Ausgegraben – die Geschichte des Eierschneiders
Der Urenkel des Eierschneider – Erfinders
„Willy Abel ist der Vater meiner Stief-Oma“, sagt Thomas Wolfert. Der Hamburger sitzt an einem Besprechungstisch im Chefzimmer der TV+Synchron Berlin GmbH.
Er führt die Geschäfte des Unternehmens auf dem Gelände des ehemaligen DDR-Fernsehfunks. Während Wolfert über seine Firma spricht, in der ausländische Film- und Fernsehproduktionen deutsch synchronisiert werden, bewegen seine Hände einen Eierschneider. Das Gerät gehört zu Wolferts Familiengeschichte, denn Thomas Wolfert ist ein Nachfahre des Eierschneider-Erfinders Willy Abel, dessen Stief-Ur-Enkel.
Abel, geboren am 23. September 1875 in Dresden, absolvierte eine Maschinenbau-Lehre in Trier, avancierte, erst 18-jährig, zum Konstrukteur in der Spandauer Gewehrfabrik und meldete hier seine erste von 63 Erfindungen zum Patent an – einen Mündungsschoner für das Gewehr 98. Einige Jahre später schuf er einen Briefmarken-Automaten, verkaufte die Erfindung an die Deutsche Reichspost und gründete mit dem Erlös eine eigene Firma, die W. Abel & Co. GmbH, in der Schöneberger Geneststraße, die sich vor allem der Entwicklung und Produktion von Küchenwerkzeugen widmete.
So vermeldete das Patentblatt des Kaiserlichen Patentamtes vom 6. Dezember 1911 die Anmeldung von zwei Erfindungen zum Patent: einer „Reibetrommel zu Reibemaschinen“ und eines „Eierteilers“.
Serienmäßig hergestellt wurde das Gerät, das „aus einem Aluminiuntisch, einem Nickelbügel und gespannten Drähten“ bestand, ab 1912 in Berlin-Lichtenberg. Dort hatte Abel in der damaligen Rittergutstraße (heute Josef-Orlopp-Straße) die Harras-Werke W. Abel & Co. GmbH gegründet, eine der ersten Haushaltswarenfabriken in Deutschland.
Mit dem Slogan „Harras auf der Hand – jedermann bekannt“ warb das Werk sowohl für seine Eierschneider – in wenigen Jahren wurden 10 Millionen davon produziert und in alle Welt verkauft – auch für weitere von Willy Abel konstruierte Küchenhelfer: Brotschneidemaschinen, Kartoffelreiben, Messerputzer, Waffeleisen.
Kein Wunder, dass der Erfinder und Unternehmer schon bald einen ehrenden Beinamen erhielt. Bereits Anfang der 1930er bezeichneten ihn Journalisten als „Vater der deutschen Haushaltsmaschinen-Industrie“. Umso erstaunlicher allerdings die Tatsache, dass heute sein Name in der Berliner Industriegeschichte kaum eine Rolle spielt. Kein Straßenschild, nicht mal eine Gedenktafel erinnert an den Wegbereiter moderner Küchengeräte.
Es gab im September 2015 eine Sonderausstellung für Willy Abels Person und im Januar 2016 zu seinen Objekten im Lichtenberger Heimatmuseum. Dies holte ihn für einige Monate aus der Vergessenheit – aber das ist eine andere Gesichte.
Kurze Zeit nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erkrankte Willy Abel so schwer an Diabetes, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Dennoch gelang es ihm, in den von Kriegseinwirkungen verschonten Harras-Werken bereits im Juni 1945 die Produktion wieder aufzunehmen. Das Lichtenberger Unternehmen gehörte übrigens zu den 49 Betrieben Ost-Berlins, die nicht enteignet wurden. Nach Abels Tod im Jahr 1951 führten es seine Assistentin Gertrud Neubauer und sein Werkmeister Fritz Uhl, allerdings unter Aufsicht des Magistrats von Ost-Berlin.
Vor allem die Harras-Brotschneidemaschine entwickelte sich zum devisenbringenden Exportschlager. Neun Jahre später jedoch half auch diese Tatsache nicht mehr. Der VEB Transformatorenwerk „Karl Liebnecht“ Oberschöneweide übernahm 1960 das Fertigungsprogramm. Die Harras-Werke gerieten endgültig in den Strudel der SED-Planwirtschaft, verloren ihren Namen und produzierten schließlich Rasenmäher. 1990 erhielten Willy Abels Erben das Firmengrundstück zurück, sanierten die Gebäude und entwickelten das Areal zu einem Büro und Gewerbehof. Auch dort erinnert nur eine alte Werksuhr an Abelszeiten, zu denen wahrscheinlich in jedem deutschen Haushalt wenigstens ein Gerät aus den Berliner Harras-Werken zu finden war.