretärin.
Das beobachtete von 12 Jahren auch Bianca Schäfer, und sie meinte außerdem, eine gewisse gedankliche Rückbesinnung zu verspüren. „Kundenfrust“ nennt die gebürtige Thüringerin das heute. Was auch immer es war – viele im Osten Deutschlands vermissten jedenfalls in ihren Supermarktregalen Halberstädter Würstchen, Brocken-Splitter und Halloren-Kugeln. „Die sind wirklich gut“, kommentiert meine Sekretärin. Bianca Schäfer sah das genauso und gründete 2001 ein Kaufhaus für Ostprodukte, das sie sinnigerweise „Ostpaket“ nannte.
Mit den Jahren wurde aus der kleinen Klitsche ein respektabler Markt, groß, hell, übersichtlich, kein Deut vom HO-Schmuddelcharme. Nur die Waren in den Regalen ähneln sich, zumindest einige, aber dann meist auch nur äußerlich. „Die Schlager-Süsstafel zum Beispiel“, erläutert Bianca Schäfer, „war in der DDR wegen Rohstoffmangels auf maximal sechs Prozent Kakao beschränkt, der Rest waren Ersatzstoffe. Gelbe Erbsen etwa ersetzten Haselnüsse. Das ist natürlich vorbei, heute enthält sie 32 Prozent Kakao und Erdnüsse.“
Wie der Osten wirklich schmeckte, lässt sich also nicht mehr in Erfahrung bringen, oder? „Die Rhöntropfen aus der Meininger Likörfabrik werden noch nach gleichem Rezept hergestellt, Filinchen, das Knusperbrot aus Apolda wahrscheinlich auch, beim Letscho aus Niederorla bin ich mir da nicht so sicher und natürlich auch nicht beim Mocca-Fix aus Magdeburg“, so Bianca Schäfer. Den Kunden scheint das egal zu sein, sie kommen trotzdem in Scharen – die einen aus Neugier, das sind Touristen – die anderen nach Vergleich, weil Pfeffi doch preiswerter ist als tic tac – und die dritten aus Prinzip, weil Lebkuchen aus Pulsnitz eben die besten sind.
Ich bin eine Nische“, sagt Bianca Schäfer und weil sie außerdem mal Bekleidungstechnologie studiert hat, gibt es bei ihr natürlich auch die Dederon-Kittelschürzen und Einkaufsbeutel im Großblumendekor. „Praktisch und deshalb nicht totzukriegen“, lächelt die Ostpaket-Chefin. Und meine Sekretärin setzt ihre Triumph-Miene auf: „Bitte, es war eben doch nicht alles schlecht im Osten.“
www.ostpaket-berlin.de
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