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Der gute Geist der Trattoria á Muntagnola

5.610

Es war vor 22 Jahren in der Küche der Trattoria á Muntagnola, dem Reich von Angela Matarrese. Ich schrieb einen Bericht über hausgemachte Nudeln und sie hatte mir erlaubt, ihr beim Pastamachen zuzusehen. Ich erinnere mich gut, wie sie mit einem einfachen Rundholz und fast meditativer Konzentration den festen Teig ausrollte, noch dünner und noch dünner, ihn in Unmengen langer Streifen schnitt und mit Hilfe eines Holzstäbchens und ungemeiner Fingerfertigkeit spiraligen Fusilli formte.

Zum Schluss ein Lächeln und eine wortlose Geste. So geht Pasta. Rund sieben Kilo Teig hat sie täglich verarbeitet, daraus mit hingebungsvoller Geduld Gnocchi oder Orecchiette gemacht. Oder Fusilli. Mit den Jahren sind da viele Tonnen zusammengekommen. Bestes Pastahandwerk, das Werk ihrer Hände.
Treffpunkt Museum.

Angela Matarrese hat mich eingeladen. Es ist der erste Sonntag im Juli und für die 81-Jährige ein besonderer Tag. Im Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem findet eine Ausstellung statt – „Erfüllbare Träume? Italienerinnen in Berlin“ – und sie, Mamma Angela, soll aus ihrem Leben erzählen, darüber berichten, wie es einer Migrantin aus der Basilikata in Berlin ergangen ist. „Weshalb ausgerechnet ich?“, fragt sie, „weshalb nicht junge Frauen, die in der Ausstellung zu Wort kommen, die hier studieren, wie Marta Tirabassi oder Karriere gemacht haben wie Fabrizia Dainotto oder Caterina Lizzano?“ „Vielleicht, weil Du so viel erlebt hast“, antworte ich ausweichend, ich kenne ihre Scheu vor Selbstdarstellung in jeglicher Form.

Schließlich sitzt sie dann doch auf dem Podium, versucht sich noch kleiner zu machen als sie ohnehin schon ist, schaut ängstlich auf das Mikrofon, das man ihr reicht, sucht die Blicke ihrer Söhne Pino und Mimmo und ihrer Enkelin Francesca, versucht zu übersehen, dass da noch fünfzig andere Zuhörer sitzen und beginnt zu erzählen, leise, stockend, über ihre Kindheit in Cirigliano, einem winzigen Dorf in den lukanischen Bergen ohne fließendes Wasser und Kanalisation und nur mit dem Maulesel zu erreichen, über ihre Jugend in Scanzano, einem Städtchen an der Küste, über ihre Arbeit als Bahnwärterin und über das Ristorante, das sie gemeinsam mit ihrem Mann später eröffnete, über dessen plötzlichen Tod und die Entscheidung der Söhne Pino und Mimmo, das bettelarme Süditalien zu verlassen.

Sie spricht über die heimatliche Küche, über deren geschmackliche Vielfalt auch ohne raffinierte Zutaten und ausgeklügelte Zubereitungen und merkt gar nicht, wie still es im Saal geworden ist.
Anfang der 1990er kam Angela Matarrese nach Berlin, um ihren Sohn Pino zu unterstützen. Der hatte in Schöneberg ein Restaurant eröffnet, die Trattoria á Muntagnola, benannt nach seiner Mutter, die daheim, in der Basilikata, immer nur „Muntagnola“ genannt wurde, „die Frau aus den Bergen“.

Sie kam, sah und übernahm das Regiment in der Küche. Mamma Angela verbannte alles Falsche von der Karte, die Allerweltsnudeln aus der Tüte ebenso wie die industriell gefertigten Nudelplatten, mit denen man vielleicht Fenster kitten, aber keine ordentliche Lasagne zubereiten konnte und machte die bodenständige lukanische Küche in Berlin hoffähig.

Fortan gab es in der Trattoria ihres Sohnes „beste Heimwehküche für kulinarisch heimatlose Stadtneurotiker“, wie es ein aufgedrehter Gault-Millau-Mensch mal formulierte: Pane cotto, die lukanische Brotsuppe; gefüllte Zucchini; das klassische Filetto al sale, ein Rinderfilet in der Salzkruste; Schweinekoteletts mit gebratenen Orangen; Forelle mit Trauben; Lachs mit Pesto und natürlich jede Menge hausgemachter Nudeln – Cavatelli, Fusilli, Orecchiette .
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, sie beendet ihren Bericht. „Finito“, sagt sie jetzt ziemlich resolut, sie lädt uns ein, auf der Wiese vor dem Museum die lukanische Küche zu verkosten.
Dort steht sie dann, gemeinsam mit ihren Söhnen Pino und Mimmo, der übrigens in Mitte das „Al Contadino Sotto le Stelle“ betreibt, serviert die Kostproben ihrer Küche und sagt so ganz beiläufig einen Satz, der ihr nocheinmal Beifall beschert: „Wo auch immer auf der Welt man lebt, es ist wichtig, die Traditionen zu pflegen, Überliefertes nicht zu vergessen und den Enkeln Respekt vor den Lebensmitteln zu vermitteln.“

Am 2. Juli 2016 feierte die Trattoria á Muntagnola ihren 25. Geburtstag. „Ein Klassiker, der sich über die Jahre keinen Zentimeter bewegt hat“, so das Urteil eines berühmten Kollegen. Wir hoffen mal, dass das ein Kompliment sein sollte.

Angela Matarrese
Trattoria á Muntagnola
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