Nicht nur Spargel in und um Beelitz
Als es Anfang der 1990er die Berliner zuhauf ins Umland zog, suchten sie dort nicht nur schöne Gegend, sondern auch einen Platz zur Einkehr, wenn der Hunger zwickte. Doch ordentliche Landgasthöfe mit ehrlicher Küche waren rar – und – sind es bis heute geblieben. Auch rund um Beelitz. Zu den wenigen, die diese Attribute uneingeschränkt verdienen, gehört die Körziner „Landlust“, deren Inhaberin Ulrike Laun kürzlich sogar für den Titel „Brandenburger Meisterkoch 2015“ nominiert wurde. Ebenfalls auf gutem Weg ist man im Fliederhof in Stücken, einem gemütlichen Gasthaus mit großem Garten und kuscheliger Pension. „Neues Leben und neuer Glanz für ein altes Haus“ – so wirbt Juliane Syring für ihr idyllisches Anwesen. Nomen est omen, denn Flieder heißt botanisch Syrenga. Die Gastronomin stammt aus dem Syring-Clan, einer Familie, die wesentlich am Aufschwung des Beelitzer Reviers mitgewirkt hat.
Ein paar Kilometer vom Fliederhof, entfernt, liegt der Syringhof, eine große Halle, Hofladen, Küche, Biergarten, Kinderspielplatz, Streichelzoo. Als Karl-Ludwig Syring 1991 seinen Landwirtschaftsbetrieb in Zauchwitz an den Start brachte und mit dem Spargelanbau begann, war er eine Art einheimischer Exot. Die meisten anderen Bauern, die zur gleichen Zeit das „Wirtschaftswunder Spargel“ begründeten, kamen aus dem Badischen, vom Niederrhein oder aus Nordrhein-Westfalen in diese Gegend: Jörg Buschmann, Ernst-August Winkelmann, die Jakobs-Brüder, Hugo und Gerald Simianer.
Und dazu also Syring, der Ossi, das Nordlicht, der große Worte ebenso hasst wie große Gesten, dafür aber eine angeborene Hartnäckigkeit besitzt. Über die Schwierigkeiten, den Hof dorthin zu führen, wo er heute steht, spricht er nur ungern, die Formulierung „erfolgreicher Unternehmer“ lässt ihn schulterzucken. Wenn sich Karl-Ludwig Syring mal aufs Altenteil zurückzieht, weiß er seine Kinder auf dem richtigen Weg – die älteste Tochter Stefanie mit ihrem Auslandsjob bei der BASF, Sohn Thomas als Kürbisbauer und Tochter Juliane als Inhaberin des Fliederhofes im Nachbardorf Stücken. Den Stolz darauf kann selbst Syring nicht verbergen.
Vom Syringhof in Zauchwitz zurück nach Stücken, ein Katzensprung. Der größte Ortsteil der Gemeinde Michendorf, der 2017 sein 700-jähriges Bestehen feiern wird, ist ein intaktes Dorf, um dessen Zukunft man sich keine Gedanken machen muss. Rund 500 Einwohner, Tendenz steigend, Blasorchester, Freiwillige Feuerwehr, Angel-, Fußball- und Heimatverein, Pferdesport, Ateliers, Handwerksbetriebe und berühmt als „Märkisches Hollywood“. Neben vier DEFA-Spielfilmen wurde in Stücken auch die DDR-TV-Serie „Märkische Chronik“ nach einem Roman von Bernhard Seeger (1927-1999) gedreht.
Zum letzten Mal standen 2012 Kameras auf der Dorfstraße – „Doc meets Dorf“, hieß es damals. Juliane Syring kann sich deshalb noch gut daran erinnern, weil etliche der Akteure damals bei ihr im Fliederhof zu Gast waren. 2007 hatte sie das Anwesen übernommen, obwohl ihre Referenzen locker auch für ein Managerjob in einem x-beliebigen Luxushotel gereicht hätten. „Es war immer klar, dass ich nach meinen Wanderjahren nach Hause zurückkehre“, so die 36-Jährige, „weil ich absolut bodenständig und heimatverbunden bin.“
Eigentlich träumte sie von einem kleinen Café, aber dann wurden es doch zwei, drei Nummern mehr. Der Fliederhof: ein kleiner Garten vor dem Haus, ein großer Hof, vierzig Plätze im Haus, ein Weinkeller. Chef am Herd ist seit Anfang April Jörn Pflanz, ein 45-jähriger Potsdamer, der viele Jahre in der Schweiz und in Spanien kulinarisch Regie führte. Der Küchenmeister weiß natürlich, dass man nicht raus nach Stücken fährt, um hungrig nach Hause zurückzukehren – eine Landpartie braucht schließlich kulinarisches Unterfutter.
Also kocht Pflanz, ohne mit der Wimper zu zucken, einen herrlich altmodischen, geschmacklich erstklassigen Wiener Tafelspitz mit Bouillonkartoffeln und Meerrettichsauce, brät eine fangfrische Blankenseer Forelle und serviert den Fisch mit Butterkartoffeln und einem super Gurkensalat oder bringt für Gäste, die keine Kalorien zählen, in Malzbier geschmorten Schweinebauch mit gebratenem Spitzkohl und Kartoffelgratin auf den Teller. Die meisten Zutaten kommen aus der Gegend, und der Küchenchef vermeidet – Gott sei Dank – alle pseudokreativen Versuche, aus diesen Gerichten etwas anderes zu machen als das, was sie sind – eine unaufgeregte Regionalküche, die sich an den Jahreszeiten orientiert.
Die Gäste schätzen das nicht nur zur Spargelzeit, weil sie im Fliederhof nach ihrem allfälligen touristischen Rahmenprogramm einen Ort finden, an dem Essen und Atmosphäre eine solche Kraft haben, dass man auf alle weiteren Ausflugsstationen gerne verzichtet und lieber noch ein bisschen sitzen bleibt. Zum Beispiel, um ein Stück Apfel-, Käse- oder Pflaumenkuchen, ein Rhabarberbaiser oder Kalten Hund zu genießen.
Das Verb ist nicht übertrieben, denn das, was Anne Schwarz, die Bäckerin vom Fliederhof, die eigentlich Köchin gelernt hat, da aus ihrem Ofen holt, ist eine Klasse für sich. Und wer blöderweise gerade auf Diät ist, wärmt die Seele einfach ein paar Minuten am Anblick des Küchenbuffets und bestellt dann halt nur einen Kräutertee.
www.fliederhof-syring.de
Beziehungen schaden nur dem, der keine hat, eine Binsenweisheit. Fliederhof-Chefin Juliane Syring hat sogar gute Beziehungen – beispielsweise zur Küche des Hotels am Steinplatz in Berlin-Charlottenburg. Mit Marcus Zimmer, dem dortigen Chef am Herd, verbrachte sie ein gemeinsames Jahr in einem Schweizer Vier-Sterne-Hotel – sie als Restaurantleiterin, er als Koch.
Und das verbindet. Kein Wunder also, dass der 40-jährige Zimmer, im vorigen Jahr zum Berliner Aufsteiger 2014 gekürt, ganz gerne mal nach Beelitz kommt, um – wie an diesem Tag – zu zeigen, dass man Spargel nicht nur mit Schnitzel oder Schinken servieren muss. Zimmer ist ein Vertreter des regionalen Selbstbewusstseins, jenes Küchenstils also, der die deutsche Küche in die Gegenwart holt.
Keine Konzept-Importe also, keine kulinarischen Eskapaden mit wildem Chaos auf den Tellern, sondern Blutwurst, Eisbein, Kalbshaxe und Königsberger Klopse, allerdings neu interpretiert und mit Raffinesse verfeinert. Wie man so auch dem Spargel, eigentlich einer ziemlich langweiligen Angelegenheit, mehr abgewinnen kann, zeigte Zimmer an diesem Maitag auf dem Spargelhof Syring. Das Ergebnis.