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Frühling im Fischerkietz

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Vor einem Jahr begrüßte Sebastian Marquardt die Besucher seines Restaurants Fischerkietz noch mit „Herzlich willkommen, meine Damen und Herren“. Inzwischen sagt er „Liebe Gäste“. Der Berliner ist angekommen in Strausberg, und das will er feiern. Strahlend blauer Himmel über dem See, der der Stadt den Namen gab, oder war es umgekehrt? Wer fremd ist, hat es schwer, den Fischerkietz zu finden, die ehemalige Siedlung der Diener auf Burg Struzeberg. Hier betreibt Sebastian Marquardt un eunem Tagungszentrum des Oldenburger Energiedienstleisters EWE seit Januar 2022 das Restaurant Am Fischerkietz.

Küchenchef Sebastian Marquardt und Winzer Uwe Lützkendorf

„In Strausberg ist die Zeit reif für neue Küchenideen“, hieß es damals, als Marquardt von Berlin in die Provinz zog. Sein Vorgänger am Herd, eine einstige DDR-Interhotel-Größe, hatte mit antiquiertem Kochstil und viel Teller-Ikebana die Gäste vergrault. Marquardt warb mit frischer Regionalküche wieder um deren Gunst und – das ist das Resümee nach gut einem Fischerkietz-Jahr – er bekam sie. „Natürlich gab es Durststrecken“, sagt der bescheidene 39-Jährige, „aber alles in allem bin ich zufrieden.“ Das war auch Berlins einflussreichster Restaurantkritiker. Bernd Matthies konstatierte knapp: „Das Essen ist preisgünstig und gut.“ Das will im Land Brandenburg schon was heißen. Lassen wir Potsdam mal außen vor, leuchten da ein paar Türme in Burg, Bad Sarow, Eich-, Finster-, Lucken-, Mitten- und Reichenwalde.

Der Rest ist nicht der Rede wert. Oder doch? Ich erinnere mich beispielsweise mit Grausen an den kürzlichen Besuch in einem Landgasthaus im Havelland: Dem schlimm marinierten Salathaufen in standartisierter Zusammensetzung folgten zwei brutal frittierte Frühlingsrollen mit Spargel und denen wiederum ein im Ketchup ertränktes Beef tatar. Antwort der Servicedame auf die Kritik: „Unserer Gäste wollen das so!“ Tja, dann bleibt nur noch die Frage, welche Gäste sie gemeint hat…

Also, schnell zurück nach Strausberg und zu einer Speisenkarte mit Bodenhaftung und handwerklich sauberen Gerichten von deutsch bis mediterran. Zur einjährigen Jubiläumsfeier servierte Stefan Marquardt Entengalantine mit Himbeer-Kaffee-Vinagrette, Seeteufel mit Geschmolzenen Tomaten, Zweierlei vom Rind mit Kartoffel-Artischocken-Ragout, Taleggie mit Radicchiomarmelade und eine Crème brûlée. Die Küche bewies ein gutes Gefühl für Garzeiten, Verständnis für harmonische Kombinationen und bemühte sich, über das Übliche hinauszugehen.

Ehrengast des Abends war Uwe Lützgendorf, ein mit Stefan Marquardt befreundeter Winzer aus Bad Kösen. Lützgendorf, 48, dessen Vater zu DDR-Zeiten das Landesweingut Kloster Pforta leitete, informierte über die Geschichte des Anbaugebietes an Saale und Unstrut und präsentierte natürlich die besten Gewächse aus seinem knapp neun Hektar großen Familienweingut: Erstaunliche Weißweine, kein bisschen dünn und derb wie ihr häufiger Ruf sowie einige respektable Rotweine. Spannend sind auch die Gespräche am Tisch. „Mir muss von drüben keiner erzählen, wie das ´89 war“, sagt da zum Beispiel ein sportlicher Mittsechziger mit Bürstenhaarschnitt. Der Mann war Jagdflieger, General und wohnt am anderen Seeufer. „Mein Nachbar ist Siegmund Jähn“, sagt er.

Und wir dachten, Sebastian Marquardt sei der einzige Überflieger rund um den Straussee.

Restaurant Am Fischerkietz

Am Fischerkietz 6
15344 Strausberg

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