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Merold – ein Lokal der Extraklasse

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Obwohl es sich ganz passabel reimt, eine Flanierstraße ist die Pannierstraße nicht. Eher eine Rennstrecke für die Protzschlitten der Sonnenallee-Schickeria. In einer Minute von Neukölln nach Kreuzberg, kein Problem. Doch es wäre ungerecht, die Pannierstraße auf eine Raserpiste zu reduzieren. Da gibt es eine Reihe guter Geschäfte – etwa den servicefreundlichen Fahrradladen Velomondo, den The Good Store mit Vintage-Offerten der besseren Sorte oder Martins Place, die Back- und Verkaufsstube des israelischen Meisterkonditors Joseph Martin, a place to be für die Fans besonderer Tartes und Torten.

Und auch gastronomisch liegt die Pannierstraße, die übrigens bereits 1894 nach dem Berliner Landgerichtspräsidenten Rudolf Julius Karl Pannier (1821–1897) benannt wurde, voll und ganz im Neuköllner Trend.

Seit ein paar Monaten wird das kosmopolitische Lokal-Medley der Straße durch einen Zugang ergänzt, der schnell von sich reden machte: Das Merold. „Eines der spannendsten Berliner Restaurants dieser Tage“, „avantgardistisch, aber über jeden Hipster-Verdacht erhaben“, „sprudelnd vor Gestaltungsfreude“, die ersten Kritiken waren voll des Lobes – Grund genug für einen Besuch.

Ein neues Gesicht

Von außen sieht das im Parterre des wuchtigen Mietshauses Pannier- / Ecke Pflügerstraße gelegene Restaurant nicht nach guter kulinarischer Adresse aus. Aber Äußerlichkeiten zählen in Berlin bekanntermaßen nur wenig und in Neukölln noch weniger.

Dafür wirkt die souverän-moderne Innenausstattung, die ohne jegliche Forciertheiten auskommt, umso stärker. Das Gestaltungsmotto „Nicht Buntheit ergötzt, sondern Schlichtheit erfreut“ wird lediglich in den Fensternischen durchbrochen, in denen ein paar Dutzend Kochbücher stehen, über deren Funktion später noch zu reden sein wird.

Jonas Merold, 27, stammt aus Weiden in der Oberpfalz – ja genau, der Stadt mit dem Seltmann-Porzellan – dialektal merkt mandas aber nicht oder nicht mehr. Vor gut sieben Jahren kam er nach Berlin, um Koch zu lernen. Erste Station:das Maritim-Hotel.

„Nach einem halben Jahrhatte ich das Convenience-Kochen satt undsuchte mir eine neue Lehrstelle.“ Er kam zuTim Raue, beendete seine Ausbildung undwurde danach vom Großmeister höchstpersönlichin die Mannschaft berufen, die inden noblen Tertianum-Seniorenresidenzen in München und Berlin Raues zeitgeistiges Colette-Brasseriekonzept umsetzte.

Dann zog Merold weiter: Reinstoff, Coda,Cell. Als das ambitionierte Restaurant in derUhlandstraße schließen musste, startete er sein ohnehin schon lange geplantes Projekt Selbstständigkeit. Jonas Merold fand schnell geeignete Räume – in Neukölln, wo sonst – und eine Mannschaft, die zu ihm und seinem Konzept passte.

Nachhaltigkeit in allen Belangen

Ausgedacht hat sich die von nordischem Minimalismus geprägte Interieur-Performance der junge Mann, dessen Namen das Restaurant trägt: Merold. Jonas Merold. Fauststoß statt Handschlag. „Ich bin der Jonas“, sagt er und erzählt von der schwierigen Suche nach geeigneter Ausstattung, „nachhaltig vor allem und nicht von der Stange.“

Fündig wurde er in Potsdam und Kopenhagen. Die Brandenburger Möbelwerkstatt Kuhl baute ihm Tische, deren Platten mit so genanntem Desktop-Linoleum beschichtet sind. „Ein natürlicher Rohstoff, pflegeleicht und umweltfreundlich“, weiß der Jonas.

Und das dänische Unternehmen TAKT lieferte die passenden Stühle dazu. „Aus heimischen Hölzern gefertigt und mit Öko-Label.“ Nicht minder nachhaltig ist übrigens der einzige Wandschmuck: eine Installation der Berliner Künstlerin Fabienne Lange aus Materialien vom Schrottplatz, der sie sinnigerweise den Titel „A place called home“ gab…

Kompromisslos positiv

Fast scheint es, als würden Jonas Merold und seine Mannschaft das Ambiente des Restaurants in Gerichte umsetzen wollen. Ihre Küche ist nahezu kompromisslos in der jüngeren kulinarischen Zeitgeschichte angesiedelt, und das meine ich jetzt ebenso kompromisslos positiv.

Nichts von dem jungen wilden Chaos, das einige aktuelle Shootingstars auf ihren Tellern produzieren, auch kein spartanisches, am besten noch von ungewürztem Brot zur Geschmacksneutralisierung begleitetes Verkostungsritual, sondern eher was in der Kategorie wahrer Genuss.

Die Merold-Speisekarte nennt in gewohnter Verknappung elf Gerichte, aufgeteilt auf drei Kategorien: Kleines, Großes, Süßes. Das erleichtert die Entscheidung und zwingt nicht ins Menükorsett – viermal vom Kleinem sind ebenso ein gutes Abendessen wie dreimal vom Großen oder einmal von jedem. Wir entschieden uns für die Variante 2-2-1 und waren damit bestens beraten.

Schon der erste Gang (Zwiebel / Buchweizen / Schwarzer Knoblauch) zeigte, wie die Merold-Crew kulinarisch tickt: Zu Schalotten, die in geräucherter Butter karamellisiert wurden, gab es eine Creme aus schwarzem Knoblauch und Buchweizen, laktofermentierten Kojischaum, Pilztamari (eine dunkle Sojasauce mit intensivem Umami) und gerösteten Buchweizen.

Keine Frage, das war „ein kleines Kunstwerk“, da stimme ich dem Tagesspiegel-Kritiker Felix Denk zu, und es war natürlich auch eine geschmackliche Offenbarung.

Gang Nummer zwei (Grünkohl / Spitzkohl / Sonnenblumenkerne) hielt, was Gang Nummer eins versprach. Geröstete Spitzkohlherzen, frittierte Grünkohlblätter, schwarzer Rettich, mariniert mit einem selbstverständlich selbst angesetzten Holunderblütenessig sowie eine Creme aus gerösteten Sonnenblumenkernen und Sonnenblumenkern-Miso – auch dieses Gericht steht gleichermaßen für Essenz und Eigenheit wie für geschmackliche Klarheit.

Nach Klein folgt Groß

Was dann aus der Kategorie Großes folgte (Sellerie / Dinkel / Kaffee), klang erstmal nicht unbedingt nach veganem Highlight, erwies sich aber dann doch als ausgesprochen detailreiches Geschmackswunder. Und als ganz besonders aufwändige Angelegenheit, weil dafür von einer Sellerieknolle ein meterlanges Band abgeschält, mit Brottamari bestrichen und dann wieder zusammengerollt werden muss, um es backen zu können.

Das törtchenähnliche Resultat wurde mit Selleriepüree (ohne Butter!), Selleriesaft, Kaffeekombucha (aus Kaffeesatz!) und geröstetem Dinkel serviert. Das klingt möglicherweise ziemlich kompliziert, vielleicht sogar ein bisschen „verkopft“ – ist es aber nicht. Das Gericht bleibt zugänglich, auch für Gäste, in deren Alltag eher Schlichteres vorkommt.

Das galt auch für den Fleischgang (Schwein / Kraut / Apfel). In Langfassung: Dabei handelte es sich um geschmorte Rippchen, glasiert mit Pilztamari; Sauerkraut, das durch Kichererbsen-Zitronen-Miso eine erstaunliche Frische bekam und geräuchertes Apfelmus, das mit winzigen Apfelwürfeln und Liebstöckelpulver einen tollen Special Effect lieferte.

Last but not least – das Dessert. Und damit Jonas Merolds Signature dish (Steinpilz / Rahm / Aprikose).

Entwickelt hat er das Steinpilz-Tiramisu während seiner Zeit im Cell und schon damals viel Lob für die Idee eingeheimst, in die aufgekochte Sahne für die Mascarpone getrocknete Steinpilze einzulegen, die Löffelbisquits statt mit Amaretto mit hausgemachtem Aprikosenlikör zu tränken und das Kakaopulver mit Kaffee, Kardamom, Kümmel und Fenchelsaat zu aromatisieren.

Zum Essen ein Tropfen

Gut übrigens, dass Gastgeber Merold abends nicht am Herd steht, sondern den Service wuppt – gemeinsam mit seinem Fermentationsprofi Paul Kaufmann. Auch kulinarisch durchaus geschulte Gäste haben vor oder nach diesen Gängen in der Regel einige Fragen.

Natürlich muss noch über die Merold-Weinkarte geredet werden, die mit über neunzig Prozent mindestens biologisch erzeugter Weine bestückt ist, darunter eine erhebliche Zahl von Naturweinen.

Einige unserer Favoriten: ein komplett naturbelassener Mosel-Riesling 2020 aus der Pur’us-Reihe von Rita und Rudolf Trossen, dessen Komplexität wirklich bemerkenswert ist sowie ein 2012er Akmèniné von Sebastien Riffault, der mit Opulenz überzeugt und Lichtjahre von den spritzigen Standardgewächsen entfernt ist, für die Sancerre heute steht.

Unter den Rotweinen unbedingt empfehlenswert: der Blaufränkisch Kalkstein 2020 vom jungen Burgenland-Winzer Claus Preisinger, und bei den Orange Wines favorisieren wir einen Silvaner Schwarzer Herrgott 2016 vom Demeter-Weingut Janson-Bernhard aus dem fast vergessenen Zellertal im Norden der Pfalz.

Zu guter Letzt sind noch zwei Anmerkungen nötig – sie betreffen die Kochbücher in den Fensternischen des Restaurants (s. Seite 31).
Erstens handelt es sich dabei nicht um eine bunte Ansammlung von Allerweltstiteln, sodern um gehobene Küchenliteratur.

Und zweitens sind die Bände keine Dekoration, sondern haben eine Funktion, die Jonas Merold so erklärt: „Häufig gibt’s Fragen etwa zu Produkten oder ihren Verarbeitungen, und wenn der Paul und ich – wir machen den Service – für ausführliche Antworten zu wenig Zeit haben, dann drücken wir den Gästen auch schon mal Die Kunst des Fermentierens oder Das Lexikon der Essbaren Wildpflanzen in die Hand.“

MEROLD
Pannierstraße 24
12047 Berlin-Neukölln
Tel. 030 – 62 73 32 10
www.restaurant-merold.de

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