Die erste Rutz-Zollhaus-Speisekarte nach dem Neustart des Traditionsrestaurants beginnt mit sechs Vorneweg-Offerten, die den Asia-Mainstream links liegen lassen und weitgehend auf heimische Produkte setzen. Respektabel die Neuköllner Blutwurst, nicht von schlechten Eltern auch der Königsberger Klops. Begeistert hat uns das Karotten-Tatar, und gar hingerissen waren wir vom Saiblings-Ceviche. Zum feinsäuerlichen Müritzsaibling als Ceviche und der getrockneten und frittierten Fischhaut als Streu arrangierte Küchenchef Florian Mennicken gebratenen Romanasalat sowie die koriandergrüne Ceviche-Marinade und eine intensiv tomatige Sauce Choron. Unser Berliner Teller!
Auf den ersten Blick sieht man dem Zollhaus am Kreuzberger Carl-Herz-Ufer den Betreiberwechsel nicht an – zumindest nicht am Tage. Lediglich die wahrscheinlich schon jahrzehntealte Kindl-Werbung ist überklebt – anstelle des Industriebieres gibt es jetzt das handwerklich gebraute Rollberg. Und auf dem ebenso betagten Zollhaus-Schild wurde eine Rutz-Leuchtschrift installiert, die allerdings erst abends den Hinweis darauf gibt, wer hier jetzt das Sagen hat.
Ein junges Serviceteam agiert betont umsichtig und mit jener natürlichen Freundlichkeit, die sich Gäste wünschen. An der Spitze der Brigade: Hendrik Canis. Der 51-Jährige, der nicht nur wegen der äußerlichen Ähnlichkeit ein perfektes Matt-Damon-Double abgeben würde (Canis hat auch mal an der Ernst-Busch-Hochschule studiert), ist ein guter alter Bekannter. Geboren in Weimar, aufgewachsen in Berlin, wechselte er nach der Schauspielausbildung ins Restaurantfach, entdeckte schnell seine Liebe zum Wein und begann, sich gründlich mit dieser Materie zu beschäftigen.
Canis arbeitete als Sommelier auf den Kreuzfahrtschiffen MS Arkona und MS Deutschland, wechselte 1997 in das neu eröffnete VAU am Gendarmenmarkt und später ins Rutz. Als er Ende 2008 mit dem Gasthaus Spindel in der Friedrichshagener Bölschestraße ein eigenes Projekt an den Start brachte, gehörte Hendrik Canis längst zur deutschen Sommelierelite.
„Er ist ein Weindetektiv, der in der Szene so einflussreich ist, dass mancher deutsche Top-Winzer für ihn spezielle Abfüllungen reserviert“, notiert der Gault-Millau bereits 2007. Das Lob ist auch 13 Jahre später kein bisschen verblasst, ganz im Gegenteil.
Die heimischen Gewächse liegen ihm besonders am Herzen – dementsprechend dominieren auch die deutschen Anbaugebiete seine Weinkarte im Rutz Zollhaus. An die Spitze hat er Saale-Unstrut gesetzt. „Heimat bleibt Heimat“, kommentiert der Thüringer lächelnd und serviert uns einen Grauburgunder Breitengrad 51 von André Zahn aus Bad Sulza…
In memoriam Lars Rutz. Der Mitbegründer der Weinbar Rutz in der Chausseestraße und bis zu seinem Tod 2003 deren Chefsommelier, ist nun auch Namensgeber des Rutz Zollhauses. Und er hätte sicher seine helle Freude an diesem gastlichen Ort.
1988 hatte Herbert Beltle das Haus am Landwehrkanal übernommen, es später gekauft und im vorigen Jahr, inzwischen 62-jährig, neue Betreiber gesucht. Er fand sie in den erfolgreichen Weinhändlern und Gastronomen (Rutz, Rutz Weinbar, SchmidtZ & Ko.) Anja und Carsten Schmidt.
Gemeinsam plante man den radikalen Umbau der Küche und die behutsame Renovierung der Gasträume zu ebener Erde sowie unterm Dach – sicher keine ganz konfliktfreie Angelegenheit, aber wenn man sich lange kennt und schätzt, einigt man sich auch schnell.
Neben der edlen Bar und den blickfangenden Weinklimaschränken, die eigens für das Rutz Zollhaus gebaut wurden, fasziniert vor allem die neue Küche. Florian Mennicken, der neue Küchenchef, nennt sie „einen Arbeitsplatz der Superlative“.
Sein fürs Bankett zuständiger Partner Günter Beyer, seit 1996 im Zollhaus am Herd, pflichtet ihm bei: „Besser geht’s nicht.“ Und irgendwo meint man den Geschäftsführenden Rutz-Küchendirektor Marco Müller still lächeln zu sehen…
Rutz Zollhaus
Carl-Herz-Ufer 30
10961 Berlin-Kreuzberg
www.rutz-zollhaus.de